Sein leicht melancholischer Blick auf Lieben und Leben brachte dem großen Romankünstler Milan Kundera eine enorme Leserschaft ein. In seinen Büchern schaffte er mit Leichtigkeit den Sprung von kühler Erotik zu anspruchsvollen Exkursen in Politik und Philosophie. Zum Lebensthema des tschechisch-französischen Literaten wurde dabei die Erzähltradition des europäischen Romans.
Nun ist Kundera im Alter von 94 Jahren in Paris gestorben, wie die Mährische Landesbibliothek in Brünn (Brno) mitteilte. Der wichtigen Kultureinrichtung seiner Geburtsstadt hatte der Autor noch zu Lebzeiten seinen Bücher-Nachlass anvertraut.
Der weltweite Durchbruch kam für Kundera 1984 mit dem Roman „Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins“. Das melancholische Liebesdrama zwischen dem untreuen Chirurgen Tomas und der Kellnerin Teresa wurde sofort zum Bestseller. Es spielt sich vor dem Hintergrund der brutalen Intervention der Warschauer-Pakt-Staaten in Prag im August 1968 ab. Die beiden Hauptfiguren gehen den Weg in die westliche Emigration, finden aber kein Glück.
Kunderas eigenes Leben spiegelt die dramatischen Schicksalswenden des 20. Jahrhunderts. Geboren am 1. April 1929 im mährischen Brünn, sollte der Sohn eines begnadeten Pianisten später einmal bemerken: „Es war zugleich ein schöner Tag und eine schöne Bescherung.“ Als Jugendlicher lernte Kundera Klavier, trat im Überschwang der kommunistischen Partei bei, schrieb Lobeshymnen auf Stalin. Doch schon bald wuchs seine Distanz zum Regime.
Wie ein unschuldiger Scherz im Überwachungsstaat in einer Tragödie enden kann, beschrieb er in seinem ersten Roman „Der Scherz“ von 1967. Darin schickt der Student Ludvik eine folgenschwere Postkarte an seine Kommilitonin Marketa: „Optimismus ist das Opium der Menschheit! Ein gesunder Geist stinkt nach Dummheit! Es lebe Trotzki!“ Ludvik muss die Universität verlassen und den Militärdienst ableisten. Jahre später will Ludvik sich am damaligen Parteivorsitzenden der Fakultät rächen. Er verführt dessen Ehefrau, erniedrigt sie bei sadistischem Sex.
Nach der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung Prager Frühling ging Kundera mit seiner Ehefrau, der Fernsehansagerin Vera, 1975 nach Frankreich. Von den CSSR-Behörden wurde er ausgebürgert. Ein Erfolg auch im Westen wurde das „Buch der lächerlichen Liebe“ über sieben Metamorphosen von Liebe und Sexualität. Es besiegelte den Ruf Kunderas als eines Schriftstellers, der vom Persönlichsten ausgeht, ohne dabei die großen Zeitläufe aus dem Blick zu verlieren.
Kollegen wie der Schriftsteller Jaroslav Rudis bewunderten noch Jahre später die Klarheit seiner Prosa: „Bei Kundera ist unheimlich spannend, dass bei ihm kein Wort überflüssig ist.“ Der Verfasser von Bestsellern wie „Das Leben ist anderswo“ widmete sich in zahlreichen Aufsätzen auch der Literaturtheorie. Die Existenzberechtigung des Romans umschrieb er einmal so: „Das einzige, was uns angesichts dieser unausweichlichen Niederlage, die man Leben nennt, bleibt, ist der Versuch, es zu verstehen.“
Falscher Bart und Sonnenbrille
Über den Menschen hinter dem Schriftsteller Kundera ist indes nur wenig bekannt, obwohl er jahrzehntelang im Herzen von Paris wohnte. Der Romanautor sei derjenige, der „hinter seinem eigenen Werk zu verschwinden sucht“, merkte er einmal an. Interviews gab er kaum. Jugendfreunde aus Brünner Tagen besuchte er nur inkognito – mit falschem Bart und Sonnenbrille. Er untersagte ihnen, mit den Medien zu sprechen. Jan Novak, der Autor einer neuen kritischen Biografie, griff auf Geheimdienstakten zurück, um die Lücken zu füllen.
Bereits Ende 2008 waren Prager Zeitungen mit der Enthüllung herausgekommen, Kundera habe als Student 1950 einen Westspion an die kommunistische Polizei verraten. In einer seltenen Stellungnahme sprach Kundera von einem „Attentat auf einen Autor“. Das Verhältnis des Schriftstellers zu seiner tschechischen Heimat galt da schon als zerrüttet. Das Gefühl des Emigranten, nicht mehr dazuzugehören, machte Kundera in „Die Unwissenheit“ (2001) zum Thema. „Nostalgie ist also das von dem unerfüllten Wunsch zurückzukehren verursachte Leiden“, heißt es da.
Umso größer die Überraschung, als Kundera Ende 2019 die tschechische Staatsbürgerschaft annahm. Die Initiative ging freilich nicht von ihm selbst aus, sondern vom damaligen frankophilen Regierungschef Andrej Babis. Denn Kundera wollte nie nur als tschechischer Exil-Dichter wahrgenommen werden, der mit dem Ende des Ost-West-Konflikts an Bedeutung verloren hätte.
Mitten im Schreiben des Romans „Die Unsterblichkeit“ (1990) wechselte er ins Französische, die Sprache der Aufklärung und seines großen Vorbilds, des Philosophen Denis Diderot. Sein letzter Roman „Das Fest der Bedeutungslosigkeit“ von 2014 erschien zuerst in einer italienischen Übersetzung – wie um den Anspruch des Weltliteraten noch einmal zu bekräftigen.
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