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Die Zeit drängt. Vorerst.

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Der Weg zur Kulturhauptstadt 2022.

Als Differdingens Bürgermeister Roberto Traversini bei einer Baustellenbesichtigung Ende Juni 2015 verkündete, dass seine Stadt sich als europäische Kulturhauptstadt bewerben könnte, dachten nicht wenige, es handle sich um einen Scherz. Nach und nach stellte sich dann heraus, dass die gesamte Südregion Anwärter sei, doch die EU-Regelung sieht vor, dass nur eine Stadt, nicht aber eine ganze Region, sich bewerben kann.

Deshalb wurde beschlossen, dass die Stadt Esch/Alzette ihre Kandidatur stellvertretend für die gesamte Südregion stellen soll. Im Februar dieses Jahres hat die Regierung entschieden, dieses Projekt mit 41,5 Millionen Euro zu unterstützen. Die restlichen 25 Millionen Euro müssen die Gemeinden, mit Hilfe von Sponsoren, selbst aufbringen. Ende April soll das Konzept im Escher Gemeinderat detailliert vorgestellt werden, bis zum 15. Mai muss die Kandidatur eingereicht sein. Am 14. Juni muss Esch die Bewerbung vor einer von den europäischen Institutionen zusammengesetzten Expertenjury verteidigen.

Die Zeit drängt. Die Stadt Esch arbeitet schon fieberhaft an einem Grundkonzept. Ein erfahrener Berater aus Belgien, der bereits Lille (2004) und Mons (2015) bei ihren jeweiligen Kandidaturen unterstützt hatte, wurde mit der Ausarbeitung eines Konzepts beauftragt. Auch die Gemeinden aus der französischen Grenzregion und Eschs Partnerstädte werden mit einbezogen. Doch in den vergangenen Tagen und Wochen äußerten mehrere Südgemeinden ihre Bedenken. Das Problem liegt vor allem bei der Finanzierung. Der Escher Schöffenrat hatte vorgeschlagen, dass sich die Gemeinden mit 50 Euro pro Einwohner beteiligen. Für manche scheint dieser Betrag zu hoch. Sie haben Angst, dass der Gegenwert, den die Kulturhauptstadt ihnen bringen wird, die Kosten nicht aufwiegen könnte.

Die Gemeinderäte sollen nun über eine Absichtserklärung abstimmen. Der Kayler Bürgermeister John Lorent hat bereits verlauten lassen, dass seine Kommune die Kandidatur Eschs nicht unterstützen werde. Bedauerlicherweise ohne seinen Gemeinderat vorher zu fragen. Auch Petingen und Käerjeng haben bereits Zweifel geäußert. Es könnte daran liegen, dass Esch „vorprescht“, ohne die anderen zu informieren, wie der Differdinger Schöffe Tom Ulveling kürzlich meinte, oder die Minettemetropole vergessen hat, die „anderen mit ins Boot zu nehmen“, wie der Düdelinger Bürgermeister und Pro-Sud-Präsident Dan Biancalana erläuterte.
Es könnte aber auch daran liegen, dass die Südregion kein homogenes Feld ist.

Die Eisenbahnergemeinden Petingen im Westen und Bettemburg im Osten haben noch nie wirklich zum Minette gehört. Käerjeng und vor allem Kayl planen schon seit einigen Jahren, das Gemeindesyndikat Pro-Sud zu verlassen, weil sie sich benachteiligt fühlen. Zwischen den drei größten Städten im Süden herrscht zudem ein Konkurrenzkampf um Studenten, Betriebe und staatliche Fördergelder. Spätestens seit dem Niedergang der Stahlindustrie und dem Verschwinden der Arbeiterkultur steckt die Minetteregion in einer Identitätskrise.

Die Kulturhauptstadt könnte Abhilfe schaffen. Sie könnte eine einmalige Chance für die kulturelle, aber auch für die touristische und wirtschaftliche Entwicklung des Südens sein. Voraussetzung wäre, dass alle betroffenen Gemeinden und insbesondere ihre Bürger in die Planung miteinbezogen werden. Nur so könnte das Projekt Kulturhauptstadt eine sinn- und identitätsstiftende Wirkung entfalten. Vorerst bleibt für demokratische Prozesse jedoch keine Zeit. Sollte die Kandidatur der Stadt Esch angenommen werden, was längst noch nicht sicher ist, bleiben noch fast sechs Jahre, um ausgiebig zu planen und zueinander zu finden.

(llaboulle@tageblatt.lu)