KonzertMarek Janowski und das Luxemburger Philharmonieorchester: „Dirigieren ist ein gestisches Interpretationsmittel“

Konzert / Marek Janowski und das Luxemburger Philharmonieorchester: „Dirigieren ist ein gestisches Interpretationsmittel“
Marek Janowski gibt sein erstes Konzert mit dem OPL. Foto: Felix Broede

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Der deutsche Dirigent Marek Janowski ist seit August 2019 Chefdirigent der Dresdner Philharmonie. Jetzt gibt er ein erstes Konzert mit dem Luxemburger Philharmonieorchester. Im Tageblatt-Interview redet er über die Bedeutung von Kapellmeistern, warum er ungern Opern dirigiert und das „Herumgekasperle“ der jungen Kollegen.

Herr Janowski, in Ihrem überhaupt ersten Konzert mit dem OPL stehen drei Werke auf dem Programm, die sich stark mit dem Thema Leben auseinandersetzen, Geburt, Liebe, Ehe, Tod. Kann man innerhalb einer kurzen Probenzeit überhaupt solche Werke wie das Siegfried-Idyll, die wunderbaren 4 letzten Lieder und die gewaltige Sinfonia domestica zufriedenstellend mit einem Orchester erarbeiten, mit dem man noch nie zuvor musiziert hat?

Die Gefahr bei den ganz großen Strauss-Tondichtungen wie Alpensymphonie, Heldenleben oder der Sinfonia domestica besteht darin, dass vieles riskiert, zu dick zu klingen. Wenn hundert Musiker ein piano spielen, dann klingt das sehr schnell nach einem mezzo-forte. Es geht darum, gerade bei diesen Werken eine Differenzierung des Klanges zu erreichen, und ist bei Orchestern, die man als Dirigent nicht kennt, oft sehr schwierig. Man muss mit dem, was ein Orchester anbietet, arbeiten und möglichst schnell zu einem überzeugenden Resultat kommen, das natürlich im Sinne des Werkes ist. Und das ist bei der Domestica besonders schwierig, weil das Stück, gerade wie auch die Vier letzten Lieder ungemein voll orchestriert ist. Bei den Liedern muss man zudem ganz genau wissen, wie man den Orchesterklang zu der Gesangsstimme positioniert, damit sowohl Stimme wie auch Orchester in einer idealen Balance bleiben, also so viel wie möglich hörbar wird, was Strauss in seiner Musik an Material verarbeitet hat. Und ich muss sagen, dass das Orchestre Philharmonique du Luxembourg und ich in unserer Probenarbeit bis jetzt ein mehr als zufriedenstellendes Resultat erreicht haben.

Während Siegfried-Idyll und die 4 letzten Liede heute zum Standartrepertoire gehören, tut sich Strauss‘ Sinfonia domerstica im Gegensatz zum Heldenleben, der Alpensymphonie, Don Quixote oder Zarathustra immer noch schwer. Woran liegt das?

Weil die Domestica spieltechnisch einfach ungemein schwierig ist. Strauss verwendet beispielsweise die Oboe d’amore, die sehr selten im normalen Repertoire gebraucht wird und hier die Person des Kindes darstellt. Und diese Partie ist von außerordentlicher technischer Schwierigkeit. Der Oboist des OPL macht das wirklich sehr gut. Sie brauchen eine außergewöhnlich gute 1. Trompete, sonst ist das Stück verloren und Sie brauchen von allen Gruppen eine enorme Fingerfertigkeit, sowohl vom Streicherapparat, wie auch von den Holzbläsern oder vom Blech. Das Stück ist mit seinen rund 45 Minuten sehr lang, es wird ohne Unterbrechung gespielt und fordert das Publikum regelrecht heraus. Was die Sache zusätzlich verteuert, ist die Verpflichtung von vier exzellenten Saxophonisten. Strauss hat damals Alphonse Sax einen Gefallen getan und sein Instrument in der Sinfonia domestica gleich vierfach eingesetzt. Und trotzdem hört man diese vier Saxophone in Wirklichkeit kaum, weil sie nur andere Holzbläser doppeln. Strauss hat allerdings erlaubt, sein Werk „im äußersten Notfall“ auch ohne diese Instrumente aufzuführen. Viele Dirigenten mögen die Domestica nicht, weil man schon sehr intensiv daran arbeiten muss, damit das Stück am Ende nicht nur Lärm ist.

Was bedeutet das Dirigieren und Interpretieren für Sie, sowohl als Künstler wie auch als Mensch?

Ich gehöre natürlich noch zu der alten Generation  an, die den hauptsächlichen Sinn des Dirigierens darin sieht, das Orchester zu dirigieren und mit der Gestik zu helfen und zu führen. Früher mussten wir Dirigenten ja mit den Orchestern noch wirklich die Werke erarbeiten. Aber heute kann fast jedes Orchester das ganze Repertoire von Beethoven bis Schostakowitsch, so dass der Dirigent eigentlich nur noch den reibungslosen Ablauf zu garantieren braucht. Der Dirigent von heute versucht eher mit seiner Choreographie, dem Publikum deutlich zu machen, was denn im Orchester passiert. Dirigieren ist in meinen Augen ein gestisches Interpretationsmittel, um mit möglichst wenig Gestik, das zu realisieren, was man sich denkt, was der Komponist im Sinne gehabt hatte. So habe ich das vor fünfzig Jahren gesehen und so sehe ich es noch heute. Persönlich ist es für mich immer sehr schön, wenn es mir zusammen mit dem Orchester gelingt, eine besonders schwierige oder heikle Stelle  oder Phrase so zu spielen, dass es einen Interpretationsbogen gibt. Der einmal mal etwas besser, mal etwas schlechter gelingt. Man kennt die Werke ja jetzt schon über viel Jahrzehnte und hat dann auch seine Vorstellung, wie diese oder jene Phrase klingen könnte. Und wenn einem das im Konzert zusammen mit den Musikern gelingt, dann erlebe ich das immer als einen sehr freudigen und befriedigenden Moment.

Sie werden gerne mit dem Titel Kapellmeister bezeichnet. Was noch vor einigen Jahren einen negativen Beigeschmack hatte, kommt heute fast einem Ritterschlag gleich. Was hat es denn nun mit der Bezeichnung Kapellmeister wirklich auf sich?

Eigentlich ist  Kapellmeister die erste und richtige Bezeichnung für einen Dirigenten. Sehen Sie, Richard Straus war im Garmisch-Partenkirchener Telefonbuch mit Dr. Richard Strauss, Kapellmeister verzeichnet. In dieser Zeit ging es um das Handwerk, die Arbeit. Und wenn Sie Strauss auf dem Pult sehen, dann wissen Sie, wie man seine monumentalen Werke mit einer sehr, wirklich sehr sparsamen Gestik dirigieren kann.  Dann wurde der Begriff des Dirigenten, oder heute Stardirigenten, geprägt und der Kapellmeister stand für biedere und langweilige Aufführungen. Was natürlich komplett falsch ist. Auch das Herumgekasperle jüngerer Kollegen auf dem Dirigentenpult ist völlig unsinnig und unproduktiv, doch scheint das Publikum das auch zu mögen. Das hat viel mit Psychologie und Übertragung zu tun.

Sie hatten eine Periode, in der Sie über 15 Jahre keine Opern mehr dirigiert hatten. Brauchten Sie Distanz oder hatte das andere Gründe?

Ich habe wirklich sehr intensiv die eigentlich speziell deutsche und schreckliche Entwicklung der Opernregie der siebziger, achtziger und neunziger Jahre aus dem Orchestergraben heraus miterlebt,  wo es – überspitzt ausgedrückt – dem Regisseur nur darum ging, möglichst heftig ausgebuht zu werden und somit auf der ersten Seite der Feuilletonzeitschriften zu landen. Und irgendwann hatte ich einfach genug davon. Man kann tausendmal sagen, man ist als Dirigent für die Musik verantwortlich, aber wenn sie mit einem verrückten Regisseur eine Produktion vorbereiten müssen, dann sitzen Sie mit dem in einem Boot. Am Schluss habe ich mich nur noch darüber geärgert und beschlossen, keine szenische Oper mehr zu dirigieren. Das habe ich dann auch über 15 Jahre gemacht. Dann kam Bayreuth und das wollte ich wirklich einmal ausprobieren. Ich habe dann dort den Ring dirigiert, obwohl ich mit der Inszenierung von Frank Castorf überhaupt nicht einverstanden war.

Deshalb dann jetzt die konzertanten Aufführungen?

Genau, obwohl das Erlebnis ein ganz anderes ist. Bei der konzertanten Aufführung kann sich der Zuschauer mehr auf das konzentrieren, was im Orchester passiert und natürlich auch auf den Gesang der Solisten. Im Gegensatz zu den bewegungsintensiven Inszenierungen und den oft hinderlichen Positionen, aus denen Sänger singen müssen, können sie sich hier hundertprozentig auf Gesang und Phrasierung konzentrieren, was natürlich auch der Zuschauer hört. Aber nicht alle Opern eignen sich für konzertante Aufführungen. Ich würde beispielsweise keinen Lortzing konzertant machen, weil da die Handlung einfach notwendig ist. Auch Mozarts Nozze di Figaro ist konzertant eher problematisch. Das ist eine Aktionsoper und soll auch so dargeboten werden. Aber alle anderen Opern, wo Aktion sekundär und das Wort primär ist, eignen sich für konzertante Aufführungen. Sowohl im Verismo, wie auch in der deutschen Klassik und Romantik gibt es sehr viele Opern, die eigentlich keine Inszenierung brauchen, weil Musik und Wort stark genug sind. Die Opern von Wagner sind dafür das beste Beispiel.

Nach Ihrem Gastdirigat in Luxemburg geht es wieder zurück nach Dresden, wo Sie seit letztem Jahr der neue Chefdirigent der Dresdner Philharmonie sind. Welche Projekte sind denn noch in Planung?

Da möchte ich in meinem Alter doch nicht zu weit vorgreifen. Ich freue mich natürlich auf die Arbeit mit der exzellenten Dresdner Philharmonie und auf die vielen interessanten Projekte mit diesem Orchester. Darüber hinaus werde ich in diesem Sommer bei den Bayreuther Festspielen Beethovens 9. Symphonie dirigieren, meinen Wagner-Zyklus mit NHK Orchestra in Tokyo weiterführen und an der New Yorker Met dann doch wieder in den Orchestergraben steigen. Was ich dirigiere, möchte ich aber noch nicht sagen.