Sollte Udo Lindenberg plötzlich all der Ruhm zu viel werden und sich unterm berühmtesten Hut Deutschlands Bescheidenheit breitmachen? Ausgerechnet er, der sich selbst erst mit einem eigenen Musical ein Denkmal gesetzt hat, macht einen großen Bogen ums Hamburger Panoptikum. Dort, auf der von ihm legendär besungenen «geilen Meile» Reeperbahn, steht seit mehr als einem Jahr sein Doppelgänger aus Wachs – vom realen Udo noch nicht ein einziges Mal in Augenschein genommen. «Nee, das habe ich bisher extra vermieden», erklärt der Sänger, «sich da selbst gegenüberzustehen und in dieses starre Gesicht zu schauen, ist mir dann doch irgendwie unheimlich.» Ansonsten aber bleibt dem Deutschrock-Revolutionär, der am Dienstag (17. Mai) seinen 65. Geburtstag feiert, jede Form der Denkmalsetzung und Legendenbildung recht.
Wenn es um sein Werk geht, gibt sich der im Hamburger Hotel «Atlantic» lebende Rockstar seit jeher selten bescheiden. Dafür hat der «Junge von der Straße», wie er sich selbst nennt, zu hart an seiner Karriere gearbeitet – und zu viel erreicht. Seit rund vier Jahrzehnten gehört der Künstler zu Deutschlands populärsten Musikern, landete Hits, sammelte Goldene und Platin-Schallplatten und heimste Preise ein. Und er hat Höhen wie Tiefen seiner Branche erlebt. Noch beim runden Geburtstag vor fünf Jahren hatten ihn viele nach Zeiten der Alkoholexzesse «Unterm Säufermond» längst abgeschrieben. Welch sensationelles Comeback ihm ein Jahr später mit seinem Album «Stark wie Zwei» gelingen sollte, ahnte er selbst nicht. Im Gegenteil: Zweifel beschlichen die Rocklegende – Angst vor der Übermacht des eigenen Lebenswerkes. «Es ist manchmal schwer, mit der Zukunft gegen eine solche Vergangenheit anzukommen», sagte er damals.
Erfolgreiche Karriere
Doch Lindenberg hat es geschafft, hat wieder die Konzerthallen gefüllt und Trophäen abgeräumt. Er verwandelte ein Kreuzfahrtschiff in einen «Rockliner» und stach mit seinen Fans in See. Seit Anfang dieses Jahres läuft in Berlin sein Musical «Hinterm Horizont» – benannt nach einem seiner größten Hits. Längst sei er so etwas wie «der Alterspräsident aller ewig Jugendlichen, der Freakvater, der Gute-Laune-Onkel unserer deutschen Republik», schreiben die beiden Autoren und Udo-Fans Benjamin von Stuckrad-Barre und Moritz von Uslar im Buch «Am Trallafitti-Tresen» (2008). «Jeder kann doch irgendeinen Vierzeiler von Udo auswendig, fast jeder hat schon mal Udos Nuschelgesang mit der berühmten hängenden Unterlippe nachgemacht.»
Von Beruf: Udo Lindenberg, das Leben: eine Inszenierung, sein Motto: «Das Leben soll sich nach meinen Träumen richten und nicht umgekehrt.» Am Anfang stand eine Art «Masterplan», den der aus dem westfälischen Gronau stammende Sohn des Installateurs Gustav und der Hausfrau Hermine bis ins Detail ausgeheckt hatte – getrieben vom Wunsch, «reich und berühmt» zu werden. In Skizzen entwarf er das Bild vom Rock-Revolutionär. «Markante Silhouette mit enger Beinbekleidung, torkelnde Lindi-Choreographie und deutsche Texte. Strategie-Papiere für den Weg vom Gully zum Gipfel», beschrieb er mal. Von Plänen und Träumen ließ er sich nie abbringen. Auch die Teilung Deutschlands wollte der Sänger («Mädchen aus Ostberlin», «Sonderzug nach Pankow») nicht akzeptieren, schrieb mit einem Auftritt im «Palast der Republik» und der Lederjacke für Erich Honecker.
Schlagzeuger
Eigentlich erfolgreicher Schlagzeuger, war Lindenberg Anfang der 70er Jahre in den Vordergrund getreten. Nach dem Vorspiel bis hin zu Engagements bei Jazz-Größen wie Klaus Doldinger gelang der fulminante erste Akt der Inszenierung: der Durchbruch mit «Andrea Doria» und dem Panikorchester. Singen konnte er kaum, nicht die Melodie gab den Ton an, sondern sein Sprechgesang – die Deutschen horchten auf. Das klang anders als alles, was bis dahin aus den Radios dröhnte. Schon das folgende Album «Ball Pompös» brachte Gold, Tourneen wie «Dröhnland» unter der Regie von Peter Zadek wurden zu Meilensteinen. Figuren wie Elli Pyrelli und Rudi Ratlos, Sprüche wie «Keine Panik auf der Titanic» – er wurde zum Synonym für eine neue Jugendsprache.
Mehr als 40 Alben hat Lindenberg herausgebracht. Auch die vom «highligen Panikgeist» in den 90er Jahren beflügelte Mal-Leidenschaft wurde immer größer. Lindenbergs Gemälde und mit Alkohol gemalte «Likörelle» zeigt derzeit auch eine große Gesamtschau zum 65. auf Schloss Neuhardenberg (Brandenburg). Anfang Juni wird ihm die nächste Ehre zuteil: ein Live-Konzert in der MTV-Unplugged-Reihe. Alter stehe eben für Radikalität und Meisterschaft, betont der Musiker immer. Und überhaupt, keine Panik! «Ich fühle mich wie ein Außerirdischer, wie E.T. – nicht von dieser Welt. Da unterliegt man nicht der irdischen Zeitzählung», sagt er. «65 – nur eine Zahl von der Firma Scheißegal.»
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