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Ein aufsichtsrechtlicher Unterbietungswettlauf

Ein aufsichtsrechtlicher Unterbietungswettlauf

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Angesichts intensiver Konkurrenz um den erwarteten Börsengang von Saudi Aramco – dem weltgrößten Ölunternehmen, dessen Eigentümer der saudische Staat ist – stehen Börsen und Finanzmarktaufsichten unter Druck, dem Unternehmen Anreize zu bieten, seine Aktien auch im Ausland zu notieren. Die britische Finanzaufsicht FCA scheint sich diesem Druck nun zu beugen.

Im vergangenen Monat veröffentlichte die FCA einen Vorschlag, die Notierungsbedingungen für staatseigene Emittenten, die sich für das Premium Listing Segment der Londoner Börse (LSE) qualifizieren möchten, zu lockern. Das Segment ist das Vorzeigesegment der Börse und bisher streng reguliert. Der Vorschlag wird als rein technische Frage präsentiert, doch ist er aus über Saudi Aramco hinausgehenden Gründen bedeutsam.

Tatsächlich impliziert er, dass die Regulierungsbehörde nun die Ansicht vertritt, dass staatseigene Unternehmen eine aufsichtsrechtliche Sonderbehandlung verdienen. In ihrem Konsultationspapier erklärt die FCA, dass «staatliche Eigentümer sich tendenziell sowohl von ihren Absichten als auch von ihrer Beschaffenheit her von Privatpersonen oder Unternehmen aus dem privaten Sektor unterscheiden». Dies ist eine begründete Annahme – und exakt der Grund, warum staatseigene Unternehmen keine aufsichtsrechtliche Vorzugsbehandlung erhalten sollten.

Der Vorschlag der FCA jedoch würde in das Premium Listing Segment aufgenommene Staatsunternehmen von den Regeln für Geschäfte mit nahestehenden Parteien ausnehmen, wenn mehr als 30% der Anteile vom Staat gehalten werden. In der Praxis hieße das, dass Geschäfte zwischen einem börsennotierten Staatsunternehmen und dem Staat nicht der Billigung durch die Minderheitsaktionäre unterliegen würden. Ein an die Börse gebrachtes Staatsunternehmen könnte daher weiterhin sozialen Verpflichtungen nachkommen, die nichts mit seinem Kerngeschäft zu tun haben, ohne dass die Aktionäre etwas dagegen tun könnten.

Ein allgemeinerer Konflikt

Die Debatte über den FCA-Vorschlag spiegelt einen allgemeineren Konflikt wider, der seit 1993 an den Kapitalmärkten im Gange ist. Damals wurde die Stockholmer Börse in ein Privatunternehmen umgewandelt und seit diesem Zeitpunkt operierten die Börsen in den entwickelten Ländern (so wie Fluglinien oder Sportmannschaften) zunehmend als gewinnorientierte Versorgungsunternehmen statt als Quellen des Nationalstolzes.

Bei diesem Wandel wurden den Börsen zum Schutz gegen potenzielle Interessenkonflikte – darunter der Versuchung, Regulierungsstandards aufzuweichen, um sich profitable Börsennotierungen zu sichern – einige Befugnisse entzogen. Diese Befugnisse wurden an die Finanzaufsichten übertragen, die man für ausreichend unabhängig und daher gegen politischen Druck immun hielt. Der FCA-Vorschlag legt nahe, dass diese Annahme möglicherweise nicht länger glaubwürdig ist – zumindest nicht in einem auf einen Brexit zusteuernden Vereinigten Königreich.
Der Brexit hat den Ruf der Londoner City als führendes globales Finanzzentrum gefährdet.

Die Frage ist, ob dieser Vorschlag ein Anzeichen für einen neuen regulatorischen Unterbietungswettlauf ist – und wenn ja, welche Folgen das für die Anleger haben könnte. Um das Ganze in seinen Zusammenhang einzuordnen: Der größte Teil des weltweit aufgebrachten Kapitals – nach OECD-Schätzungen für die Jahre 2008-2011 63% – entfällt auf Unternehmen aus Schwellenländern, und auf Staatsunternehmen entfallen 23% der Gesamtkapitalisierung aus den Schwellenländern, verglichen mit einem weltweiten Durchschnitt von 13%.

Internationale Börsen sind für Großunternehmen aus Schwellenmärkten interessant, die möglicherweise nicht imstande sind, im eigenen Land ausreichend Interesse bei institutionellen Anlegern zu wecken. Dies gilt auch für Staatsunternehmen. Schon jetzt ist eine Reihe von Blue-Chip-Unternehmen aus dem Nahen Osten an der LSE notiert; allerdings erfüllt keines davon die Vorgaben des Premium Listing Segment.

Zudem ziehen Regierungen in einer wachsenden Anzahl von Schwellenmärkten im Nahen Osten und anderswo derzeit die Privatisierung staatseigener Energie- und Industrieunternehmen in Betracht. So hat etwa Abu Dhabis nationale Ölgesellschaft Adnoc Pläne angekündigt, ihr eigenes Privatkundengeschäft an die Börse zu bringen. Dies ist der Grund, warum die FCA bestrebt ist, eine strukturelle Änderung zu verabschieden, statt lediglich eine Ausnahme für Saudi Aramco zu machen.

Doch bestehen bei Staatsunternehmen besondere Risiken bezüglich der Corporate Governance. Beispielhaft verdeutlicht wird dies durch die Korruptionsuntersuchung beim brasilianischen Petrobras-Konzern, dessen Aktien in Brasilien und an der New Yorker Börse notiert sind. Der Rückzug von mit ihren Regierungen verbundenen Unternehmen aus Russland und Zentralasien von der LSE in den letzten Jahren spiegelt ähnliche Risiken wider.

Der FCA-Vorschlag geht davon aus, dass «Anleger und Markt ausreichend in der Lage sind, die sich aus dem staatlichen Eigentum ergebenden zusätzlichen Risiken einzuschätzen». Doch dies ist fraglich. Führende internationale Marktplätze werden von institutionellen Anlegern dominiert. Ein wachsender Anteil von diesen folgt passiv den Indices, und es fehlt diesen Anlegern an Anreizen, in eine Kontrolle der Corporate Governance zu investieren. Allein im letzten Jahr wuchsen die passiven Fonds viereinhalbmal schneller als aktiv verwaltete Fonds; die Kluft zwischen den 23,9 Billionen Dollar an aktiv verwaltetem Vermögen und den 6,7 Billionen Dollar an passiv verwaltetem wird kleiner.

Aufstieg passiver Investoren

Der Aufstieg von passiven Investoren wie etwa Vanguard Asset Management wird durch dieselben Aufsichtsbehörden begünstigt, die derzeit die Lockerung der Notierungsbedingungen für Staatsunternehmen befürworten. Der Grund ist, dass die Aufsichtsbehörden niedrigere Verwaltungsgebühren in der Vermögensverwaltungsbranche sicherstellen möchten. Da sich der Trend hin zu passiv verwalteten Anlagen fortsetzen dürfte, ist die Annahme plausibel, dass internationale institutionelle Anleger langfristig sogar noch weniger Anreize haben werden, die Corporate Governance zu überwachen.

Doch werden auch aktive institutionelle Anleger möglicherweise nicht in der Lage sein, hier eine verantwortliche Rolle zu spielen. So hat sich etwa der norwegische Government Pension Fund Global (der weltgrößte Staatsfonds) über die Aufnahme von Snapchat in den FTSE beschwert, die den Fonds hindert, sein Stimmrecht für seine Aktien auszuüben, obwohl er zum Investieren gezwungen ist, da er den Index nachbildet. Während die Aufnahme von Staatsunternehmen in der Premium Listing Segment der LSE deren Aufnahme in den FTSE nicht garantiert – Letzterer verlangt für Emittenten von außerhalb des Vereinigten Königreichs einen Streubesitz von 50% –, könnte hier die eine Regelaufweichung der anderen den Weg bereiten. Tatsächlich ist die Motivation für die Notierung im Premium Listing Segment der LSE ohne gleichzeitige Aufnahme in den FTSE unklar.

In jedem Fall gilt: Wenn börsennotierte Staatsunternehmen in globale Indices aufgenommen werden, sind die Anleger Risiken durch Unternehmen ausgesetzt, die Geschäfte mit ihren staatlichen Eigentümern tätigen können, ohne Rücksprache mit anderen Aktionären zu halten. Auch wenn es übertrieben sein mag, von der saudischen Regierung, die 95% der Aktien an Aramco hält, zu verlangen, die übrigen Aktionäre einzubeziehen – ein LSE Premium Listing erfordert in der Regel nur 25% Eigenkapital.

Der Vorschlag der FCA, Staatsunternehmen eine Vorzugsbehandlung zuzugestehen, setzt die institutionellen Anleger eindeutig Risiken aus. Dies gilt für Anleger in entwickelte Volkswirtschaften, die Indices nachbilden oder denen es an Ressourcen fehlt, eine verantwortliche Kontrolle in Bezug auf politisch mächtige Staatsunternehmen auszuüben. Und es gilt möglicherweise für Anleger in Schwellenmärkte, falls die örtlichen Aufsichtsbehörden oder Börsen Staatsunternehmen ebenfalls von Corporate-Governance-Vorgaben befreien. Die politische Ökonomie der Kapitalmärkte belohnt heutzutage nicht jene, die sich einem regulatorischen Unterbietungswettlauf widersetzen. Die Regulierungsbehörden sind am Zug.

Alissa Amico ist Managing Director von «Govern», dem Zentrum für Wirtschaftsführung und Corporate Governance

Aus dem Englischen von Jan Doolan.
Copyright: Project Syndicate, 2017.
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