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Nissan Leaf – Der Schleicherbe

Nissan Leaf – Der Schleicherbe

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Der neue Nissan Leaf sieht nun endlich aus wie ein richtiges Auto und ist auch dementsprechend ausgestattet, meint unser Gast-Kommentator Eric Netgen von der AutoRevue.

Vom Nissan Leaf I (2010-2017) wurden weltweit über 300.000 Stück verkauft, davon zirka 83.000 in Europa und 5.000 in Belgien und Luxemburg. Will heißen in Belgien, denn in Luxemburg ist der Leaf so selten wie eine Steuererklärung von Uli Hoeneß. Das muss sich ändern!

Der Leaf ist das meistverkaufte Elektroauto der Welt. Der „Jurassic Leaf“ von 2010 sollte absichtlich polarisieren und, wie vor ihm der Toyota Prius, dieser hybride Transformer, ganz klar signalisieren, dass hier ein Umdenken in Bewegung stattfindet. Aber jetzt, da die lautlosen Flegeljahre vorbei sind und der Ernst des Lebens anfängt, muss sich der Stromer aus Yokohama an Otto Normalverbraucher heranpirschen. Kein leichtes Unterfangen: Wenn besagter Otto keinen Ottomotor bevorzugen soll, dann muss etwas mit dem schrillen Austin-Powers-Outfit passieren, denn dieser Spießer kriegt beim Heranpoltern der Avantgarde immer gleich das Muffensausen. Die Japaner haben das eingesehen und den Leaf optisch entschärft. Der sieht jetzt erstmals wie ein richtiges Auto aus, nicht so ein Konzeptirgendwas aus der Retorte, das ein paar Windbeutel vermutlich unter LSD-Einfluss im Windkanal mit Virtual-Reality-Handschuhen zusammengewischt haben.

Die Farbpalette ist gewachsen, es gibt den Elektriker jetzt in zehn Außenfarben, teilweise im derzeit trendigen Zwei-Ton-Habitus. Der Innenraum wurde aufgeräumt, die früher bei Japanern und anderen Techno-Geeks sehr populären optischen Spielereien aus dem Lunapark sind passé. Das Armaturenbrett in Form einer Schwinge ist mit Recycling-Material überzogen, ansonsten findet man an Handschuhfach, Mittelkonsole und den Türen reichlich Hartplastik.

Zur Wahrnehmung der Außenwelt gibt es im Leaf große Fenster und ein Mix aus digitalen und analogen Instrumenten, es soll ja für jeden etwas dabei sein. Sehr gut gefallen konnte sein E-Pedal, mit dessen Hilfe man den Wagen ohne zweites oder gar drittes Pedal bewegen kann. Hebt man den Fuß, bremst das Auto bis zum Stillstand ab, und lediglich unter vollen Segeln, bei steilen und endlos langen Abfahrten, ist es ratsam, die Bremse in Reichweite des dicken Zehs zu behalten. Der aktive Abstandassistent ProPilot sowie die Rangierhilfe ProPilot Park funktionieren ebenfalls einwandfrei: ein Knopfdruck, sich zurücklehnen und den Leaf ganz eigenständig in die Parklücke gleiten lassen.

Der Wagen verfügt jetzt neben Apple CarPlay auch über Android Auto, das Infotainment ist zeitgemäß, die Bedienung hat allerdings ihre Tücken. Weil der Leaf aber so entspannt und lautlos vor sich hin gleitet, halb autonom noch dazu, macht das gar nichts, denn jetzt haben Sie alle Zeit der Welt, sich mit den Eigenheiten des sturen Tamagotchis vertraut zu machen. Punktabzug gibt es für die begrenzte Kopffreiheit im Fond und die hohe Ladekante des tiefen, aber schmalen Kofferraums. Gut gefallen hat uns die ansprechende Lenkung und die vergrößerte Reichweite. Die Leistungsausbeute beträgt 110 kW/150 PS. Mit Batteriekapazität von jetzt 40 kWh sind unter WLTP*-Bedingungen 415 km im reinen Stadtverkehr denkbar. Im kombinierten Messzyklus sind es 285 km Reichweite. Dazu kommen die zahlreichen Sicherheits-Features, die hilfreich, aber nicht aufdringlich sind – und dazu noch meist ab Standardausführung an Bord.

Der Leaf ist eine Oase der Ruhe, und dennoch als Erster bei der Ampel weg. Bei 144 km/h ist dann allerdings Schluss. Aber auch das macht nichts, das nächste Stauende wartet schon.

* Worldwide Harmonized Light Duty Test Procedure, neues Messverfahren unter realen Straßenbedingungen.

(Eric Netgen)