Wenn der türkische Autor Orhan Pamuk am heutigen Dienstag 70 Jahre alt wird, dann wohl mit einer Gewissheit, dass nichts so bleibt, wie es ist. In einem Interview mit einem US-Museum sagte er einmal: „Hoffe nicht auf Kontinuität. Am Ende wird eh alles weggespült.“ Die Auseinandersetzung mit Wandel und Veränderung steckt in fast allen Arbeiten Pamuks („Schnee“, „Museum der Unschuld“, „Nächte der Pest“). Häufig spielt dabei eine große Rolle: seine Heimatstadt Istanbul.
Orhan Pamuk wurde 1952 in der Stadt am Bosporus geboren. Er wächst auf in der Republik Türkei, die zum Zeitpunkt seiner Geburt erst knapp 30 Jahre alt ist. Im selben Jahr tritt die Türkei der NATO bei und verstärkt damit ihre Bindungen an den Westen. Er selbst sei in einer verwestlichten Familie aufgewachsen, mit einem liberalen Vater, der immer Poet sein wollte, und einer konservativen Mutter.
Seine Sommer verbrachte er auf den der Stadt vorgelagerten Inseln. Von dort aus muss er beobachtet haben können, wie sich die damals vergleichsweise beschauliche Stadt mit einem unglaublichen Baugeschehen in die Landschaft fraß. Mittlerweile wohnen offiziellen Zahlen zufolge 16 Millionen Menschen in Istanbul – und es werden weiter mehr.
Istanbul beschrieb er einmal wie seinen eigenen Körper. Die Entwicklung der Stadt beobachtet er wie ein Chronist. Er nutzt immer neue Formen und Methoden zur Beschreibung. Das sei natürlich, er kenne schließlich keinen besseren Ort, so Pamuk im Interview mit dem Museum. „Meine Bücher ziehen immer weitere Kreise und verschlingen so immer mehr Teile der Stadt.“
Dass er Schriftsteller geworden ist und 2006 den Nobelpreis für Literatur verliehen bekommen hat, verdankt Pamuk eigenen Aussagen zufolge „einer Schraube, die locker im Kopf“ saß. Mit Anfang 20 habe er sein Architekturstudium abgebrochen und auch den Traum, Maler zu werden, für die Schriftstellerei an den Nagel gehängt.
Die Melancholie in seinen Texten, die auch in der Türkei beliebt sind, erklärt Pamuk als natürliches Ergebnis seiner Umgebung. Es habe ihn emotional geprägt, in einer Stadt aufzuwachsen, deren Bauten vom Glanz alter Zeiten zeugen, in der die Menschen aber deutlich ärmer sind als jene in Europa, an das man den Anschluss suche.
Die Stadt hat Pamuk nicht nur dadurch geprägt, dass zahlreiche Leser wohl gern einmal in die von so starken Kontroversen geprägte Stadt reisen wollen. In ihr steht das Museum der Unschuld zu seinem gleichnamigen, 2008 erschienenen Roman. Pamuk selbst lebt seit mehr als 50 Jahren in einem Haus in dem mittlerweile zum Szeneviertel avancierten Cihangir. Vom Balkon dieses Hauses blickt Pamuk auf die Meerenge Bosporus. Eine Sammlung seiner Fotos dieses Ausblicks hat der Literat zur Ausstellung gemacht.
Seine Wohnung muss er womöglich bald verlassen und eine neue Bleibe für sich und seine 20.000 Bücher umfassende Bibliothek suchen. Pamuk soll das Haus auf eigenen Willen einer Prüfung zur Erdbebensicherheit unterzogen haben, mit dem Ergebnis, dass es abgerissen werden muss. Das berichteten mehrere türkische Medien, darunter etwa die Zeitung Hürriyet, vergangene Woche.
Dazu, dass sich die Türkei und Istanbul unter den 20 Jahren AKP-Regierung stark verändert haben, hat Pamuk selten geschwiegen. Er kritisierte offen Einschränkungen der Meinungs-, Presse- und Kunstfreiheit, protestierte gegen die Flutung eines der ältesten Siedlungsgebiete der Welt für einen Dammbau und prangerte türkische YouTube- und Twitter-Blockaden an. Nicht zuletzt mit seinem offenen Plädoyer für die Anerkennung der Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord zog er viel Kritik von Landsleuten auf sich.
Sein in diesem Jahr auf Deutsch erschienener Roman „Nächte der Pest“ hat ihm wegen der angeblichen Beleidigung von Staatsgründer Atatürk und der türkischen Flagge eine Anzeige eingebracht. Pamuk hat die Vorwürfe von sich gewiesen. Seine Geschichte sei vielmehr ein Ausdruck von Bewunderung gegenüber der historischen Persönlichkeit Atatürks. In Gefahr fühlt er sich aber nicht, wie er auf einer Literaturmesse in Köln erklärte. Sein Anwalt habe ihm versichert, dass auch das vorbeigehen werde. (dpa)
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