Denkanstöße zu einem neuen sozialistischen Projekt

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„Das war in tiefer Not die Hoffnung der von Hitler Drangsalierten gewesen. In einem kleinen, überschaubaren Land hätte ein vortrefflich demokratisches Gemeinwesen aufgebaut werden können.“ (Marcel Engel, 1979 (LL): Les lendemains qui chantent!). Mit diesem Zitat eröffnet ein LSAP-Abgeordneter seine Überlegungen zur Zukunft der Partei.

Ein Forumsbeitrag von Franz Fayot, LSAP-Abgeordneter

Am 14. Oktober 2018 hat die LSAP ein historisch schlechtes Wahlresultat eingefahren und drei von ihren bisher 13 Abgeordnetenmandaten eingebüßt. Somit befindet sich die LSAP fast auf Augenhöhe mit den Grünen, was noch vor fünf Jahren undenkbar war. Die Neuauflage der Dreierkoalition mit DP und Grünen bietet eine Gelegenheit zum Wiederaufbau der Partei, birgt allerdings auch beträchtliche Risiken, sollten die Fundamente der neuen Regierung nicht stimmen, die Ressorts nicht neu aufgemischt und die bitter nötige Erneuerung nicht erfolgen.

Der lange Abwärtstrend der LSAP, der seit 1989 anhält und nie wirklich gestoppt, geschweige denn gewendet werden konnte, hat viele Gründe, welche der Autor dieses Beitrags zusammen mit Marc Limpach, Ben Fayot und Christophe Schiltz in einer Analyse der Fondation Robert Krieps „Krise und Aufbruch der LSAP“ von 2014 untersucht hat.

Dazu gehören zweifelsohne das Verschwinden der traditionellen Arbeiterwählerschaft der Sozialisten sowie die Aufnahme durch alle Parteien bis rechts von der Mitte von sozialistischen Kernthemen, und somit eine Verwässerung der ideologischen Identität der Partei. Ein weiterer Grund liegt jedoch in meinen Augen in der Alternativlosigkeit gegenüber, und somit Mitschuld der Sozialisten am neoliberalen Mainstream und zügellosen Kapitalismus, welche seit den 1980er Jahren vorherrschen. Die Auswüchse des Finanzkapitalismus sind schuld an den explodierenden sozialen Ungleichheiten in unseren Gesellschaften, der sich anbahnenden Klimakatastrophe und des wieder erstarkten nationalistischen Populismus überall auf der Welt. Den Sozialisten und Sozialdemokraten wird jedoch keine Systemkritik mehr zugetraut, keine Durchsetzungskraft und Fähigkeit, radikale und glaubhafte Lösungen und Antworten auf die Sorgen und Ängste der Menschen in einer globalisierten und sich rasant verändernden Welt zu formulieren.

Dabei ist der Entwurf eines humanistischen Gegenprojekts zum endenden neoliberalen Zeitalter eigentlich wie geschaffen für die Sozialisten.

Wollen die Sozialisten wieder zu alter Stärke genesen, so müssen sie dringend zu ihren Fundamenten und zu einem neuen Narrativ finden

Back to the roots

Zu ihren Fundamenten: die LSAP muss wieder, an erster Stelle, die Partei der arbeitenden Menschen sein. Die Arbeit wird in Luxemburg gegenüber dem Kapital und dem Vermögen, insbesondere dem Immobilienvermögen, tendenziell hoch besteuert, und dieser Trend hat in den 2000er Jahren noch zugenommen, beispielsweise durch das Abschaffen der individuellen Vermögenssteuer 2007, aber auch durch die Verringerung der Betriebssteuer durch Steuerrulings einerseits, und durch das Herabsetzens des Steuersatzes im Namen der Konkurrenzfähigkeit andererseits.

Sollen die Ungleichheiten zwischen Arm und Reich und das Armutsrisiko zurückgefahren werden, muss unser Steuersystem grundlegend reformiert werden. Außerdem gilt es zu gewähren, dass Menschen von ihrem Lohn in Würde leben können, was jetzt schon mit einem Mindestlohn in Luxemburg nicht mehr möglich ist. Deshalb ist die Forderung nach einer Aufwertung des Mindestlohns und einer steuerlichen Freistellung auch vollkommen angebracht und zu Recht eine rote Linie der LSAP bei den Koalitionsverhandlungen. Angepasster Schutz im Arbeitsrecht, Fortbildung von Arbeitern, Hilfe und Umbildung für Menschen, welche ihren Job durch die digitale Revolution verlieren, dies sind weitere wichtige Aufgaben für Sozialisten im 21. Jahrhundert.

Doch auch andere Kernbereiche der Sozialisten, wie Kultur, Bildung, Hochschule, Justiz und Menschenrechte sowie Medienpolitik müssen wieder verstärkt wahrgenommen und glaubhaft vertreten werden im neuen sozialistischen Projekt.

Eine Vision für 2018

Ein Problem der Sozialisten überall in Europa ist die fehlende Artikulierung und Vermittlung einer klaren Vision an die Wähler. Wofür stehen wir, für welche Gesellschaft setzen wir uns ein?

Die LSAP braucht einen klaren roten Leitfaden, mehr noch als rote Linien. Doch die LSAP braucht vor allem eine starke Vision für Luxemburg und seine Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Luxemburg ist ein offenes, reiches Land mit fast 50 Prozent Ausländern. Es ist außerdem ein mehrsprachiges Land, in welchem die meisten Menschen zwei oder drei Sprachen beherrschen und auch täglich benutzen.

Der national-populistische Trend, der bei uns während des Wahlkampfs in der Hauptsache auf einer angeblichen Bedrohung unserer Sprache durch Ausländer beruhte – also auf offene oder unterschwellige Ausländerfeindlichkeit – hat in den Wahlen, und dafür muss man dankbar sein, nur wenig Gehör gefunden.

Die Politik kann, ganz bewusst, weiterhin auf ein Gesellschaftsbild des individuellen Wohlbefindens setzen – frei nach Margaret Thatchers „There is no society, There are only individuals.“ Dies wäre die Fortsetzung einer Politik, die sich ganz der seit Anfang der 1980er Jahre dominanten Wirtschaftsdoktrin, dem Neoliberalismus, verschreibt. In einer solchen Gesellschaft dürfen die Reichen und Wohlhabenden noch reicher werden, die Mittelklassen trotz Sozialtransfers keine Wohnung in einem monegassierten Land und keinen Weg durch den Stau finden, die Natur weiter verschmutzt, alte Bauwerke weiter abgerissen und die Kultur als Belustigung für die „happy few“ angesehen werden.

Investitionen in das Gemeinwohl

Oder sie kann resolut in das Gemeinwohl investieren: den öffentlichen Transport verbessern, den Menschen wieder eine erschwinglichen Wohnung garantieren, Umwelt, Wasser und Luft schützen, Kultur und Bildung als zentrale Instrumente der Emanzipation von mündigen und freien Bürgern ansehen, freie und starke Medien als wichtiger Bestandteil einer gut funktionierenden Demokratie betrachten. Diese alternative – dem Gemeinwohl verpflichtete – Politik, muss in meinen Augen in Zukunft die Priorität der LSAP sein.

Für die LSAP stellen sich hier einige Schicksalsfragen. Genügt es, den Menschen immer weitere Geld- und Sachleistungen zu versprechen, und diese gar durchzusetzen?
Sicher ist es wichtig, Klein- und immer mehr auch Mittelverdienern durch Sozialtransfers ein würdiges Leben zu garantieren. Doch was passiert, wenn die Rahmenbedingungen nicht mehr stimmen? Wenn Wohnungen jedes Jahr, wegen zügellosem Wachstum, 7 – 9 Prozent teurer werden, und sich diese mit Ausnahme von Großverdienern keiner mehr leisten kann? Wenn Menschen im Stau stehen? Das Bildungssystem nicht mehr an die Bedürfnisse der Zeit angepasst ist, die Kultur nicht ernstgenommen wird als Gegengift zu „fake news“ und Attacken auf unsere Demokratie?

In diesem Zusammenhang brauchen wir auch eine andere Debatte über das Wachstum. Das lineare, Ressourcen-, Mensch- und Land-intensive Wachstum, das allein durch das BIP gemessen wird, hat ausgedient. Viele Wirtschaftswissenschaftler und internationale Organisationen wie die Weltbank und die OECD arbeiten heute schon an Modellen, welche sowohl der Umwelt, der sozialen Frage, der Qualität der Bildung, der Infrastrukturen sowie des subjektiven Lebensgefühls („bien-être“) in gleichem Maße Rechnung tragen. Mit der Rifkin-Studie haben wir auch bei uns zulande angefangen, über ein neues wirtschaftliches Modell nachzudenken, führen die Wachstumsdebatte jedoch weiter in den alten Denkschemen.

Die Frage des Zusammenlebens

Darüber hinaus geht es um eine Frage des Zusammenlebens, des „guten Lebens“. Die Sozialisten müssen sich in jedem Bereich des öffentlichen Lebens die Frage stellen, wie die natürlichen, sozialen Bedürfnisse der Menschen nach Empathie, Kommunikation, Zusammenleben wieder verstärkt berücksichtigt werden können. Sei es im Bereich der Stadtplanung, des öffentlichen Transports, der Schule, der Kultur, oder eben der Wirtschaft.

Dabei spielen Politikbereiche wie die Kultur und die Bildung eine ganz zentrale Rolle: Gebildete, durch Kultur emanzipierte Menschen sind immun gegen Populisten und Nationalisten, sind resistent gegen Schicksalsschläge, zeigen sich empathisch und solidarisch gegenüber Mitmenschen jeder Herkunft.

Auch das Sicherheitsgefühl und der Umweltschutz dürfen in dieser sozialistischen Vision einer guten Gesellschaft nicht zu kurz kommen und gehören ebenso dazu wie die Frage der sozialen Gerechtigkeit.

roger wohlfart
3. November 2018 - 19.23

Die 3 von der LSAP -Tankstelle! Hoffentlich bleibt es bei der Einsicht und dem Vorsatz, dass die LSAP wieder die Partei der arbeitenden Klasse wird. Ein "back to the roots" ist überfällig. Wenn nicht, droht beim nächsten Mal das Aus.