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Alain spannt den BogenMusikalische Reife und junge Talente

Alain spannt den Bogen / Musikalische Reife und junge Talente
Den Monteverdi Choir live zu hören, ist immer wieder ein besonderes Erlebnis. Auch diesmal bot er phänomenale Phrasierungskunst,  subtile Nuancen und gesangliche Schönheit. Photo: Philharmonie Luxembourg/Sébastien Grébille

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Auf der einen Seite der reife Sir John Eliot Gardiner mit seinen erstklassigen Ensembles, auf der anderen zwei junge, äußerst talentierte Solistinnen, die einen makellosen und aufregenden Kammermusikabend gestalteten. Es war dann auch sehr schön und lehrreich, diese beiden Konzerte nacheinander zu hören und zu merken, dass musikalische Qualität nicht unbedingt eine Sache des Alters und der Reife ist und dass abgeklärtes Musizieren und wilde Abenteuerlust sich nicht unbedingt ausschließen müssen.

Für viele gilt Bachs h-moll-Messe als das größte musikalische Kunstwerk der Menschheit. Und neben Beethovens 9. Symphonie ist nur noch Bachs Messe in das Weltdokumenterbe der Unesco aufgenommen worden, was von der immensen Wichtigkeit dieser Musik zeugt. Knapp ein Jahr nach der grandiosen Aufführung mit Thomas Hengelbrock und dem Balthasar-Neumann-Ensemble und Chor waren es nun Sir John Eliot Gardiner, der Monteverdi Chor und die English Baroque Soloists, die Bachs Opus summum in der Philharmonie aufführten. 

Es war ein Konzert, bei dem dann auch alles stimmte. Sir John Eliot Gardiner, der große Bach-Spezialist, dirigierte das monumentale Werk auswendig und ließ uns dabei Nuancen hören, die einen den Atem anhalten ließen. Ohne den für ein historisch informiertes Ensemble ungewöhnlich warmen und runden Gesamtklang zu vernachlässigen, ließ uns der Dirigent quasi an der Anatomie des Klanges teilhaben und arbeite wie ein Chirurg mit dem Skalpell alle feinen musikalischen Linien heraus. Die English Baroque Soloists erweisen sich dabei als eingespieltes Team, das es mühelos verstand, die Anweisungen seines Dirigenten in Klang umzusetzen und dabei alle Feinheiten deutlich zu machen. Exzellent die verschiedenen Soli (1. Violine, Querflöte, Oboe d’amore und das schwierig zu spielende ventillose Horn), die von der außergewöhnlichen Spielqualität dieses Orchesters zeugten.

Den Monteverdi Choir live zu hören, ist immer wieder ein Erlebnis der besonderen Art. Auch heute konnte man sich nicht satthören an der phänomenalen Phrasierungskunst, den subtilen Nuancen und der gesanglichen Schönheit des Chors. Bei dieser Qualität wunderte es niemanden, dass die Soli ebenfalls aus dem Chor heraus besetzt waren. Und man konnte hier ausnahmslos hervorragende Sänger und Sängerinnen hören. Nur schade, dass sie im Programmheft nicht namentlich aufgeführt wurden. Es schien sich dabei um die Sopranistinnen Hilary Cronin und Bethany Horak-Hallett, den genialen Altus Reginald Mobley, die Tenöre Nick Pritchard und Jonathan Hanley sowie die Bassisten Dingle Yandell und Alex Ashworth zu handeln. Fazit: Ein Ausnahmechor, ein wunderbar aufspielendes Orchester, tolle Solisten und ein engagierter, werkkundiger Dirigent machten aus Johann Sebastian Bachs h-moll-Messe ein absolutes Hörerlebnis.

Zwei aufregende Solistinnen

Am Dienstagabend wurde dann ein wegen Corona ausgefallenes Konzert nachgeholt. Die Violinistin Noa Wildschut spielte als Rising Star zusammen mit der Pianistin Elisabeth Brauß ein hörenswertes Konzert, das sowohl durch die feinen Interpretationen als auch durch das interessante Programm aus dem Rahmen des Gewöhnlichen fiel. Zwar gab es im ersten Satz der Violinsonate von Maurice Ravel noch einige Intonationsprobleme und es dauerte auch einige Minuten, bis die beiden Musikerinnen ihren gemeinsamen Puls gefunden hatten, dann aber schwangen sich beide zu einer überragenden Gesamtleistung auf. Ravels Sonate wurde von Wildschut einerseits sehr klar und subtil, andererseits aber auch sehr virtuos und wild gespielt; ihre makellose Interpretation wurde von der persönlichkeitsstarken Elisabeth Brauß bewusst konterkariert, sodass sich eine interessante Innenspannung aufbauen konnte. Und diese Innenspannung hielten die beiden Interpretinnen dann auch bis zum Schluss aufrecht.

Joey Roukens Sarasvati for violin and piano aus dem Jahre 2018 ist ein Auftragswerk der ECHO und wurde für Noa Wildschut im Rahmen der Rising-Star-Konzerte geschrieben. Es ist eine moderne Moldau und beschreibt den Wasserlauf des imaginären indischen Flusses von seiner Quelle bis zu seiner Mündung ins Meer. Roukens’ Musiksprache ist verständlich und bildhaft; der Zuhörer hatte keine Schwierigkeiten, der Musik zu folgen. Wildschut und Brauß ließen in ihrem Spiel dann auch keine Wünsche offen und die technische Brillanz, mit der die beiden jungen Musikerinnen die Werke angingen, war schon beeindruckend. Dazu kam ein blindes Verständnis und ein intuitives Aufeinander-reagieren, von dem insbesondere die grandiose 2. Sonate von Sergej Prokofieff profitierte. Wildschut erwies sich als eine kongeniale Gestalterin und Virtuosin, die die Musik aber nie zum Selbstzweck nutzte, sondern immer auf das große Ganze bedacht war. Elisabeth Brauß brauchte dann auch keine Rücksicht auf sicheres Begleiten zu nehmen, denn Wildschut gab ihr durch ihr überragendes und in jedem Moment freies Spiel alle Möglichkeiten, sich auf dem Klavier auszutoben. Überhaupt ist der Klavierpart von Prokofieffs Sonate so genial geschrieben, dass sie eine erstklassige Interpretation braucht, um ein gesundes Gegengewicht zu dem fordernden Part der Violine herzustellen. Dies gelang den beiden Musikerinnen mit Bravour.

Dazwischen Tschaikowskys einzige Komposition für Violine und Klavier (er mochte die Kombination von Streichinstrumenten und Klavier nicht), nämlich Souvenir d‘un lieu cher. Die im ersten Satz (Méditation) sehr stimmungsvolle Musik wechselt aber dann zu virtuoseren (Scherzo) und impulsiveren (Mélodie) Momenten, macht aber dabei deutlich, dass es sich bei Souvenir eher um ein Gelegenheitswerk als um große Musik handelt. Einmal hören war o.k., ein zweites Mal müsste nicht sein. Aber auch bei diesem weniger interessanten Stück holten Wildschut und Brauß ein Maximum aus der Musik heraus und gestalteten, phrasierten und spielten das Werk auf allerhöchstem Niveau. Demnach ein hervorragendes Konzert mit zwei jungen, aufstrebenden Musikerinnen, die man beide unbedingt im Auge behalten muss.