Romain Kohn meint einleitend zur Entwicklungsgeschichte von Clements fotografischem Werk und zur Ausstellung: „Luxemburg hat zwei kulturelle Familien, die es zu Weltruhm gebracht haben, die Family of Man von Edward Steichen und die Family of Jazz von Raymond Clement.“ In der Tat, Clement hat sich einst von besagter Steichen-Expo inspirieren lassen, um seine 1973 begonnene Sammlung mit Porträts von Jazzmusikern für eine Ausstellung in Nancy zu benennen. Später wurde diese erweitert und in zahlreiche Länder auf Reisen geschickt.
Kurator Paul Bertemes hat bei der Hängung der Clement-Schau gleich eingangs diese Präsenz in Nancy, Krakau, Reims, Athen, Brüssel und anderen Städten fotografisch auf übersichtlichen Tafeln in Erinnerung gerufen, sodass der Besucher in die Historie der internationalen Jazz-Familie, wie Clement sie erlebt hat, bequem eintauchen kann. Es folgen nach diesem Rückblick etwa 50 Bilder mit Jazz-Größen, alles Schnappschüsse, die der Fotograf im Laufe der Jahre realisiert hat, wobei er von diesem oder jenem Musiker gerne auch schon mal ungewohnte Posen in seinen Schwarz-Weiß-Lichtbildern zeigt.
Luxemburger Jazz-Szene präsent
In der Folge wechselt sich die Ausstellung mit weiteren Schwarz-Weiß-Fotos und Farbbildern ab. Clement wechselte in der Tat zu einem bestimmten Zeitpunkt auf Farbfotos um. Bei einem Konzert von Miles Davis tauschte der Fotograf Schwarz-Weiß-Filmrollen gegen einen Farbfilm von einem Kollegen. Ursächlich war die Kleidung von Miles. Sie bewegte ihn dazu, auf Farbbilder umzusatteln, wollte Clement doch Miles in seiner bunten Montur mit der Linse festhalten.
Für diese Retrospektive hat Clement sowohl Fotos in ihrer Originaltextur (manche sind 30-40 Jahre alt) als auch frühe Motive neu auf Hartplatten aufgezogen eingesetzt sowie sorgfältig gerahmte Bilder ausgewählt, sodass trotz der langgezogenen Tunnel-Galerie und der zahlreichen aneinandergereihten Fotos eine eigenartige Atmosphäre geschaffen wird. Diese typische Stimmung unterstreichen zudem noch Aufnahmen von Jazz-Konzerten im Melusina oder im anderen Jazz-Club der Unterstadt, da, wo einst die Hochburg dieser abwechslungsreichen Musik angesiedelt war.
Jazz hat Tradition in Luxemburg. Es gab bereits vor Jahrzehnten Jazz-Gruppen hierzulande, doch die heutige Blüte der heimischen Jazz-Musik ist erst nach Schaffung der Jazz-Abteilung im Konservatorium der Stadt Luxemburg regelrecht expandiert. Dem Gründer dieser Abteilung, Gast Waltzing, ist denn auch ein schönes Porträt gewidmet.
Raymond Clement hat neben der Hommage an die international bekannten Pianisten, Trompeter, Schlagzeuger oder Klarinettisten, um nur diese Instrumente nebst dem Gesang zu erwähnen, auch dem Jazz „made in Luxembourg“ breiten Raum reserviert.
Auf acht großen Tafeln hat er ein beeindruckendes Puzzle an Konzertszenen aus Luxemburg mit heimischen Solisten und Gruppen zusammengestellt, wobei wir sowohl weit über unsere Landesgrenzen hinaus bekannte Jazz-Solisten als auch junge, ganz aktive Talente ausfindig machen konnten.
Namen zu nennen würde zu weit führen. Allen Jazz-Freunden ist der Besuch der Expo und die Entdeckung ihrer Lieblingsjazzmusiker wärmstens empfohlen, wobei die bekannten Ensembles der letzten Jahrzehnte, genauso wie nicht mehr existierende Bands, im Bild festgehalten sind. Erinnert wird zudem an noch heute bespielte Kultstätten der Luxemburger Szene, etwa die Abtei Neumünster.
Miles als Leitfigur
Interessant an der Inszenierung der Ausstellung sind außerdem die unterschiedlichen Formate und Reproduktionsarten, die der Persönlichkeit des Abgelichteten noch mehr Ausdruck verleihen. Seit 2004 greift er auf Digitalfotos als modernes Medium zurück, doch versteht Clement seine fotografische Arbeit mit in Echtzeit und live festgehaltenen Momentaufnahmen als künstlerisches Mittel, um die ausgewählten Jazz-Musiker möglichst authentisch darzustellen.
Er verwendet kaum technische Bearbeitungstricks, vielmehr hält er seine Zielpersonen in aktiver Pose ganz im Interpretationselan im Bild fest. Davis, der wie eine Leitfigur durch diese Retrospektive schwebt, hat Raymond Clement stets beeindruckt – und auf Duke Ellington bezogen, wird gar erzählt, er habe fast vergessen, auf den Auslöser zu drücken, da ihn seine Bigbandmusik derart fasziniert habe.
Dennoch, so Romain Kohn im Vorwort, „entsteht ein ikonisches Porträt des Bandleaders und seines durchdringenden Blickes, mit dem er seine Musiker souverän dirigiert“. Clement hat denn auch eine Vielzahl an Anekdoten zu erzählen – sein Jazz-Abenteuer ist eine mehr als fünfzig Jahre lange Geschichte, doch spinnt er diese auch in Zukunft wohl über diese Ausstellung hinaus.
Vom Jazz zur Natur und zurück
Für den Künstler Raymond Clement ist es die zweite Expo in der „Galerie am Tunnel“, hat er doch von Oktober 2017 bis März 2018 die Schau „Nature’s Luxembourg“ mit farbigen Lichtbildern aus den Naturparks des Großherzogtums gezeigt. 40 Jahre lang hat er Landschaftsfotografie mit viel Ausdauer und dem Willen, die Naturelemente auf ansehnliche und oft ungewöhnliche Weise sprechen zu lassen, betrieben.
Nun hat er mit „Miles … and more from Family of Jazz“ wohl auch passend sowohl zur neuen Blütezeit des Jazz in Luxemburg als auch zum runden Geburtstagsjahr von Edward Steichen – Urheber der „Family of Man“, dem die Spuerkeess im „Espace Steichen“ in der „Galerie am Tunnel“ nebst zahlreichen Fotos anderer Meister der Lichtbildkunst huldigt – zurückgefunden.
Jahrelang auch mit einer Radiosendung dem Jazz verbunden, arbeitet der aus Bourglinster stammende Raymond Clement nach und neben seinen Studien in Luxemburg und an der „Famous Photographers School of America“ (1966-67) seit 1962 als Fotograf.
Gewinner zahlreicher Auszeichnungen und Preise, gelang ihm mit seiner 150 Bilder umfassenden „Family of Jazz“ anlässlich der „Jazz-Pulsations“ in Nancy 1975 der internationale Durchbruch. Sein Buch „Jazz expressions“, ausschließlich mit Schwarz-Weiß-Fotos, reicht von Louis Armstrong über Chat Baker, Ray Charles, John Coltrane und Chick Corea sowie Miles Davis und Duke Ellington bis Ella Fitzgerald, Charlie Parker, Dizzy Gillespie, Benny Goodman, Keith Jarrett sowie Oscar Peterson, Sam Rivers und Miriam Makeba.
All diese Bilder sind neben Hunderten anderen Fotos in der Ausstellung präsent. Diese gibt somit einen umfassenden Einblick in die Geschichte des Jazz und seiner brillantesten Protagonisten. Fehlen nur noch Live-Jazz-Musik im „Tunnel“ und selbstredend eine detaillierte Dokumentation in Buchform.
Info
„Miles … and more from Family of Jazz“ von Raymond Clement
Galerie am Tunnel – Spuerkeess Rousegäertchen
Montags bis freitags 9.00-17.30 Uhr und sonntags 14.00-18.00 Uhr geöffnet
Noch bis zum 22. September 2023
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können