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Neue Zeiten

Neue Zeiten
(Alain Rischard/editpress)

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Der Siegeszug des Fußballs begann Ende des 19. Jahrhunderts, als er sich vom Hobby einiger Eliten zum Breitensport entwickelte. Fußball wurde zum Spiel des „kleinen Mannes“, der Verein war dabei eine Art Lebensanschauung.

Der Begriff Arbeiterverein entstand ebenso wie das Bild einer Sportart für die unteren sozialen Schichten.
Im Fußball des 21. Jahrhunderts ist wenig Platz mehr für Nostalgie. Die Fans machen zwar noch sehr wohl einen Unterschied zwischen einem Traditionsverein und einem Werksklub aus der Retorte, beide funktionieren aber nach demselben Muster. Sie sind zu Wirtschaftsunternehmen mutiert. Die Spieler ihrerseits profitieren vom System und sind 20 Jahre nach dem Bosman-Urteil zu Ich-AGs geworden. Sie kicken dort, wo es am meisten zu verdienen gibt und ihr Lebensstil hat nichts mehr mit dem der Fans zu tun. Vereinstreue ist selten geworden im Millionengeschäft Fußball.
Im Mutterland des Fußballs begann die Zeitenwende mit der Hillsborough-Katastrophe 1989, als 96 Menschen im Stadion zu Tode gequetscht wurden. Aus dem Unglück resultierte der Taylor Report, der den Fußball auf der Insel nachhaltig veränderte. Dabei war dieser Bericht auf Lügen aufgebaut, denn erst das Versagen der Sicherheitskräfte machte die Katastrophe möglich.

Der Taylor-Bericht sorgte dafür, dass sich das Publikum in den Stadien veränderte. Die britische Regierung beschloss die konsequente Abschaffung von Stehplätzen. Der „kleine Mann“ konnte sich die besser überwachbaren und v.a. viel teureren Sitzplätze nicht mehr leisten.

Heute muss man in England für die billigste Eintrittskarte in der Premier League mindestens 50 Euro auf den Tisch legen. Geht es nach den Machern, soll der Besuch eines Fußballspiels nach ähnlichem Muster wie ein Ausflug in den Vergnügungspark verlaufen. Der Fan soll Eintritt bezahlen, einkaufen sowie essen und trinken gehen. Er soll konsumieren und bekommt dafür neben 90 Minuten Fußball ein buntes Rahmenprogramm serviert. Die Stadien-Neubauten sind allesamt wahre Konsumtempel. Für die neue Kundschaft steht derweil das Erlebnis Stadionbesuch im Vordergrund, nicht mehr das Spiel. Der neue Fan ist finanzstark und feiert zuallererst sich selbst, erst dann die Mannschaft. Das ist zwar schlecht für die Stimmung im Stadion, hat aber neben dem finanziellen Aspekt noch andere Vorteile. Denn diese Art von Zuschauer ist in der Regel pflegeleicht und berechenbar. Ganz im Gegensatz zu alt eingesessenen Supportern in der Kurve.

Das Publikum ist ein Baustein hin zum genormten Hochglanzprodukt Fußball, in dem es kein Anecken mehr gibt. Die Spieler sollen dabei genauso genormt sein wie die Fans. Schöne Bilder fürs TV, darum geht’s, denn nur wenn das Produkt vorhersehbar ist, investieren die Fernsehsender immer mehr Geld in die Übertragungsrechte.
Für den „kleinen Mann“ ist da kein Platz mehr. In England spricht man seit geraumer Zeit von den „new terraces“, den neuen Zuschauer-Rängen, die die traditionellen Fußballfans eingenommen haben bzw. einnehmen mussten. Gemeint sind die Plätze in der Kneipe vor den Bildschirmen mit der Live-Übertragung.

pmichel@tageblatt.lu