Eine Mobilisierung in Bevölkerung und Wissenschaft, in Kombination mit verschiedenen internationalen Entwicklungen, sorgten dafür, dass das Projekt bei der damaligen Regierungspartei der LSAP keine Mehrheit mehr fand.[1] Anschließend richtete sich der Widerstand gegen den Bau der Atomzentrale in Cattenom, die 1986 in Betrieb genommen wurde. Zusammen mit Vertretern aus dem Rheinland, dem Saarland und Lothringen kam es zu einer grenzüberschreitenden Vernetzung und der Gründung der Internationalen Aktionsgemeinschaft gegen Cattenom (IAC). 2011 nach der Atomkatastrophe von Fukushima wurde dann das „Nationale Aktiounskomitee géint Atomkraaft“ gegründet. Bis zur letzten Woche umfasste dieses „Aktiounskomitee“ mehr als 30 Organisationen und Parteien. Wie Dan Michels bereits 2015 in einem Forum-Beitrag aufwies, hat sich der Atom-Widerstand in Luxemburg in den letzten 40 Jahren zu einem nationalen Konsens entwickelt. Ein Konsens, der sich „quer durch alle Bevölkerungsschichten“ zieht.[2]
Mit dem Austritt der CSV und der ADR aus dem „Aktiounskomitee“ endet die Zeit des politischen Konsenses. Während sich ADR-Präsident Fred Keup dem Narrativ der 1970er-Jahre bedient, „soss ginn d’Luuchten aus“, orientiert sich CSV-Präsident Claude Wiseler an den Forderungen seiner deutschen Schwesterpartei und zeigt sich einer Laufzeitverlängerung der Atommeiler offen.[3]
Spricht man sich nun für eine Laufzeitverlängerung aus, muss man sich auch der Verantwortung vor der eigenen Haustür stellen und kann eine solche Forderung nicht nur auf weit entfernte Meiler begrenzen. Die belgische Atomzentrale in Tihange befindet sich in einer Entfernung von rund 90 Kilometer Luftlinie und die belgische Regierung entschied sich kürzlich dafür, die Laufzeit der 1985 in Betrieb genommenen Atomzentrale um zehn Jahre zu verlängern. Die französische Atomzentrale in Cattenom befindet sich nur rund 11 Kilometer Luftlinie von der luxemburgischen Grenze. Immer wieder werden bei diesem Atomreaktor Störungen gemeldet. So berichteten im April dieses Jahres mehrere Quellen von Rissen in den Leitungen des Kühlsystems.[4] Soll nach Ansichten der CSV und ADR „das wohl größte einschätzbare Risiko für das Weiterbestehen des Landes“ also weiterbetrieben werden?[5]
36 Jahre nach dem Super-GAU von Tschernobyl ignorieren die neuen Atombefürworter auch das vom deutschen Risikoforscher Ortwinn Renn und Direktor des Potsdamer „Institute for Advanced Sustainable Studies“ bezeichnete „systematische Risiko“ in der Atomenergie.[6] Damit meint er, die großen Folgen, welche Nuklearkatastrophen haben könnten und der Film „An Zéro: Comme le Luxembourg a disparu“ für Luxemburg cineastisch illustrierte. Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen der Max-Planck-Gesellschaft haben bereits nach der Fukushima-Katastrophe errechnet, dass solche Unfälle alle zehn bis 20 Jahre passieren könnten. Dies ist 200 Mal öfters, als bis zu diesem Zeitpunkt angenommen.[7] Die Kosten der Fukushima-Katastrophe werden je nach Studie auf 223 bis 758 Milliarden US-Dollar geschätzt. Eine Erklärung dafür, warum kein privatwirtschaftlich geführtes Unternehmen Kernkraftwerke versichert und die finanziellen Folgen der Katastrophen in Harrisburg (1977), Tschernobyl (1986) und Fukushima (2011) größtenteils von der Allgemeinheit übernommen werden mussten.
Auch für die Endlagerung von Atommüll gibt es keine Lösung. In unserem Nachbarland Deutschland soll bis 2031 ein Endlager gefunden werden, wo hoch radioaktive Abfälle ab 2050 gelagert werden könnten. Bislang gibt es weltweit kein atomares Endlager. Ende Juni führt der frühere luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker diese Bedenken auch an, um seine Position in Sachen Atomstrom klarzustellen: „Esou laang wéi d’Ennversuergung vum Nuklearmaterial net […] geklärt ass, war Lëtzebuerg ëmmer der Meenung, et soll een daat net maachen, an ech sinn där Meenung nach ëmmer.“[8]
Sogar wenn man die Augen vor Radioaktivität und strahlenden Altlasten schließt, müsste ein Blick in die ökonomische Bilanz von Atommeilern reichen, um von Laufzeitverlängerungen abzusehen. Aus wirtschaftshistorischer Perspektive ist mittlerweile bewiesen, dass die Atomkraft nie eine Wettbewerbsfähigkeit besaß.[9] Auch heutzutage sind Atominvestitionen nur noch durch staatliche Zuschüsse finanzierbar.[10]
Unterschätzt wird auch Europas Abhängigkeit von Russland in der Nukleartechnologie. Laut der Diplom-Geoökologin Anke Herold ist Europa bei der Nukleartechnologie noch stärker von Russland abhängig als bei Gas und Öl. 40 Prozent Prozent der europäischen Importe von natürlichem Uran kommen aus Russland oder Kasachstan.[11] 18 EU-Reaktoren können auch nur mit russischen Brennelementen betrieben werden, worauf das Nationale Aktionskomitee in einer kürzlich veröffentlichen Pressemitteilung hinwies.[12] Dies erklärt möglicherweise auch, warum der zivile russische Nuklearsektor bis jetzt von den EU-Sanktionen ausgenommen wurde. Auch das Problem der drohenden Gasknappheit kann nicht durch eine Laufzeitverlängerung von Atommeilern gelöst werden. Von den im Jahr 2020 von Deutschland importierten rund 860 TWh Erdgas könnten mithilfe der Atomenergie nur rund 8,7 TWh Erdgas eingespart werden. Dies ist rund ein Prozent des deutschen Jahresverbrauchs. Kernkraftwerke könnten höchstens bei der Stromerzeugung behilflich sein, nicht aber beim Heizen von Gebäuden.[13]
Einen weiteren Beleg gegen längere Laufzeiten für Atomkraftwerke lieferte eine Studie, die im Auftrag der Ökoenergiegenossenschaft „Green Planet Energy“ durchgeführt wurde. Aufbauend auf französischen Daten, kommt sie zum Schluss, dass durch eine Laufzeitverlängerung große Mengen an Ökostrom verloren gehen würden. Diese Studie liefert einen weiteren Beweis, dass Atomkraft nie nachhaltig sein kann, wie es leider am vergangenen Mittwoch von einer Mehrheit im EU-Parlament entschieden wurde. Weder beim Klimaschutz noch beim Weg in die Unabhängigkeit von fossilen Energieimporten kann uns die Atomenergie weiterbringen.[14]
Aktuelle Analysen über die Kernenergie zeigen also, dass eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomzentralen eher einem rückwärtsgewandten als einem zukunftsorientierten Politikansatz ähnelt. Die aktuellen Probleme können nicht durch Laufzeitverlängerungen von Atommeilern gelöst werden. Sie würden die sozial-ökologische Transformation unserer Wirtschaft verlangsamen, anstatt sie zu beschleunigen. In diesem Sinne sollten CSV und ADR ihre Mitgliedschaft im „Nationalen Aktiounskomitee géint Atomkraaft“ wieder aufnehmen und zu dem in Luxemburg seit Jahrzehnten geltenden Slogan zurückkehren: „Atomkraaft? Nee merci!“
[1] Pulli, Sacha, „Das gescheiterte Jahrhundertprojekt: Die Geschichte der Atomzentrale in Remerschen von 1973-1979“, Luxemburg 2020
[2] Michels, Dan, „Eine beachtliche Kontinuität: Über 40 Jahre Atom-Widerstand in Luxemburg“, in: Forum Nr. 347 (2015), S. 40
[3] Radio 100,7: Molitor, Maurice, 2022, „CSV an ADR verlossen Atomkraaft-Aktiounscomité“, online verfügbar unter: https://www.100komma7.lu/article/aktualiteit/csv-an-adr-verloossen-atomkraaft-aktiounscomite?fbclid=IwAR1YD55aurQJsG6BTV-l26K-TM04SFPwGCyqDvc_gqqtB3aC4e-HJb8vz1w
[4] Majerus, Stéphanie, „Fissures“, in: D’Lëtzebuerger Land, 15. April 2022
[5] Muller, Christian, „Falsche Frage“, in: Tageblatt, 23. September 2014
[6] Renn, Ortwin, „Das Risikoparadox: Warum wir uns vor dem Falschen fürchten“, Frankfurt am Main 2014
[7] Lelieveld, Johannes, Lawrence, Mark and Kunkel, Daniel, „Global risk of radioactive fallout after major nuclear reactor accidents“, in: Atmospheric Chemistry and Physics, Potsdam 2012
[8] RTL Radio Lëtzebuerg, 2022, Background am Gespréich, 25.6.2022
[9] Radkau, Joachim und Hahn, Lothar, „Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft“, München 2013
[10] Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung, Wochenbericht, „Zu teuer und gefährlich: Atomkraft ist keine Option für eine klimafreundliche Energieversorgung“, Berlin 2019
[11] Deutschlandfunk, 2022, „Atomkraft für die Energiesicherheit: Was kann Kernenergie in Deutschland aktuell leisten?“, online verfügbar unter: https://www.deutschlandfunk.de/kernenergie-atomkraft-reaktoren-deutschland-energiesicherheit-drosselung-russland-gas-100.html
[12] Nationalen Aktiounskomitee géint Atomkraaft, 2022, „Kein grünes Finanz-Label für Atom und Gas – Etikettenschwindel mit der Parlaments-Abstimmung Anfang Juli stoppen!“, Pressemitteilung, 30. Juni 2022
[13] Betghe, Philipp, „Kernkraftwerke können höchstens ein Prozent des Erdgases ersetzen“, in: https://www.spiegel.de/wissenschaft/technik/energiekrise-warum-kernkraftwerke-den-erdgasbedarf-nicht-ersetzen-koennen-a-a5e9e2fd-9173-4eea-b536-6772e9362c96
[14] Green Planet Energy, „Einfluss einer Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken auf die Abregelung erneuerbaren Energien am Beispiel Frankreich“, Berlin 2022
@Pier
"Wou huelen déi dooten dann hieren Stroum erbei,
lauter topécht Gelaabers."
Är gutt iwwerluechten Argumenter an dëser Debatt intrigéiere mech, ech géif gäre Är Newsletter abonéieren.
Wou huelen déi dooten dann hieren Stroum erbei,
lauter topécht Gelaabers.
Die AKWs bekommen ihren Treibstoff auch aus Russland und Kasachstan.
Bekamen, pardon.
Was wollen wir? Das Klima retten (sehr schnell!!) und die AKW's nutzen bis wir Alternativen haben ( Fusion ) oder weiter Gas und Kohle(!) verbrennen? Die Biogas-Wind-und Solaranlagen sind KEINE Alternative ,nur Zusatzenergie die genutzt wird wenn sie denn zur Verfügung steht.In dieser Zeit können die AKW's gedrosselt werden.
Solar- und Windkraft sind volatile Energien,soll heißen sie stehen nicht immer zur Verfügung und wenn doch,wird der Strom nicht unbedingt gebraucht.So kommt es öfter vor,dass Windräder gestoppt werden müssen weil niemand weiß wohin mit dem Strom.Aber die Betreiber bekommen trotzdem ihr Geld so als würden die Dinger produzieren! Warum wird das nie erwähnt? Um ein AKW auszugleichen müsste das ganze Saarland mit Windrädern zugespargelt werden usw. Biogas macht nur mit Abfällen Sinn denn wie wir von Putin erfahren haben brauchen wir unsere Felder nicht für Biomasse und Biosprit,sondern für Essbares!