Die sogenannten «Cleaner», die von Outsourcing-Firmen in Indien und anderswo gestellt werden, sind die heimliche Macht, die darüber bestimmt, was auf der Plattform erscheinen darf und was nicht. Der erste Teil des Beitrags erschien gestern, morgen veröffentlichen wir den dritten und letzten Teil.
Von Guy Verhofstadt
Zur Person
Guy Verhofstadt ist ehemaliger belgischer Ministerpräsident. Er ist Fraktionsvorsitzender der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa.
Aus dem Englischen von Jan Doolan
Copyright: Project Syndicate, 2018.
www.project-syndicate.org
So besteht etwa das Problem beim Erwerb von Instagram und WhatsApp durch Facebook nicht darin, dass diese Firmen zu Facebooks größten Konkurrenten gehörten. Es liegt darin, dass Facebook durch Kauf dieser Unternehmen in der Lage war, noch mehr personenbezogene Daten – und daher geschützte Einblicke in das Leben, die Vorlieben, Leidenschaften und Sehnsüchte von Millionen von Menschen – zu erlangen.
Infolgedessen bietet Facebook Werbetreibenden und anderen, die von psychologischer Manipulation zu profitieren hoffen, nun eine konkurrenzlose Plattform. Seine Dienstleistungen sind perfekt für populistische und illiberale Politiker, die danach streben, statt durch den Wert ihrer Ideen durch Ängste und falsche Behauptungen an die Macht zu kommen.
Die Macht, die die Technologie-Giganten aus unseren personenbezogenen Daten ziehen, unterscheidet sich nicht von der Macht, die Standard Oil und AT&T einst durch die monopolhafte Kontrolle der Ölbestände und des Telefonnetzes ausübten. Wenn die USA nicht gegen die Inhaber der Monopole an personenbezogenen Daten vorgehen – oder wenn ihre derzeitigen Kartellbestimmungen sie daran hindern –, dann ist es umso wichtiger, dass die Europäische Union sich dieser Aufgabe stellt.
Während die EU mit der Verabschiedung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) bereits mutige Schritte in diese Richtung unternommen hat, sind wir auf die digitale Welt von morgen noch immer nicht vorbereitet, denn es fehlt uns ein digitaler Binnenmarkt.
Wenn junge Software-Entwickler heute EU-weite Apps einführen wollen, müssen sie dafür Zulassungen von 28 separaten nationalen Regulierungsbehörden einholen und sich zudem Verträge mit mehr als 100 Telekommunikationsbetreibern sichern.
Es verwundert nicht, dass die «großen fünf» Technologie-Unternehmen – Alphabet, Amazon, Apple, Facebook und Microsoft – alle amerikanische Unternehmen sind und dass keines der 20 weltgrößten Technologie-Unternehmen aus Europa kommt.
Solange Europa seinen Binnenmarkt für Schokolade, Bier und Autos nicht auf digitale Waren und Dienstleistungen ausweitet, wird es weiter hinterherhinken, und das Silicon Valley muss sich keine Sorgen über eine mögliche Konkurrenz aus der EU machen.
Doch um den Binnenmarkt auszuweiten, müssen die Europäer bereit sein, ihre nationalen Regulierungsbehörden durch eine einzige Behörde auf EU-Ebene zu ersetzen, die der US Federal Communications Commission (FCC) gleichwertig ist.
Das Versprechen der Dezentralisierung
Allgemeiner müssen wir damit anfangen, uns eine völlig neue Art Internet vorzustellen. Ziel sollte es sein, ein dezentralisiertes System aufzubauen, das nicht auf Serverfarmen beruht, die im Eigentum und unter der Kontrolle von Monopolen mit Sitz in Kalifornien stehen, sondern das auf den Millionen von Computern und Geräten basiert, die derzeit täglich genutzt werden.
Ein Modell für eine Dezentralisierung ist Blockchain, ein «Distributed Digital Ledger», das Transaktionen über viele Computer hinweg öffentlich erfasst und einen Konsens erfordert, damit neue Informationen hinzugefügt werden können. Mit anderen Worten: Blockchain verifiziert und sichert Daten ohne die Notwendigkeit eines großen, zentralen Mittlers wie einer Bank, eines Registers oder einer Regierung.
Viele der Vorteile von Blockchain sind offensichtlich. Die Technologie stellt das Vertrauen in den Datenaustausch wieder her und macht Hacking und Manipulationen überaus schwierig. Weil sie traditionelle Mittler umgeht, hat sie das Potenzial, die Transaktionskosten der Dokumentation oder Ausfertigung von Verträgen, Finanztransaktionen, Eigentumstiteln, Landrechten usw. zu eliminieren.
Ein dezentralisiertes Internet würde zudem den Einzelnen in die Lage versetzen, seine Daten selbst zu kontrollieren und sogar wie andere digitale Kreativprodukte – Fotos, Videos, Kunst und Musik – zu Geld zu machen. Als alleinige Inhaber des Urheberrechts an ihren Schöpfungen wären die Nutzer in einer Position, direkt mit anderen Geschäfte zu schließen, statt einen Teil ihrer Einnahmen an eine traditionelle Plattform abzugeben.
Natürlich besteht eine Menge Skepsis in Bezug auf Blockchain, und insbesondere in Bezug auf durch Blockchain möglich gemachte Kryptowährungen wie Bitcoin.
Doch läuft die Frage letztlich darauf hinaus, wem man vertrauen sollte. Auf der einen Seite stehen dabei die großen derzeitigen Institutionen, wie etwa die Banken, die die Finanzkrise von 2008 ausgelöst haben; auf der anderen Seite steht ein dezentralisiertes System, in dem unzählige Partner einander überprüfen. Im letzteren Fall besteht keine Notwendigkeit für Big Brother oder Facebooks «Cleaner», die sich irgendwo in Indien abrackern. Stattdessen würde ein organisches Nutzerkollektiv die Kontrolle ausüben – in etwa so, wie heute schon Wikipedia operiert.
Würde ein radikal dezentralisiertes Internet automatisch die dunkle Seite der digitalen Welt beseitigen und Geldwäsche und anderen kriminellen Aktivitäten, die Kryptowährungen nutzen, ein Ende bereiten? Natürlich nicht.
Aber es lohnt, sich zu erinnern, dass Bargeld ebenfalls bei allen möglichen Arten illegaler Transaktionen zum Einsatz kommt, ohne dass wir dafür den Notenbanken die Schuld geben. Angesichts des Status quo könnte Blockchain die Sache erheblich verbessern, insbesondere wenn es durch Quantum-Computer ergänzt würde, die die Strafverfolgungs- und andere staatliche Behörden in die Lage versetzen, Verschlüsselungsmissbrauch und illegalen Tätigkeiten nachzuspüren.
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