Einen Aufschrei der Entrüstung löste die provokante Bezeichnung der Stahlindustrie durch die damalige Wirtschaftsministerin Colette Flesch in ihrer Eröffnungsrede zur Herbstmesse 1983 aus (zur Erinnerung: Die DP-Politikerin wurde auch durch ihren zeitlosen Ausspruch «den Avenir läit am Futur» rhetorisch bekannt), die sich damals nicht nur im Abgesang auf die nationale Stahlindustrie übte, sondern forderte, dieser solle möglichst schnell ein Ende bereitet werden, um die somit frei werdenden Ressourcen anderweitig sinnvoller einzusetzen.
Sechs Jahre zuvor, 1977, wurde im Rahmen der Tripartite, die zwischen luxemburgischen Stahlherren, luxemburgischen Gewerkschaften und Luxemburger Regierung breite Möglichkeiten zur Problemlösung im Rahmen des Sozialdialogs erlaubte, die heute in diesem Ausmaß kaum noch vorstellbar sind, ein Instrument geschaffen, das während vier Jahrzehnten dafür sorgte, dass eine soziale Katastrophe ausblieb und der Abbau in der damals und auch später wiederholt konjunkturell krisengeschüttelten Stahlindustrie ausblieb.
Vorruhestand und weitere Kriseninstrumente
Neben anderen Vorruhestandsregelungen und weiteren Kriseninstrumenten erlaubte die «Préretraite-solidarité» einen sanften Abbau von Personal in der nationalen Stahlindustrie und ermöglichte dieser in gewisser Weise (mit Unterstützung der Allgemeinheit, sprich des Staates) das Überleben.
Dieser Tage gab es – kurz nach dem eher traurigen Jubiläum des 20. Jahrestages der Schließung des letzten Luxemburger Hochofens auf Belval (wir berichteten ausführlich) – gleich mehrere wichtige Nachrichten aus der Stahlbranche.
So wurde gestern bekannt, dass durch eine Fusion von ThyssenKrupp Steel (Deutschland) und Tata (Indien/Großbritannien) ein ernst zu nehmender Konkurrent der aktuellen Nummer eins, ArcelorMittal, entstehen wird. In Zeiten von Überangebot auf dem Stahlmarkt und eines verstärkten Engagements europäischer Stahlschmieden in spezialisierten Produkten (die nicht von Billiglohnproduzenten hergestellt werden können) wird die neue Zusammenarbeit eine verstärkte Konkurrenzsituation für jenes Unternehmen bedeuten, das in Luxemburg mit 4.200 Angestellten immer noch der größte industrielle Arbeitgeber ist und seinen Hauptsitz hierzulande hat.
Zuversicht gegenüber dem Standort Luxemburg
Immerhin gibt sich ArcelorMittal mittlerweile recht zuversichtlich, was den Standort Luxemburg betrifft. Wie der Chef der Luxemburger Werke, Roland Bastian, dieser Tage im Rahmen der Vorstellung des Verhandlungsergebnisses der Stahltripartite erklärte, sieht das Unternehmen die Krise als beendet an; ArcelorMittal will und wird wie ein «normales» Unternehmen behandelt werden. Abbau gab es ja wohl auch genügend; zuletzt schloss das Unternehmen die Schifflinger Traditionshütte …
Das Abkommen der Stahltripartite, mit dem die «Préretraite-solidarité» innerhalb der nächsten Jahre ebenso wie die «Cellule de reclassement» abgeschafft wird und jährliche Investitionen von 30 Millionen Euro in die Luxemburger Standorte sowie die jährliche Ausbildung von 15 bis 20 Nachwuchskräften festgeschrieben werden, darf nicht über anstehende und wohl harte Kollektivvertragsverhandlungen hinwegtäuschen. Der 1983 prognostizierten «Dämmerung», dem langsamen «fade-away», konnte die Luxemburger Stahlindustrie jedenfalls entkommen; sie bleibt weiter ein wichtiges wirtschaftliches Standbein, schafft immer noch beachtlichen Mehrwert abseits von reinen Dienstleistungen, und das ist gut so.
Die ARBED war ein Fass ohne Boden geworden. Seit den 70er Jahren hatte dieser marode Betrieb keine nennenswerten Investitionen mehr getätigt, keine Modernisierung durchgeführt, aber jedes Jahr saftige Gewinne für ihre Aktionäre verteilt. Die ARBED Riege handelte wie im Märchen der Gebrüder Grimm, Hans Huckebein, der den Ast absägte auf dem er sass und abwartete was dann geschah. Der Staat versuchte durch Dauersubventionen die Firma vor der Pleite zu bewahren. Es folgte eine 30 jährige Insolvenzverschleppung auf dem Buckel des Steuerzahlers, mit dem Argument eine grosse Anzahl von Arbeitsplätzen zu sichern. Die Steuergelder die während dieser Zeit geflossen waren überstiegen am Ende mehrfach den Gesamtwert der ganzen ARBED, bis sie dann an die ARCELOR verscherbelt wurde. Doch in der Zwischenzeit hatten sich die ARBED Granden noch einen kräftigen Fauxpas geleistet. Sie hatten die marode Saarstahl AG hinzugekauft, welche dann einige Jahre später zum symbolischen Franken wieder ans Saarland ging.
Für eine sinnvolle und kostengünstige Lösung des ARBEDs Problem, hätte es einer resoluten politischen Entscheidung bedurft, nämlich die ARBED rechtzeitig zu verstaatlichen, als diese noch gute Gewinne abwarf, und dann hätte sie saniert werden müssen. Doch dies war der damaligen Luxemburger Politikkaste zu riskant.
Soweit ich mich erinnern kann haben das Tageblatt, die Gewerkschaften damals Frau Flesch keinen Beifall gezollt.Allerdings meiner Meinung rechtens, denn hätte unser Stahlgigant beizeiten modernisiert, die Stahlindustrie wäre noch immer ein Eckpfeiler einer differenzierten Wirtschaft.Vielleicht nicht mehr Weltgigant,vielleicht dank neuer Erfindungen wegweisend.Das Erbe unserer Stahlarbeiter wurde auf dem Altar der Gewinnmaximisierung leichtfertig durch die Stahlbarone verspielt.