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Der Wind von 1976

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40 Jahre Punk

In diesem Jahr feiert Großbritannien 40 Jahre Punk. Insbesondere in London finden zahlreiche Veranstaltungen statt, die die Geschichte der Subkultur seit den Anfängen Mitte der Siebzigerjahre beleuchten. Bands wie die Sex Pistols, The Clash, The Damned und viele mehr sorgten damals in der ganzen Welt für viel Aufsehen, als sie den Rock ’n’ Roll neu erfanden und radikalisierten. In New York gab es fast zeitgleich eine ganz ähnliche Bewegung, die sich vorwiegend im Musikclub CBGB abspielte.

Punk war aber vor allem in England tief in der (weißen) Arbeiterklasse verwurzelt. Es ging nicht um Kunst, die als Ausdruck der Bourgeoisie verstanden wurde. Eher ging es darum, mit drei Akkorden, Stil und Attitüde selbst etwas zu erschaffen, das die bestehenden Herrschaftsverhältnisse zumindest in Frage stellte. Nicht umsonst sieht der amerikanische Kulturkritiker Greil Marcus Punk in der gleichen Tradition wie Dada, Lettrismus und die Situationistische Internationale.

Punk sollte viel mehr als nur schockieren. Es ging tatsächlich um Freiheit, um Auflehnung und um die Emanzipation der Arbeiterklasse, die leider bis heute nicht stattgefunden hat. Denn mehr denn je wird der größte Teil der Menschen von einer herrschenden Klasse unterdrückt und ausgebeutet. Ein Prozent der Weltbevölkerung verfügt über mehr als 50 Prozent des weltweiten Wohlstands. Die Löhne stagnieren seit Jahren, die Forderungen der Arbeitgeberverbände werden immer dreister, die Gewerkschaften sind zusehends machtlos. Die Folgen sind längere Arbeitszeiten, die mit fadenscheinigen Argumenten begründet werden, unbezahlte Überstunden, prekäre Arbeitsverhältnisse, steigende Arbeitslosenzahlen und Armut.

In den vergangenen 40 Jahren wurde Punk immer wieder für tot erklärt. Begründet wurde es meist damit, dass die Subkultur ihre subversive Kraft verloren habe und längst Teil einer kommerziellen Populärkultur geworden sei. Die Punks der Siebziger seien die Unternehmer von heute, alles sei Punk, hieß es in den Neunzigern. Mittlerweile dürften viele von ihnen bereits in Rente sein.

Und doch ist Punk lebendig wie nie, zumindest was die Musik angeht. In England, den USA, Deutschland, Tschechien und vielen anderen Ländern ziehen Punk-Festivals tausende Besucher an. Und auch in Luxemburg, wo der Wind von 1976 einst mit zehn bis 15 Jahren Verzögerung durch das Escher „Schluechthaus“ wehte, fand am vergangenen Samstag die zweite Punk-Night in Koetschette statt. „Revival stinkt“ sagen die einen, „Punk ist das Geilste“ die anderen.
Was den politischen Teil angeht, so ist Punk eine internationale Subkultur geblieben, in der aber auch andere Stile Platz gefunden haben. Die heute vor allem in Europa verbreiteten antifaschistischen, antirassistischen, antisexistischen und antispeziesistischen Subkulturen wären ohne Punk nicht möglich gewesen. In Indonesien haben sich in den vergangenen Jahren Punk-Bewegungen entwickelt, die von der Regierung als Gefahr angesehen und mit äußerst repressiven Mitteln bekämpft werden.

Punk ist demnach mehr als Musik. Es ist eine fatalistische und deshalb auch realistische Lebenseinstellung, derzufolge die Erde sich um die Sonne dreht, wir hier nur auf der Durchreise sind und sich nichts zum Besseren wenden wird.
Punk ist formvollendete Verweigerung und Verneinung. Es gibt keine Zukunft für dich und mich, sangen die Sex Pistols, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hatten sie recht. Und eigentlich ist es uns ja auch in höchstem Maße egal, was die anderen denken und sagen. Das Einzige, was zählt, ist, dass wir zusammenstehen. Vielleicht liegt gerade in dieser furchtlosen Erkenntnis die große und manchmal allzu sehr unterschätzte Stärke der Punks.