Charles Muller, Direktor des Theaters, inszeniert selbst, und zwar vier Stücke von Samuel Beckett, die Guy Wagner, ehemaliger Direktor des Theaters, ins Luxemburgische übersetzt hat. Der nagelneue Vorhang ging auf für „Stëmmen a Stëllten“.
" class="infobox_img" />Stëmmen a Stëllten
Vier Theaterstücke von Samuel BeckettRegie: Charles Muller
Übersetzung: Guy WagnerVorstellungen:
29., 30., und 31. März um 20 Uhr im Escher TheaterReservierung:
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Und es war ein Glück, ja eine Freude, zu sehen, was eine moderne Technik für ein Theater ausmacht. Bereits in den ersten Sekunden sprang eine ganz eigene Stimmung auf das Publikum über. Geheimnis- und wirkungsvoll lag es da, das Bühnenbild von Helmut Stürmer. Vor allem das Licht (auch Helmut Stürmer) gab der Inszenierung von Anfang an seinen ganz besonderen Schein.
Die vier Stücke des Abends kann man wohl als Variationen ein und desselben Themas bezeichnen: der nahende Tod. Vor allem die drei kleinen, bis zur Pause aufgeführten Stücke wirken wie ein Dreiakter der Variation. Im Vordergrund steht der innere Monolog eines Menschen, der sein Leben Revue passieren lässt und der versucht, sich in seiner eigenen Stimme wiederzufinden.
„Deemols“ (Original: „That Time“), „Rockaby“ und „Ohio Impromptu“ sind Konzentrationen der Beckett’schen Dramatik. Die existenzielle Kargheit, die Beckett so eigen ist, ist hier auf das Wesentliche reduziert, oder wie Guy Wagner sagen würde: „De Beckett seet ëmmer manner, fir ëmmer méi auszedrécken.“
Diese Reduktion macht sich Charles Muller in seiner Inszenierung zum obersten Gebot. Kein unnötiges Schmuckstück, kein überflüssiges Agieren auf der Bühne, kein Kopfnicken zu viel. Unnötigen Ballast wirft er ab, um in den Kern der Stücke einzudringen. Muller hat sich dabei stark an die Regieanweisungen von Beckett gehalten. Der Text steht im Mittelpunkt. Dass dieser Beckett-treu fast ausschließlich über Tonband eingespielt wird, lässt die Schauspieler zwar wie zum Stillhalten verdammte Bilder erscheinen, gibt der Aufführung aber ihre Kraft und Stärke. Die harte Vorarbeit im Tonstudio hat sich gelohnt, der Text trifft das Publikum mit Kraft und Präzision. Den Beckett’schen Rhythmus konnte Wagner in seiner Luxemburgischen Fassung genau umsetzen, die refrainähnlichen Schlüsselsätze entfalten ihre volle Wirkung.
Wunderbare Maske
In den ersten 25 Minuten thront Jules Werner mit wunderbarer Maske (Joël Seiller) – besonders seine Haarpracht ist ein absoluter Hingucker – über der Bühne und lauscht der Lebensgeschichte seiner Person in drei Episoden. Durch seine Ausdruckskraft vermittelt er – ohne direkt zu sprechen und nur mit minimalen Bewegungen –, dass das Stück im Kopf der Figur abläuft. Abwechselnd von links und rechts ertönt seine Stimme vom Tonband. Kompliment an Jules Werner, der es versteht, seine Stimme so zu variieren, dass die drei Stimmen des Stückes wie Stimmen verschiedener Personen herüberkommen. Die Stimme des Jugendlichen, die des reifen Mannes und die des Greises, dessen Tod unausweichlich immer näher rückt.
Auf „Deemols“ folgt „Rockaby“: Christiane Rausch sitzt im Schaukelstuhl (wunderbare Requisite!) und wippt. Auch sie hört ihre eigene Stimme. Hängt regelrecht an ihr. Immer wieder wippt sie nach vorne und ruft „Nach“. Die Stimme soll nicht verstummen. Das Wippen nicht aufhören. Noch nicht. Christiane Rausch spielt ihre minimalen Bewegungen mit einer Präzision und Kraft, dass man sich wünscht, mehr von ihr zu sehen. Dieses eine Wort „Nach“, das sie immer wieder ausstößt, ist wohl der Moment des Abends, der den Humor Becketts am anschaulichsten vermittelt.
In „Ohio Impromptu“ sitzen zwei alte Männer am Tisch. Der eine liest aus dem Buch der Erinnerungen vor, der andere überwacht und haut in regelmäßigen Abständen auf den Tisch. Durch die ähnlichen Kostüme (Alevtina Enders) und die nahezu identische Maske von Claude Mangen und Jean-François Wolff gelingt es sehr schön, die Idee des Doppelgängers zu vermitteln. Wie eine Spiegelung wirkt vor allem das Abschlussbild, in dem die beiden sich ausdruckslos in die Augen schauen.
Nach der Pause geht der Vorhang dann auf für „Dat lescht Band“, sicherlich Becketts persönlichstes Stück. Marc Olinger legt seinen Krapp als einen grummeligen, zur Cholerik neigenden Alten an, der sich mühevoll durch den Vorabend seines siebzigsten Geburtstags quält und dem Ritual folgt, ein Tonband zu besprechen, um ein Stück Leben zu konservieren.
Marc Olinger spielt seinen Krapp mit vielen Brüchen. Während er soeben noch richtig glücklich aussieht, als er genüsslich in die Banane beißt, verwandelt er sich wenige Sekunden später in einen von den Anstrengungen des Lebens genervten Greis, der die Schale mit voller Wucht an die Wand pfeffert. Während er eben noch andächtig seiner Stimme von vor dreißig Jahren lauscht, hämmert er dann ungeduldig auf seinem Plattenspieler herum. Olinger schafft es, den Krapp mit all seinen Macken als einen doch liebenswürdigen Menschen darzustellen. Besonders das eigenartige Kratzen in seiner Stimme, das er 50 Minuten lang durchhält, wird dem Publikum auch auf dem Nachhauseweg in den Ohren bleiben.
Enttäuschend war leider, dass das Theater für solch eine Premiere eher schlecht besucht war. Während bei der offiziellen Eröffnung Anfang Januar die gesamte Politik- und Kulturprominenz des Landes vertreten war, hatten sie es am Samstag wohl nicht ins Theater geschafft. Sind sie eher am Händeschütteln interessiert als an Inszenierungen?
Deshalb bleibt in Zukunft wohl die wichtigste Aufgabe für Charles Muller, die Menschen für das Theater in Esch zu begeistern. Gerade jetzt, nach den Umbauarbeiten, dank denen er nun über eine wunderbare Technik verfügt, muss es ihm gelingen, das Theater Esch wieder zu einem Theater der Einwohner des Luxemburger Südens zu machen. Dazu muss er Leidenschaft für das Theater zeigen und vermitteln. Gezeigt hat er sie am vergangenen Samstag, die Vermittlung bleibt harte Arbeit.
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