Die Zinssätze vieler entwickelter Länder sind trotz deren starker Verschuldung historisch betrachtet niedrig – und real sogar negativ. Die Entwicklungsländer dagegen müssen, obwohl sie die öffentlichen Ausgaben während der Covid-19-Krise weniger stark erhöht haben, auf ihre Staatsanleihen höhere Zinssätze zahlen. Diese Zinssätze und auch die Risikoaufschläge, die die ärmeren Länder an den internationalen Kapitalmärkten zahlen, könnten sich angesichts nun steigender Zinsen in den hoch entwickelten Volkswirtschaften – und insbesondere in den USA – weiter erhöhen.
Kurz vor den Jahrestagungen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank im Oktober 2020 sprach sich Kristalina Georgieva, die Geschäftsführende Direktorin des IWF, für eine dringende Reform der internationalen Schuldenarchitektur aus. Doch passiert ist relativ wenig.
Zwar hat die G20 zu Beginn der Pandemie eine Initiative zur Aussetzung des Schuldendienstes für einkommensschwache Länder eingeleitet, und sie hat sie im vergangenen November verlängert und um einen Mechanismus ergänzt, der es diesen Ländern gestattet, ihre Schulden auf Fallbasis neu zu verhandeln. Doch die Beteiligung des privaten Sektors an dieser Initiative war bislang begrenzt, und für Länder mittleren Einkommens wird bisher nichts Ähnliches angeboten (obwohl es einige – insbesondere Argentinien und Ecuador – geschafft haben, ihre Schulden auf Basis der bestehenden Regeln neu zu verhandeln).
Ein jüngster Bericht des New Yorker Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Consensus Building Institute mit dem Titel „Responding to Risks of Covid Debt Distress“ skizziert die Herausforderungen, vor denen die Entwicklungsländer stehen. Der von einer Arbeitsgruppe aus ehemaligen leitenden Regierungsvertretern, privaten Juristen und mit staatlichen Umschuldungen befassten Wissenschaftlern (der auch ich angehörte) verfasste Bericht enthält mehrere zentrale Botschaften.
Private Kapitalflüsse setzten rasch wieder ein
Nicht alle Entwicklungsländer bedürfen einer Umschuldung. Tatsächlich ist eines der bemerkenswerten Merkmale der aktuellen Krise, dass private Kapitalflüsse in diese Volkswirtschaften nach einem „plötzlichen Stopp“ im Frühjahr 2020 rasch – nach rund zwei Monaten – wieder einsetzten. Doch laut Homi Kharas von der Brookings Institution, der ebenfalls Mitglied der Arbeitsgruppe war, sind die Risiken hoch. Von den 120 von ihm analysierten Ländern sind 90 Prozent spekulative oder hochriskante Schuldner. Zusammen entfallen auf sie mehr als die Hälfte aller 2021/2022 fälligen Tilgungszahlungen.
Die internationalen politischen Entscheidungsträger müssen daher zwei Ziele verfolgen, die sich, wie der Bericht unterstreicht, gegenseitig verstärken sollten. Sie müssen eine uneingeschränkte, faire und transparente Beteiligung der privaten Gläubiger an der Umgestaltung der Schuldenprofile und ggf. erforderlichen Umstrukturierung fördern. Und sie müssen zusätzliche finanzielle Unterstützung leisten, die die Entwicklungsländer in die Lage versetzt, ihre Investitionen in eine nachhaltige Entwicklung aufrechtzuerhalten.
Das Erste dieser Ziele erfordert die Transparenz der öffentlichen und privaten staatlichen Schulden, und zwar für Gläubiger wie für Schuldner. Kurzfristig umfasst dies die Weitergabe detaillierter Informationen zur Staatsverschuldung (offensichtlich mit Bestimmungen zur Wahrung der Vertraulichkeit geschäftlich sensibler Informationen). Diese sollten u.a. Einzelheiten zu besicherten Verbindlichkeiten und zu den Schulden staatseigener Unternehmen und von den nationalen Regierungen gestützter subnationaler Regierungen enthalten.
Register für Staatsschulden
Die langfristige Lösung besteht darin, ein Staatsschuldenregister einzurichten, wo detaillierte Informationen zwischen staatlichen Schuldnern und ihren Gläubigern geteilt werden können. Der Öffentlichkeit würden dabei aggregierte Informationen zur Verfügung gestellt. Genauso wichtig ist, dass die nationalen Rechtssysteme der Entwicklungsländer Standards zur Schuldentransparenz einführen müssen, und die Gläubigerländer brauchen strengere Regeln, die die Durchsetzbarkeit von Schuldverträgen auf Fälle beschränken, in denen diese Standards eingehalten werden.
Zudem muss der Grundsatz einer vergleichbaren Behandlung der Gläubiger bei Änderungen des Schuldenprofils und bei Umschuldungen aufrechterhalten werden. Alle an diesen Verfahren beteiligten Parteien – mit Ausnahme der anerkannten bevorrechtigten Gläubiger – sollten sich öffentlich zur Einhaltung dieses Grundsatzes bekennen, und die internationalen Finanzinstitutionen sollten die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um sicherzustellen, dass die staatlichen Schuldner und alle Gläubiger sich daran halten.
Die Finanzaufsichten in den Gläubigerländern können den nationalen Finanzinstituten (insbesondere den Inhabern von Anleihen) innerstaatliche Regulierungsanreize bieten, sich an diesen Verfahren zu beteiligen, und die Rating-Agenturen sollten die Perspektiven der staatlichen Schuldner im Gefolge einer Umstrukturierung berücksichtigen. Die multilateralen Entwicklungsbanken (MEBs) und offiziellen Gläubiger sollten in Betracht ziehen, privaten Gläubigern im Kontext einer Umstrukturierung Bonitätsverbesserungen zu verschaffen, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt – zum Beispiel, indem sie die Beteiligung privater Gläubiger an Schuldenswaps und Käufen von Sozial- und Umweltanleihen fördern.
Die Länder, unter deren Recht die öffentliche Schuldverträge fallen, sollten die Einführung von Maßnahmen in Betracht ziehen, um den Missbrauch ihres Rechtssystems durch Gläubiger zu verhindern, die eine bevorzugte Beitreibung gegenüber staatlichen Schuldnern anstreben, statt sich an auf Treu und Glauben durchgeführten Umstrukturierungsmaßnahmen auf Basis einer vergleichbaren Behandlung zu beteiligen. Dies könnte eine Wiederholung jener Art ernster Probleme verhindern helfen, mit denen es Argentinien vor ein paar Jahren vor den New Yorker Gerichten zu tun hatte.
Hilfe für einkommensschwache Länder
Um das zweite Ziel zu erreichen, sollten die MEBs zusätzliche Finanzmittel zur Verfügung stellen, um den einkommensschwachen Ländern zu helfen, wichtige Investitionen in eine nachhaltige Entwicklung aufrechtzuerhalten. Das bedeutet, dass die MEBs über eine ausreichende Kapitalausstattung verfügen müssen – ein Thema, dass bei den Zielen der G20 2009 eine zentrale Stellung einnahm, aber in der aktuellen Krise unter den Tisch gefallen ist.
Öffentliche Schuldner wiederum, die aus einer Überschuldungssituation hervorgegangen sind, sollten in Betracht ziehen, bedingte staatliche Anleihen (wie etwa ans BIP oder einen Rohstoffpreis geknüpfte Anleihen) zu begeben und mit Unterstützung der internationalen Finanzinstitutionen eigene Kapitalmärkte zu entwickeln oder auszubauen.
Zu guter Letzt empfiehlt die Arbeitsgruppe die Aufnahme eines Dialogs darüber, wie sich ein stabiler Mechanismus zur Umstrukturierung staatlicher Schulden unter multilateraler Federführung – entweder durch die Vereinten Nationen oder einen unabhängigen IWF-Mechanismus zur Beilegung von Streitigkeiten – herbeiführen lässt. Dieses Thema steht seit zwei Jahrzehnten auf der globalen Tagesordnung. Es wurden inzwischen gewisse Fortschritte bei der Verbesserung der Kollektivklauseln von Schuldverträgen zur Erleichterung möglicher Neuverhandlungen mit privaten Gläubigern erzielt, doch die Welt braucht dringend einen konkreten institutionellen Rahmen.
Ein Mechanismus zur Schuldenumstrukturierung sollte durch eine angemessene Regulierung der Kapitalflüsse ergänzt werden. Dieses Thema steht im Zentrum des 2012 verabschiedeten „Institutional View“ des IWF über Kapitalflüsse, der derzeit überarbeitet wird. In ähnlicher Weise sollten die Rating-Agenturen sicherstellen, dass ihre Risikobewertungen nicht prozyklisch angelegt sind, sondern vielmehr die langfristigen Perspektiven des Schuldnerlandes erfassen.
Angesichts der weltweiten Bemühungen, 2021 den Weg hin zu einer wirtschaftlichen Erholung von der Covid-19-Krise abzustecken, müssen diese schuldenbezogenen Themen auf der globalen Kooperationsagenda einen zentralen Platz einnehmen. Dieser Bericht sollte als ein Rahmen für internationales Handeln dienen.
* José Antonio Ocampo war Finanzminister Kolumbiens und Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen. Er ist Professor an der Columbia University und Versitzender der Unabhängigen Kommission für die Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung (ICRICT).
Aus dem Englischen von Jan Doolan.
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