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Mythos am Ende der Welt

Mythos am Ende der Welt

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Kein bewohnter Ort der Welt ist so isoliert wie die winzige Osterinsel im Südostpazifik. Politisch gehört sie zu Chile, geografisch eher zu Polynesien. Durch die Magie der rätselhaften Steinfiguren und der märchenhaften Landschaft wirkt sie wie von einem anderen Planeten.

Handy und Satellitenfernsehen sind längst angekommen. Das Internet öffnet den Blick auf die Welt. Dennoch bleibt die tägliche Ankunft des Fluges aus Santiago ein Ereignis, bei dem das halbe Dorf zusammenläuft. Die Gäste
werden abgeholt, mit Blumenkränzen behangen, von Gastwirten und Fremdenführern angeworben. Die zurückkehrenden Insulaner werden lautstark begrüßt und mit Blumen geradezu überhäuft. Der Polizeihund beschnuppert derweil das Gepäck. Rund 60.000 Neugierige kommen jedes Jahr, um in zwei bis drei Tagen die Insel zu erkunden. Fünf Stunden dauert der Flug
nach Rapa Nui. Kein anderes bewohntes
Fleckchen Erde liegt so abgeschieden.

Wer genug hat von den Figuren, kann die Vielfalt der Landschaft genießen. (Foto: Claude Wolf)

Die Insulaner nehmen es gelassen. Sie sind keine Eroberer. Sie fühlen sich wohl mitten im Pazifik, haben mehr Arbeit als jemals zuvor. Dennoch
wird der Tourismus bewusst gebremst, um das Ökosystem zu erhalten. In der Verpflegung seien sie Selbstversorger, sagen die Insulaner stolz. Die Butter auf dem Frühstücksbuffet kommt allerdings vom Festland. Obst, Gemüse,
Frischfleisch, Eier und Fisch sind von der Insel. Alles kommt per Cargo-Flugzeug oder Frachtschiff vom Festland. Die Preise sind entsprechend hoch.

Viele Legenden

Die Osterinsel ist kein Entwicklungsland. Das beweisen die vielen Autos, zehnmal mehr als noch vor zehn Jahren. Die Häuser sind allerdings bescheiden geblieben, meist aus buntem Wellblech. Vor der Tür steht ein aufblasbares Schwimmbecken, häufig auch eine Hundehütte. Die Pferde sind gekennzeichnet, laufen jedoch frei auf den 160 Quadratkilometern herum. Als der Niederländer Jacob Roggeveen am Ostermontag 1722 die Insel in der Südsee entdeckte, lebten dort gerade mal 100 Einwohner mühevoll von Fischerei
und Landwirtschaft.

Heute leben 3.700 Menschen in Rapa Nui,
der einzigen Ortschaft der Insel. Sie sprechen eine wohltönende, vokalreiche Sprache, tragen Blumen im Haar und leben gerne in den Tag hinein. Kriminalität ist kein Thema, niemand bleibt unerkannt und keiner läuft weg.
Der Legende nach stammen die Einwohner von Polynesiern ab. Vielleicht aber auch von Einwanderern aus dem Westen. Oder von den Lang- und den Kurzohren,
die sich bekämpften. Die Wissenschaft rätselt immer noch über die geheimnisvollen riesigen Steinstatuen aus Vulkanlava, die aus der kleinen Insel das größte Freilichtmuseum der Welt machen.

Rosita, die Fremdenführerin, weiß so spannend darüber zu erzählen, dass auch ihre Zuhörer bald herumtüfteln. Gibt es keine Bäume auf der Insel, weil sie bis auf den letzten abgeholzt wurden, um die Statuen zu transportieren? Wie hat die Insel die geschätzten 30.000 Bewohner ernährt?

Die älteste der rund 1.000 Statuen
wird auf 680 datiert, die letzten
sind Ende des 17. Jahrhunderts
entstanden. Sie stehen auf insgesamt 250 Tempelanlagen. Alle haben einen großen, detailliert ausgearbeiteten Kopf auf einem angedeuteten Körper. Ihr
Ausdruck ist unterschiedlich. Die
meisten sind männlich.

Göttliche Kraft

Wie sie hergestellt wurden, lässt sich am Rano-Raraku-Steinbruch feststellen, wo Figuren in jedem Stadium der Bearbeitung stehen oder liegen. Sie wiegen 40 bis 60 Tonnen. Noch heute wissen wir nicht, wie sie bewegt wurden.
Ihre göttliche Kraft bekamen sie erst in aufrechtem Zustand,mit leuchtenden Augen aus Korallen.

Auch die roten Turbane oder Haarschöpfe geben Rätsel auf. Keiner weiß, was sie bedeuten. Ein Sinn lässt sich allerdings heute noch aus dem Aussehen der Männer schließen, die langes Haar tragen, häufig zu einem Knoten aufgesteckt. Wer irgendwann genug hat von der Magie der Steinfiguren, kann
auf der Insel auch erloschene Vulkane erklimmen oder die wilde Schönheit hoch zu Pferd erleben. Dabei ist eines sicher: Am Tag der Abreise taucht eine gewisse Wehmut auf. Und das leise Versprechen eines Wiederkommens.