Seit dem 24. Februar 2022, als die Russische Föderation einen ungerechtfertigten und unprovozierten Angriff gegen die Ukraine verübte, spielen sich vor unseren Augen jeden Tag Szenen voller Tragik ab, Szenen des Leids, des Schmerzens, Szenen, in denen Hunderttausende von Ukrainern immense Verluste erleiden. Das Drama des Exodus von Millionen von Zivilisten, vor allem von Frauen und Kindern, und das Ausmaß der Verluste und Zerstörungen des Krieges erinnern an die dunkelsten Momente der jüngeren Geschichte Europas und der Welt.
Die russische Aggression bringt ein unermessliches Ausmaß an Zerstörung mit sich. Die Feindseligkeiten werden mit voller Absicht gegen zivile Ziele durchgeführt, darunter auch gegen die Stätten des Kulturerbes und der religiösen Verehrung in der Ukraine. Ein Symbol für diese barbarischen Taten sind die brennenden Gebäude des Klosters des Heiligen Entschlafens der Gottesgebärerin bei der Stadt Swjatohirsk, Lavra in der Region Donezk im Osten der Ukraine. Dies ist ein äußerst wichtiger Ort für die orthodoxe Kirche. Die Existenz des Höhlenklosters wurde erstmals im 17. Jahrhundert erwähnt. Nach dem Beginn der russischen Invasion wurde es zu einem Zufluchtsort für die Zivilbevölkerung, darunter Pilger und Geistliche, ältere Menschen, Behinderte und Kinder. Dies hielt die russischen Truppen nicht davon ab, den Tempelkomplex brutal zu beschießen. Infolge des Angriffs wurde eine Reihe von Klostergebäuden zerstört. Die hölzerne Einsiedelei Allerheiligen – die größte Holzkirche der Ukraine aus dem frühen 20. Jahrhundert – wurde niedergebrannt.
Die Heilige Berg Lavra ist eines von vielen ergreifenden Beispielen für den russischen Versuch, die religiösen Stätten der Ukraine zu zerstören. Auch orthodoxe Kirchen in Mariupol und in der Umgebung von Kiew oder das islamische Kulturzentrum in Sewerodonezk sind Ziel von Anschlägen geworden. Ein ähnliches Schicksal ereilt Friedhöfe und Gedenkstätten, auch solche aus dem Zweiten Weltkrieg, die verwüstet und geschändet werden. Die brutale Zerstörung von Stätten, die mit der Identität, einschließlich der religiösen Identität, verbunden sind, wird den Ukrainern ungeachtet ihrer Religion oder Herkunft angetan.
Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass die russische Unterdrückung von Vertretern religiöser Minderheiten in der Ukraine lange vor der aktuellen Invasion begann. Nach der rechtswidrigen Annexion der Krim durch die Russische Föderation im Jahr 2014 war die religiöse Diskriminierung für die dort lebenden einheimischen Krimtataren besonders schmerzhaft. Ihre Rechte und Freiheiten wurden und werden von den russischen Besatzungsbehörden systematisch verletzt. Es kam zu Festnahmen, Verweigerung des Rechts auf ein faires Verfahren oder Inhaftierungen aus politischen Gründen oder aufgrund von Anschuldigungen wegen angeblichen Extremismus oder Terrorismus im Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zur ethnischen und religiösen Gruppe der Tataren. Tatarische Organisationen, wie die Selbstverwaltung Medjlis, wurden verboten und ihre Mitglieder unterdrückt. Verfolgung und Schikanen betreffen auch Vertreter anderer religiöser Minderheiten auf der besetzten Krim, darunter Zeugen Jehovas und Anhänger protestantischer Kirchen.
Religiöse Verfolgungen sind in verschiedenen Regionen der Welt allgegenwärtig, wo Konflikte durch religiösen Fundamentalismus und ethnischen Hass angeheizt werden. Oft kommt es zu offenen Gewaltakten – wie bei dem blutigen Angriff auf die katholische Kirche St. Francis Xavier in Owo im Südwesten Nigerias, bei dem am Pfingstsonntag, dem 5. Juni dieses Jahres, etwa 40 Menschen getötet wurden. In anderen Fällen handelt es sich um ein Problem der systematischen Verfolgung ganzer religiöser Gruppen – wie in Afghanistan, das von den Taliban regiert wird, oder gegenüber der Gemeinschaft der Jesiden, die im Irak Gewalt durch islamistische Terroristen erfährt.
Ein grundlegendes Menschenrecht
Die Religions- und Glaubensfreiheit ist ein grundlegendes Menschenrecht. Im Kern geht es um die Freiheit, sich zu einer Religion seiner Wahl zu bekennen, die Religion zu wechseln oder sich nicht zu einer Religion zu bekennen, sowie um das Recht, seine religiösen Ansichten zu bekunden. Es ist ein universelles Recht, auf das jeder Mensch Anspruch hat, und es ist unveräußerlich – niemand kann gezwungen werden, eine bestimmte religiöse Überzeugung anzunehmen oder aufzugeben. Niemand sollte wegen seiner Überzeugungen diskriminiert werden.
Die Förderung der Religions- und Glaubensfreiheit ist eines der wichtigsten Ziele der polnischen Außenpolitik im Bereich der Menschenrechte. Auf Initiative Polens hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen im Jahr 2019 den „Internationalen Gedenktag an die Opfer von Gewalt aufgrund der Religion oder Glauben“ festgelegt, der jährlich am 22. August begangen wird.
Die Partner Polens bei der Umsetzung dieser Initiative sind Länder, für die die Wahrung der Religionsfreiheit eine Priorität darstellt. Zu den Ländern, mit denen wir in diesem Bereich besonders eng zusammenarbeiten, gehört das Vereinigte Königreich. Unsere Länder waren zusammen mit den Vereinigten Staaten von Amerika Gastgeber der 2019 ins Leben gerufenen jährlichen Internationalen Konferenz über Religions- und Glaubensfreiheit – dem globalen Treffen von Regierungsvertretern, Vertretern der Zivilgesellschaft und den führenden Vertretern verschiedener Glaubensrichtungen.
Wir Polen sind für diese Fragen besonders empfänglich. Wir erinnern uns an den Zweiten Weltkrieg und an das, was in unserem Land geschah. Wir wollen, dass die Welt aus ihren Fehlern lernt und dass sich solche Tragödien nicht wiederholen. Ich glaube, dass wir durch gemeinsame Anstrengungen – sowohl vor Ort als auch in internationalen Foren – unser Ziel erreichen und nie wieder Bilder wie der brennende Heilige Berg Lavra sehen werden.
* Zbigniew Rau ist seit 2020 Außenminister der Republik Polen
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