Nackte Frauen, die im Gras liegen, sich waschen oder im Bordell auf Freier warten. Die vielen weiblichen Akte kamen schon seinen Zeitgenossen etwas suspekt vor. Edgar Degas (1834-1917) blieb zeit seines Lebens unverheiratet und lebte mit seiner Haushälterin zusammen. Doch seine seit Dienstag (bis 1. Juli) im Pariser Musée d’Orsay ausgestellten Gemälde, Pastelle und Aquarelle sollen nicht die Beziehung des Künstlers zu den Frauen veranschaulichen, sondern die Synthese seines künstlerischen Schaffens illustrieren. Die Ausstellung heißt «Degas et le nu».
Degas hat in seiner über 50-jährigen Schaffenszeit unzählige Akte gemalt. Mehr als 120 davon sind jetzt erstmals in Paris vereint. Ohne die Zusammenarbeit mit dem Museum of Fine Arts in Boston wäre diese Ausstellung womöglich nicht zustande gekommen.
Dick, unförmig, ausdruckslos
Warum es dazu noch keine Werkschau gab? ««Man gab bei Degas vor allem Pferde- und Jockeydarstellungen sowie Abbildungen von Tänzerinnen in Auftrag. Die Aktdarstellungen wurden in den Hintergrund gedrängt. Sie waren sozusagen sein geheimer Garten», sagt der Kurator der Ausstellung, Xavier Rey.
Der Akt gehörte zur traditionellen Ausbildung. Zwar malte Degas zur Vorbereitung seiner ersten Historienmalereien auch männliche Akte im Stil der antiken Skulpturen. Doch war es vor allem der weibliche Körper, der in Degas› Fantasie herumspukte. Zum Bruch mit dem Akademismus und den idealen Formen kam es im Laufe der 1870er Jahre. Degas begann Bordelle zu malen, wobei seine Prostituierte eher einem Stereotyp gleicht: dick, unförmig und ausdruckslos. Böse Zungen behaupteten deshalb auch, Degas kenne Bordelle nur aus der Literatur.
Kein Freund der Frauen
«Man weiß nur wenig über sein Privatleben. Aber man hat viel darüber spekuliert. Einige behaupteten sogar, er sei homosexuell gewesen», sagt der Kurator. Degas behandelte seine Modelle nicht gerade mit Samthandschuhen. Sie mussten stundenlang in den unbequemsten und unnatürlichsten Haltungen ausharren und sich anschreien lassen, wenn sie sich bewegten.
«Ich habe die Frau vielleicht zu sehr als Tier betrachtet», erklärte Degas die Sichtweise auf sein Motiv. Dabei ist der Satz nicht wörtlich zu nehmen. Degas wollte damit zum Ausdruck bringen, dass er die Frau nicht als Frau betrachte, sondern als Objekt so wie eine Vase, klärt der Kurator auf.
Ausdruck, Farbe, Sinnlichkeit
Tatsächlich sind Degas› Frauen gesichtslos. Sie schauen den Betrachter nie an und kehren ihm stets den Rücken zu. Was ihn interessierte, war die Bewegung: beim Waschen, Kämmen, Entkleiden. «Man muss ein Thema zehnmal, hundertmal wiederholen», pflegte Degas zu sagen. So hat der Maler den Akt in 50 Jahren immer wieder neu erfunden. Das Ergebnis: herrlich leuchtende Gemälde, Pastelle, Aquarelle und ausdruckskräftige Skulpturen, die von meisterhafter Linienführung und dezenter Sinnlichkeit sind.
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