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Zitrone im Gesicht: Londons aufgeblähte Selbst- und Fehleinschätzung

Zitrone im Gesicht: Londons aufgeblähte Selbst- und Fehleinschätzung

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Was für ein Coup: Gleich zwei Banken bei Tageslicht überfallen, nicht erwischt worden – und das Ganze ohne jede sichtbare Schutzmaßnahme. Das einzige Problem: Um Mitternacht klingelt die Polizei bei besagtem Bankräuber und nimmt ihn fest. Die Kameraaufnahmen haben ihn verraten. Seine Antwort: «But I wore the juice» («Ich habe doch Saft aufgetragen»). Es stellt sich heraus: Er ging davon aus, dass ein mit Zitronensaft eingeriebenes Gesicht nur verzerrt von Kameras aufgenommen wird. Den Bankräuber gibt es tatsächlich. Er hat 1999 zwei Forscher zu einer sozialpsychologischen Studie inspiriert, die den nach ihnen benannten «Dunning-Kruger-Effekt» bekannt werden ließ. «Ahnungslos, ohne es zu wissen», lautet die Bilanz der Studie.

Blickt man auf die gegenwärtige politische Bühne und die sozialen Medien, starrt einem so manch zitroniges Gesicht entgegen. Was im Falle des Bankräubers noch für Heiterkeit sorgen kann, verliert im politischen Kontext schnell jegliche Leichtigkeit. Ein arrogantes, besserwisserisches Plädoyer für eine von Eliten geführte Demokratie? Nein, im Gegenteil. Denn der Dunning-Kruger-Effekt bezieht sich nicht nur auf «Unfähige». Auch «Intelligente» können komplett an der Realität vorbei leben und dabei absurd selbstsicher sein. Und genau diese übersteigerte Selbstsicherheit führt zu einem zentralen Problem, das aus vielen Gründen oft nicht angesprochen wird: Eine aufgeblähte Selbsteinschätzung verhindert, sich eingestehen zu müssen, verdammt viel einfach nicht zu wissen oder nicht wissen zu können.

Trotz des technologischen Fortschrittes, trotz des Zugriffs auf fast sämtliche verfügbaren Wissensquellen und trotz enormer Recherche-Schnelligkeit. Das Resultat: eine Vielzahl von haarsträubenden Fehleinschätzungen, unter denen meistens nicht die mit der Zitrone im Gesicht leiden, sondern ihr Umfeld. Ein Paradebeispiel hierfür sind der Brexit und die damit verbundenen Fake-News-Kampagnen. Anderen den Schlamassel einbrocken, sich damit brüsten und am Ende ein unkontrollierbares Chaos provozieren. Die Liste der passenden Namen beginnt mit David Cameron, führt über Boris Johnson, die etlichen Boulevard-Medien bis hin zum «Joe Bloggs» von nebenan, der alles und nichts weiß, aber selbstsicher für «Leave» gestimmt hat.

Das Erinnern an den Dunning-Kruger-Effekt ist insofern nützlich, weil es alle gesellschaftlichen Schichten in die Verantwortung nimmt. Jeder kennt diese Art von Mensch: nie verlegen, keine Spur von Selbstzweifel, aber alles besser wissen. Gerade die jüngsten Brexit-Debatten veranschaulichen diese hässliche Seite des Dunning-Kruger-Effekts besonders gut. Die Konfrontation mit der eigenen Unfähigkeit führt nicht zu einer Infragestellung der gewählten politischen Strategie, sondern vielmehr zu einem sturen «Weiter so». Die Unfähigkeit, die eigene Inkompetenz einschätzen zu können, mündet deswegen in einem äußerst lästigen und wohlbekannten Phänomen: Die Schuld haben stets die anderen, auf den Zitronensaft fällt man selbst nicht herein. Im Falle des Brexit könnte dies dazu führen, dass London am Ende sagen muss: «But I wore the juice.»

J.C.KEMP
17. Januar 2019 - 14.37

BoJo war der berechnende Karrierist, der meinte, er werde nach Camerons Niederlage dessen Sessel übernehmen, in einer Fortsetzung der konservativ-liberalen Koalition. Dann wäre es auch mit Sicherheit nicht zu einem Artikel 50 gekommen, wegen der Ablehnung durch die Liberalen. Es kam anders als er dachte.

Grober J-P.
17. Januar 2019 - 10.23

Die Zitronengesichter und Brandstifter halten sich vornehm zurück, die müssten doch jetzt vorlegen oder? Farage, Johnson und Co. sind doch nur "Luftbläser".

Jacques Zeyen
17. Januar 2019 - 9.50

Richtig.
War die eiserne Lady nicht das Paradebeispiel britischer Arroganz.Die ganze Welt liegt uns zu Füßen,so glauben wir meinen zu müssen. G.B.Shaw meint,ein wohlerzogener Engländer wisse nichts von der Welt-außer dem Unterschied zwischen Richtig und Falsch. Tatsächlich halten sie ihre Ignoranz für eine Tugend.
Vielleicht handelt es sich aber auch um eine Art kognitive Dissonanz.Jener Geisteszustand der sich einstellt wenn man,trotz schlechtem Gewissen oder Bauchgefühl,an seiner falschen Theorie festhält und in den Abgrund stürzt.