Derzeit befinden wir uns noch in der „vorkeynesianischen“ Phase eines Angebotsschocks samt dadurch bedingtem Nachfrageschock einer voraussichtlich globalen Depression. Doch sobald das Virus weitgehend besiegt ist, werden die privaten Haushalte anfangen, vorsorglich ihre Ersparnisse aufzustocken, und die Unternehmen werden sich mit ihren Investitionen zurückhalten, was einen weiteren Rückgang der Gesamtnachfrage bedeuten wird – die keynesianische Phase. Defizit-finanzierte, soweit möglich monetisierte fiskalische Konjunkturmaßnahmen dürften das einzige Instrument sein, mit dem sich die Produktionslücke schließen lässt.
Als Emittent der marktbeherrschenden weltweiten Reservewährung unterliegen die USA, was die Fähigkeit der US-Bundesregierung zur Kreditaufnahme und zur Monetisierung ihrer Staatsverschuldung angeht, geringeren Beschränkungen als andere Länder. Ihre bisherige wirtschaftspolitische Reaktion – der Coronavirus Aid, Relief, and Economic Security (Cares) Act – stellt 2,3 Billionen Dollar für Sozialhilfe, Subventionen, Kredite, Wertpapierankäufe und sonstige Bürgschaften bereit. Laut dem Congressional Budget Office wird das Gesetz das Bundesdefizit während des kommenden Jahrzehnts um „nur“ rund 1,7 Billionen Dollar erhöhen. Diese Differenz spiegelt die 454 Milliarden Dollar wider, die zur Finanzierung von Bürgschaften für von der US Federal Reserve eingerichtete Fazilitäten für Notfallkredite bereitgestellt werden, wobei die Annahme ist, dass diese Bürgschaften nie tatsächlich in Anspruch genommen werden.
Wenn dem nur so wäre. Ein weiteres Haushaltsgesetz im Umfang von drei Billionen Dollar, das kürzlich vom von den Demokraten kontrollierten US- Repräsentantenhaus verabschiedet wurde, wird vermutlich in irgendeiner Form vom Senat übernommen werden; weitere Konjunkturpakete könnten folgen. Den Parlamentariern wird zunehmend bewusst, dass selbst in den USA viele Einzelstaaten und Kommunen nicht über die Mittel verfügen, um die Krise ohne Darlehen und Kreditbürgschaften oder direkte Transferleistungen der US-Bundesregierung zu überstehen.
Was für die USA gilt, gilt überall: Staatliche Programme zur Stützung der Wirtschaftsaktivität werden zu einem explosionsartigen Anstieg der Staatsverschuldung und der vom öffentlichen Sektor gehaltenen privaten Schuldtitel führen. In der Eurozone bahnt sich – bedingt durch die jüngste kontroverse Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts und die mangelnde Bereitschaft der acht Mitgliedstaaten der Neuen Hanse, eine Gemeinschaftshaftung für staatliche Schulden einzugehen – eine existenzielle Krise an. Der neue Pandemic-Crisis-Support-Mechanismus der Europäischen Union im Volumen von 240 Milliarden ist ein Tropfen auf den heißen Stein und beläuft sich auf bloße zwei Prozent vom BIP der Eurozone. Ohne zusätzliche Unterstützung durch die EU könnte Italien bald vor der unangenehmen Entscheidung stehen, aus dem Euro herauszufallen oder in der Eurozone zu verbleiben, ohne dabei die vom Lande benötigten fiskalischen Impulse setzen zu dürfen.
Zwar sieht ein neuer deutsch-französischer Vorschlag einen europäischen Wiederaufbaufonds im Umfang von 500 Milliarden Euro (3,6% vom BIP der EU) vor, der durch eine Kreditaufnahme der EU (deren Jahreshaushalt gerade mal 1% vom BIP des Blocks übersteigt) am Kapitalmarkt finanziert werden soll. Unklar ist, wie viel davon tatsächlich zusätzliche Mittel sind und über wie viele Jahre diese Ausgaben gestreckt werden sollen. Würde dieses Geld wie von der französischen und der deutschen Regierung gewünscht den in Haushaltsschwierigkeiten steckenden Mitgliedstaaten in Form von Zuschüssen zur Verfügung gestellt, liefe das auf eine Schuldenvergemeinschaftung hinaus, was die Möglichkeit eines Vetos der Neuen Hanse aufwirft. Sollte die Europäische Kommission jedoch stattdessen zu Marktbedingungen Kredite an diese Mitgliedstaaten vergeben, könnte sich Italien auf einer Überholspur heraus aus der Eurozone befinden.
Zum Glück gibt es womöglich noch eine andere Alternative. In den meisten hochentwickelten Volkswirtschaften wird ein großer Teil der zusätzlichen privaten Schulden, die während der Krise auflaufen, sich letztlich vermutlich im Eigentum der öffentlichen Hand wiederfinden, und zwar u.a. bei den Notenbanken, und das meiste davon wird nie zurückgezahlt werden. Um ihre Unabhängigkeit und politische Legitimität zu schützen, sollten die Notenbanken nicht als fiskalischer Prinzipal handeln. Und doch ist es im Falle von KMUs schlicht offensichtlich, dass Covid-19-bedingte Schulden erlassen werden müssen. Das nationale Finanzministerium wird die Notenbank für alle ihr entstandenen Verluste entschädigen müssen.
Was börsengehandelte Unternehmen angeht, so sollten die von öffentlichen Gläubigern gehaltenen Schulden in Eigenkapital umgewandelt werden, und zwar in Form nicht stimmberechtigter Vorzugsaktien, was den Eindruck minimieren würde, dass die Pandemie eine neue Ära zentraler Planwirtschaft eingeläutet habe. Auch hier wird das nationale Finanzministerium die Notenbank für alle ihr entstehenden Verluste entschädigen müssen. Allen neu ausgegeben öffentlichen Schuldverschreibungen sollte eine Option zur Umwandlung in Eigenkapital beigefügt sein. Die resultierenden Eigenkapitalinstrumente könnten Ansprüche auf einen Teil des Primärüberschusses der Regierung repräsentieren, oder ihre Verzinsung könnte an das BIP-Wachstum gekoppelt sein.
Die ärmeren Länder allerdings werden diese Möglichkeit nicht haben. Laut der Brookings Institution sind die Schwellen- und Entwicklungsländer bereits mit etwa elf Billionen Dollar im Ausland verschuldet und stehen in diesem Jahr vor Kosten von 3,9 Billionen Dollar für den Schuldendienst. Im April haben die Weltbank und der Internationale Währungsfonds vielen dieser Länder geringfügige Schuldenerleichterungen angeboten, und die G20 hat einem befristeten Zahlungsmoratorium für öffentliche Kredite zugestimmt, was den Weg für hunderte von privaten Gläubigern bereitete, dasselbe zu tun.
Doch reichen diese Formen der Unterstützung nicht aus, und sie kommen zu spät. Tatsache ist, dass die meisten dieser Kredite nie hätten vergeben werden dürfen. Der angemessene Weg, um Ressourcen in einkommensschwache Länder zu transferieren, sind Zuschüsse. Der Marshallplan nach dem Zweiten Weltkrieg umfasste ausschließlich Zuschüsse; heute könnten die Argumente für „Corona-Zuschüsse” an einkommensschwache Länder kaum stärker sein.
Im Rahmen der Initiative des IWF und der Weltbank für schwer verschuldete Länder (HIPC-Initiative) von 1996 erhielten 36 Länder einen vollständigen oder teilweisen Schuldenerlass. Es ist Zeit, diese Idee wieder aufzugreifen, angefangen mit einer umfassenden Runde von Schuldenerlassen für die weltärmsten Länder. Dies sollte vom IWF, der Weltbank, anderen multilateralen Gläubigern, nationalen Regierungen, offiziellen Stellen wie staatseigenen Unternehmen sowie privaten Gläubigern gehaltene Darlehen umfassen.
Schulden sind ein gefährliches Instrument. Die Welt nutzt sie schon viel zu lange, um heiklen, aber unvermeidlichen Entscheidungen auszuweichen. Inmitten einer beispiellosen globalen Krise muss sich hier etwas bewegen.
Willem H. Buiter ist ehemaliger Chefökonom der Citigroup und gegenwärtig Gastprofessor an der Columbia University. Aus dem Englischen von Jan Doolan. Copyright: Project Syndicate, 2020.
www.project-syndicate.org
"Und doch ist es im Falle von KMUs schlicht offensichtlich, dass Covid-19-bedingte Schulden erlassen werden müssen"
Die Schulden der geschäftlichen Kreditnehmer werden mal wieder sozialisiert, nachdem ihre Gewinne - genau wie vorher - wieder privatisiert werden.
Die Notenbanken werden einfach weiterdrucken und Schrottaktien aufkaufen und die Schulden an die Staaten weiterreichen welche diese dann wiederum bei den Privathaushalten eintreiben werden. Man muss den Geschäftsbereich ja leider weiterhin 'schützen'.
Wie immer dürfen im Endeffekt die Privathaushalte mal wieder zahlen, und die schützt Niemand. Ihre Rolle beschränkt sich halt weiterhin auf Arbeits-, Ausgabe- und Stimmvieh. Leider wird sich die Ausgaberolle aber immer mehr reduzieren...
Der IWF ist eh ein Mafialaden welcher 'Kredite' vergibt, aber daran Bedingungen knüpft welche die meisten Kreditnehmerstaaten im Endeffekt in den Abgrund treiben; z.B. Griechenland.
Auf die 'Unterstützung' durch die EU würde ich mal gar Nichts geben, die braucht Ihre Milliarden ja schliesslich um sie an den überflüssigen NATO-Verein und eine aufzustellenden EU-Armee zu verschwenden :(
Der deutsch-französische Vorschlag ist eh ein besserer Kredit und muss deshalb zurückgezahlt werden; und da die BRD der grösste Gläubiger ist wird sie auch am meisten daran verdienen. Ihre aktuellen Bestrebungen laufen sowieso seit längerer Zeit bloss noch auf die eigene Hegemonieausweitung hinaus. Rückhalt war mal, inzwischen wird - mal wieder - militärisch aufgerüstet!
Dazu gibt es übrigens viel Interessantes auf https://www.german-foreign-policy.com zu lesen.
Die Amis und ihre 'Verteidigungswaffen' kann man auch getrost nach Hause schicken. Wie deren Respekt für die EU-Vasallen aussieht konnte man ja in den letzten Jahren zur Genüge feststellen; man mag von Trump halten was man will, aber er redet nicht um den heissen Brei herum und zeigt Jedermann klar und deutlich was Sache ist!
Die Welt wird sich ändern. Ueberall rumort es da die Leute langsam die Nase voll haben weil sie immer mehr mitbekommen wie sie für dumm verkauft werden bzw. was sie noch an weiterer Ausbeutung und Unterdrückung zu erwarten haben.
In den 'oberen Etagen' wird man sich wohl besser sehr warm anziehen müssen.
Der Versuchsballon CoVid könnte nämlich ganze gerne nach hinten aufplatzen.
Schöne Rede und nur zu befürworten.
Schulden in Eigenkapital verwandeln, heißt in die inländische Wirtschaft investieren und in guten Zeiten Rendite zu erwirtschaften, statt nur auf Steuern und irgendwelche anonymen Fonds zu setzen. Im Rahmen der EU wurde sowieso zuviel privatisiert.
Was die ärmeren Länder anbelangt, mal davon abgesehen, dass der Marshallplan nicht nur Zuschüsse, sondern auch Kredite umfasste (auf Wikipedia, aber auch in altmodischen Lexika nachzulesen):
Wie kommt es, dass der Marshallplan funktioniert hat, aber die Aufbauhilfe an ärmste Länder, trotz Spenden und massiver ausländischer staatlicher Hilfen (in den letzten 40 oder 50 Jahren) nie gefruchtet hat?
Inwieweit war der Marshallplan anders?
Ee Gléck, dass dës Pandemie net zu enger Zäit opgetrueden ass wou d'Zënsen iwwer 10% louchen.