Zur Autorin
Jayati Ghosh, Professorin für Wirtschaftswissenschaften an der University of Massachusetts Amherst, ist Mitglied des hochrangigen Beratungsgremiums des UN-Generalsekretärs für effektiven Multilateralismus.
Die Idee, Kohlenstoffemissionen zu bepreisen, scheint ausgesprochen naheliegend. Um selbst die am wenigsten ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen, müssen sowohl die Industrieländer als auch die Entwicklungsländer dekarbonisiert werden. Eine Änderung der relativen Preise für kohlenstoffintensive Aktivitäten würde Investoren ermutigen, erneuerbare Energiequellen und die technologische Innovation zu finanzieren, die notwendig ist, um Netto-Null-Emissionen zu erreichen.
Fossile Brennstoffe sind für den größten Teil der weltweiten Treibhausgas-Emissionen verantwortlich, daher scheinen Kohlenwasserstoffe ein guter Ausgangspunkt zu sein. Aber wie? Sollten politische Entscheidungsträger den relativen Preis fossiler Brennstoffe oder die Produktion auf Grundlage der damit verbundenen Kohlenstoffemissionen in Betracht ziehen?
Die beiden am häufigsten diskutierten Formen der CO₂-Bepreisung – Cap-and-Trade-Systeme und Kohlenstoffsteuern – basieren auf der Emissionsintensität der Produktion. Ein Cap-and-Trade-System soll Treibhausgas-Emissionen begrenzen, indem die Gesamtzielmenge in Emissionszertifikate aufgeteilt wird, die zwischen großen und kleinen Emittenten gehandelt werden können. Auf diese Weise bildet sich zwar angeblich ein Marktpreis für Treibhausgas-Emissionen, aber die negativen sozialen und ökologischen externen Effekte werden nicht berücksichtigt. Eine Kohlenstoffsteuer hingegen setzt einen Preis für Kohlenstoff fest, indem emissionsintensive Aktivitäten besteuert werden.
Doch diese beiden Modelle spiegeln eine sehr enge (und möglicherweise sogar verzerrte) Auffassung davon wider, wie CO₂ in das Wirtschaftssystem eingepreist werden sollte. Ein Bericht der „High-Level Commission on Carbon Prices“ unter dem Vorsitz von Joseph E. Stiglitz und Nicholas Stern aus dem Jahr 2017 liefert eine wesentlich nuanciertere Analyse. Neben Cap-and-Trade und Kohlenstoffsteuern empfiehlt der Bericht die Reduzierung oder Abschaffung von Subventionen für fossile Brennstoffe und die Schaffung neuer finanzieller Anreize für kohlenstoffarme Projekte; den Ausgleich der negativen Verteilungseffekte der CO₂-Bepreisung durch die Verwendung der Erlöse zur Finanzierung von Maßnahmen zum Schutz armer und gefährdeter Bevölkerungsgruppen, sowie ergänzende Maßnahmen wie Investitionen in öffentliche Verkehrsmittel und erneuerbare Energien. Am wichtigsten ist vielleicht, so die Autoren, dass Länder in der Lage sein müssen, Instrumente zu wählen, die ihren spezifischen Bedingungen, Ressourcen und Bedürfnissen entsprechen.
Inmitten der wachsenden Begeisterung für die CO₂-Bepreisung und Grenzausgleichsmaßnahmen haben Politiker und Experten diese Punkte weitgehend ignoriert. Der CO₂-Grenzausgleichsmechanismus CBAM („Carbon Border Adjustment Mechanism“) der Europäischen Union ist ein gutes Beispiel dafür. Wenn der CBAM im Oktober in Kraft tritt, wird damit eine Abgabe auf die Einfuhr emissionsintensiver Produkte erhoben, um „einen fairen Preis auf den Kohlenstoff zu erheben, der bei der Produktion von kohlenstoffintensiven Gütern ausgestoßen wird, die in die EU gelangen“, und um „eine sauberere Industrieproduktion in Nicht-EU-Ländern zu fördern“.
Kein „Carbon Leakage“
Der CBAM wird zunächst für die Einfuhr von Zement, Eisen und Stahl, Aluminium, Düngemitteln, Strom und Wasserstoff gelten. Zunächst müssen Unternehmen lediglich Bericht über die (direkten und indirekten) Emissionen erstatten, die in den von ihnen importierten Waren enthalten sind. Ab 2026 wird die EU jedoch Zölle auf diese Emissionen erheben, die sich nach dem durchschnittlichen wöchentlichen Auktionspreis für Emissionszertifikate richten.
Erklärtes Ziel dieser Maßnahme ist es, das so genannte „Carbon Leakage“ zu verhindern und dafür zu sorgen, dass die Klimabemühungen der EU nicht durch die Verlagerung der Produktion in Länder mit niedrigeren Emissionsstandards untergraben werden. Im Grunde werden europäische Unternehmen vor Konkurrenten in solchen Ländern geschützt.
Durch die Besteuerung von Einfuhren in die EU stellt der CBAM Exporteure in anderen Ländern vor die fast unlösbare Aufgabe, die Emissionen zu messen. Den meisten Entwicklungsländern (und vielen Industrieländern) fehlen granulare Daten über firmenspezifische Emissionen, ganz zu schweigen von der Möglichkeit, die Emissionen aller verwendeten Inputs zu erfassen. Selbst wenn solche Daten verfügbar wären, wären die Kosten für ihre Erfassung und Analyse im Laufe der Zeit enorm. Wie die Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung im Jahr 2021 feststellte, versucht der CBAM, „Entwicklungsländern die Umweltstandards aufzuzwingen, die Industrieländer auswählen“.
Die EU möchte als globaler Vorreiter in Sachen Klimawandel angesehen werden, aber es ist schwierig, den CBAM als etwas anderes als ein protektionistisches Instrument zu sehen. Während der CBAM vorgibt, Länder außerhalb der EU zu ermutigen, ihre Emissionen zu reduzieren, indem sie ihre eigenen Kohlenstoffsteuern erheben, hat die EU nichts getan, um Exportländern zu helfen, neue grüne Investitionen anzuziehen oder Zugang zu neuen Technologien zu erhalten. Vielmehr hat sie ihre (dürftigen) Versprechen zur Finanzierung des Klimaschutzes und die Verpflichtungen, die die europäischen Staats- und Regierungschefs im Rahmen der 1992 in Rio vereinbarten Abkommen eingegangen sind, immer wieder gebrochen und den Zugang zu grünen Technologien eingeschränkt, die von Unternehmen mit Sitz in der EU kontrolliert werden.
Wenig unternommen
Jahrzehntelang haben fortgeschrittene Volkswirtschaften ihre Emissionen in Entwicklungsländer exportiert, indem sie die kohlenstoffintensive Produktion ins Ausland verlagert und diese Güter anschließend importiert haben. Jetzt, da umweltfreundlichere Technologien für westliche Unternehmen verfügbar sind (und weitgehend von ihnen kontrolliert werden), fördern die Industrieländer die Rückverlagerung der Produktion aus dem Ausland, ohne Wissen oder Finanzmittel zu teilen, und untergraben damit die wirtschaftlichen Aussichten der Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen und ihre Fähigkeit, den Übergang zu einer umweltfreundlichen Wirtschaft zu bewältigen.
Im Februar erklärte der republikanische US-Senator Bill Cassidy, er werde in den kommenden Monaten einen Gesetzesentwurf für Emissionszölle vorlegen, nachdem die Demokraten im Senat ähnliche Vorschläge gemacht hatten. In der Zwischenzeit haben Gesetzgeber auf beiden Seiten des Atlantiks wenig unternommen, um die Produktion und den Handel mit fossilen Brennstoffen – den bei weitem größten Quellen von CO2-Emissionen – einzuschränken. Der CBAM deckt den Handel mit fossilen Brennstoffen nicht ab, und auch die vorgeschlagenen Zölle in den Vereinigten Staaten würden dies nicht tun. Wenn das eigentliche Ziel Dekarbonisierung ist und nicht der Schutz heimischer Industrien, dann sind die Regulierung und die Reduzierung direkter und indirekter Subventionen für fossile Brennstoffe weitaus vielversprechendere Maßnahmen.
Wenn die Bepreisung von Kohlenstoff erfolgreich sein soll, müssen Industrieländer ihr Engagement für gemeinsamen Wohlstand unter Beweis stellen, indem sie die gemeinsame Nutzung von vorhandenem Wissen ermöglichen und eine gerechte Klimaschutzfinanzierung fördern. Wenn sie sich weiterhin auf Grenzsteuern auf Waren konzentrieren, die (meist) in Entwicklungsländern hergestellt werden, werden ihre Bemühungen um die Bepreisung von Kohlenstoff scheitern. Schlimmer noch, sie werden die globale Ungleichheit verschärfen und den Eindruck verstärken, dass ihre hochtrabende Rhetorik über die Notwendigkeit einer internationalen Zusammenarbeit im Kampf gegen den Klimawandel lediglich ein Feigenblatt für eine zynische und eigennützige Politik ist.
Aus dem Englischen von Sandra Pontow
© Project Syndicate, 2023
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