In regelmäßigen Abständen wird die Öffentlichkeit von Armutsforschern, Wohltätigkeitsorganisationen, Statistikbehörden usw. informiert, wie sich die Armut in der Welt, in der EU, in unserem Lande entwickelt.
Von Jos Schürr
Ich bin jedes Mal konsterniert, aber auch verunsichert, weil mir die Definition von dabei verwendeten Begriffen für falsch erscheint (und das geht nach Nachfrage nicht nur mir so) und weil ein Gesamtkonzept für all die Maßnahmen zur Linderung und Beseitigung von Armut für mich nicht erkennbar ist.
Ende Oktober 2017 hat das Statec die Luxemburger Öffentlichkeit wieder einmal informiert, wie hoch die Armutsgefährdung in unserem doch so reichen Land ist. 19,7 Prozent der Einwohner waren 2016 armutsgefährdet. Das sind deutlich mehr als in Deutschland (15,1 Prozent). Und verglichen mit dem Vorjahr, also von 2015 auf 2016, ist die Zahl in unserem Land um 1,2 Prozent gestiegen, wo sie doch im Krisenland Irland gesunken ist.
Wie das Wort «armutsgefährdet» sagt, geht es um Personen, die nicht als arm gelten, die aber drohen, arm zu werden. Die offizielle Definition hingegen lautet: Als armutsgefährdet gilt eine Person, die mit weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens (Median) der Gesamtbevölkerung (von Personenhaushalten) auskommen muss. Damit sind in den obigen Zahlen auch die Personen enthalten, die bereits arm sind, und nicht nur die, die nicht arm sind, jedoch drohen, arm zu werden.
Wir werden regelmäßig informiert, dass die «Reichen» immer reicher und die «Armen» auch reicher werden, dass aber der Reichtum der «Reichen» wesentlich stärker wächst als der der «Armen». Und das bedeutet:
Es werden alle reicher; deswegen steigt das «mittlere Einkommen»; es steigt aber schneller als das der Bevölkerung, deren Einkommen unter dem mittleren Einkommen liegt; und deshalb steigt der prozentuale Anteil der Armutsgefährdeten.
Das ist Statistik. Das ist die Erklärung für den Anstieg der Armutsgefährdung in Luxemburg von 2015 auf 2016. Und deshalb wird es in 2017 wohl einen weiteren Anstieg gegeben
haben.
Wie kann man nun erreichen, dass die Armutsgefährdung (nach obiger Definition) sinkt oder gar gegen null tendiert? Nehmen wir mal an, der Reichtum in Luxemburg würde in allen Bevölkerungsschichten explodieren.
– 10 Prozent der Bevölkerung haben ein jährliches Einkommen von 1.000.000 Euro.
– 10 Prozent der Bevölkerung haben ein jährliches Einkommen von 2.000.000 Euro.
– 20 Prozent der Bevölkerung haben ein jährliches Einkommen von 3.000.000 Euro.
– 30 Prozent der Bevölkerung haben ein jährliches Einkommen von 4.000.000 Euro.
– 20 Prozent der Bevölkerung haben ein jährliches Einkommen von 5.000.000 Euro.
– 6 Prozent der Bevölkerung haben ein jährliches Einkommen von 7.000.000 Euro.
– 4 Prozent der Bevölkerung haben ein jährliches Einkommen von 10.000.000 Euro.
Dann liegt das mittlere Einkommen der Gesamtbevölkerung bei 3.920.000 Euro; 60 Prozent davon sind 2.352.000 Euro; folglich sind die 10 Prozent, die eine Million, und die 10 Prozent, die zwei Millionen Euro Einkommen haben, ex definitione armutsgefährdet.
Ergebnis: Selbst ein explosives Reicherwerden aller Gesellschaftsschichten lässt die sog. Armutsgefährdung nicht sinken.
Unsinniger Umgang mit Begriffen
Die Armutsgefährdung sinkt nur dann, wenn sich die jährlichen Einkommen aller Privatpersonen angleichen; sie wird nur dann nicht mehr existent sein, wenn alle Privatpersonen dasselbe jährliche Einkommen haben. Ist das ein erstrebenswertes Ziel? Gleichschaltung, das ist eine der Urideen des Kommunismus (ausgenommen natürlich für die Funktionärsklasse).
Und wo gibt es noch Kommunismus? Nicht mehr in Russland, nicht mehr in China, auch fast nicht mehr in Kuba, vielleicht noch in Nordkorea? Und warum ist der Kommunismus nahezu ausgerottet? Auch weil er Armut produziert (ausgenommen natürlich bei der Funktionärsklasse).
Ich glaube, mit den bisherigen Ausführungen gezeigt zu haben, wie unsinnig mit dem Begriff «Armutsgefährdung» umgegangen wird; er sollte aus der Diskussion über die Armut verschwinden.
Mit der Verbannung des Begriffes Armutsgefährdung aus der Armutsdiskussion soll jedoch nicht geleugnet werden, dass Armut, auch in unserem Land, existiert. Im Gegensatz zu der glasklaren, wenn auch falschen Definition der sog. Armutsgefährdung findet man eine Vielzahl von Definitionen des Begriffes «Armut».
Die Weltbank sagt: Wer weniger als 1,25 US-Dollar pro Tag zur Verfügung hat, ist arm; das wären dann circa 1,2 Milliarden Menschen auf der Welt. Die Vereinten Nationen sagen: Wer weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag zur Verfügung hat, ist arm; das wären dann 1,5 Milliarden Menschen auf der Welt. Wenn man diese beiden Definitionen als realistisch einschätzt, dann dürfte es in Luxemburg, in Deutschland, in anderen EU-Ländern so gut wie keine Armut geben.
Die FAZ schreibt aber: Circa 5 Prozent der in Deutschland ansässigen Personen sind arm; das wären dann zwischen 3,5 und 4,0 Millionen Menschen. Und im Luxemburger Wort ist zu lesen: Das Statec sagt, jeder Zehnte (in Luxemburg Ansässige) ist dauerhaft arm; das wären dann rund 60.000 Personen.
Für Luxemburg gibt es dann noch das sogenannte Referenzbudget. Das sagt aus, wie viel Einkommen man haben müsste, um ein einigermaßen sorgenfreies Leben führen zu können; es liegt z.B. für alleinstehende Frauen oder Männer in etwa zwischen 1.900 und 2.000 Euro pro Monat.
Daraus errechnet sich, dass alle RMG-Empfänger trotz zusätzlicher Sozialtransfers (Mietzulage, Kindergeld usw.) als arm gelten, während die Empfänger des Mindestlohns für Unqualifizierte zusammen mit den zusätzlichen Sozialtransfers die Armutsgrenze überschritten hätten. Und trotzdem bezeichnet Arbeitsminister Nicolas Schmit die Mindestlohnempfänger de facto als arm (LW vom 6./7. Januar 2018, S. 3) und fordert, den Mindestlohn deutlich zu erhöhen. Dem antwortet Michel Wurth, Präsident der UEL, es «würde selbst ein drastischer Anstieg des Mindestlohnes den Menschen kaum helfen … Die wahren Probleme des Landes, allen voran die exorbitanten Kosten fürs Wohnen, würden nicht angegangen» (LW vom 20./21. Januar 2018, S. 15).
Und das heißt nichts anderes als, ihr lieben Politiker, senkt doch endlich die Kosten fürs Wohnen, dann sinkt die Armutsgrenze und eine Erhöhung des Mindestlohns ist nicht nötig. Und wenn einer arbeitslosen Alleinerziehenden eine für ihre Situation große, komfortable
und preiswerte Wohnung besorgt wurde, sie daraufhin RMG erhält und dann ihr Frühstück nicht mehr selbst zubereitet, sondern Tag für Tag mit Kind in einem Café frühstückt, dann fragt man sich doch, ob RMG-Empfänger noch als arm gelten können.
Wie senkt ein Politiker denn die Wohnungskosten? Per Gesetz?Über Zuschüsse und Subventionen? Wie soll das aussehen in einer freien Marktwirtschaft? Wenn ich für mein Appart. 1500€ / Monat verlange und die Kunden laufen mir dafür
die Türe ein,dann kann ich auch mehr verlangen. Solange die Preise bezahlt werden,steigen sie auch.
Angebot/Nachfrage.... Sozialer Wohnungsbau? - Das wäre eine Möglichkeit.Allein die Bauplatzpreise
werden auch von Immobilien-Haien bestimmt solange es sich um Privatgrundstücke handelt.
Wenn jemand acht Stunden pro Tag arbeitet muss er von diesem Geld auch leben können.Und zwar hier
und nicht in Bangladesch.Und leben heißt eben auch essen und trinken usw. Nicht nur Miete zahlen.