Alain spannt den BogenLea und Esther Birringer veröffentlichen mit„Di tanti palpati“ ihre drittes Album

Alain spannt den Bogen / Lea und Esther Birringer veröffentlichen mit„Di tanti palpati“ ihre drittes Album
Lea (l.) und Esther Birringer Foto: Felix Broede

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Vor kurzem besuchte ich das Release-Konzert der dritten CD „Di tanti palpati“ der Violinistin Lea Birringer und ihrer Schwester, der Pianistin Esther Birringer. Im Rahmen dieser Veranstaltung fand dann dieses aufschlussreiche Interview statt.

Tageblatt: Wenn man sich als junge Musiker eine Karriere aufbauen will, muss man da in Sachen Programm schon sehr früh Risiken eingehen, um sich irgendwie abzuheben?

Lea Birringer: Wir haben uns das bei unserer ersten CD auch gefragt. Ist es wirklich sinnvoll, die fünfzigste  Beethoven-Sonate einzuspielen, oder sollen wir was Neues machen? Und wir haben damals beschlossen, etwas zu wagen und dieses Programm mit Violinsonaten von Hindemith, Szymanowski und Respighi aufzunehmen. Wir hatten die im Repertoire und waren also bestens damit vertraut.

Esther Birringer: Wir hatten diese Werke schon bei Wettbewerben gespielt und auch dort gemerkt, dass sie beim Publikum immer sehr gut ankamen. In den Rezensionen wurde immer unser Mut gelobt, von den gängigen Pfaden abzuweichen und eigentlich ganz neues Terrain zu betreten. Drei solche Werke auf einer CD waren schon ungewöhnlich. Lustig ist zu sehen, dass eigentlich das Publikum immer sehr gut mitgeht, während sich die Organisatoren eher die Frage stellen, ob man solche Programme dem Publikum zumuten kann.

Haben Sie den Eindruck, dass das Publikum bei schwierigeren oder weniger bekannten Stücken zu oft alleine gelassen wird?

E.B.: Teils, teils. Ich denke, es ist sehr wichtig, gerade bei den zeitgenössischen Stücken das Publikum aufzuklären. Das soll aber nicht zu musikwissenschaftlich sein, sondern sehr locker. Wir haben gemerkt, dass oft ein paar simple Erklärungen von uns vor der Aufführung genügen, um das Publikum mitzunehmen. Natürlich erreicht man nicht immer alle. Ich erinnere mich da an ein Konzert, wo wir ein Stück von Lena Auerbach gespielt haben. Da kam ein Mann in der Pause wutschnaubend in die Garderobe gestürmt und hat sich furchtbar darüber aufgeregt, wie man solch ein Zeug spielen könnte.

Immerhin hat diese Musik ja dann Emotionen losgelöst.

L.B.: Genau, und das ist wichtig. Musik war und ist ja immer eine Herausforderung an das Publikum. Es ist Kunst und es ist eine Aufgabe der Kunst, zu irritieren und Fragen aufzuwerfen.

E.B.: Ja, und es nützen auch keine wissenschaftlichen Abhandlungen im Programmheft, die nur die wenigsten Zuhörer verstehen oder gar interessieren. Ich glaube, wir Interpreten sind die Vermittler zwischen dem Komponisten und dem Publikum. Und es bricht uns ja kein Zacken aus der Krone, wenn wir uns die Zeit nehmen, und die Zuhörer direkt ansprechen.

L.B.: Ich meine, es gibt heute immer mehr Künstler, die mit dem Publikum sprechen. Früher war das ja nicht der Fall. Und es interessiert vor allem, wie wir, die Interpreten, das Werk erleben. Nicht so der historische Hintergrund, sondern unser persönlicher Bezug. Oder warum wir diese Stelle so und nicht so spielen. Der Hörer erlebt dann die Musik auf einer ganz anderen Ebene. Aber es sollte nicht zu technisch sein.

Sind Sie sich denn als Schwestern immer einig bei der Programmauswahl?

L.B.: Nö! (beide lachen) Bei der Franck-Sonate war das so. Da waren wir uns zu Beginn nicht einig. Und das haben wir dann auch dem Publikum vor der Aufführung erzählt.

E.B.: Ja, wie wir uns dann zu einem gegenseitigen Konsens durchgerungen haben. Da hat das Publikum dann auch immer gelacht. Aber es sind diese kleinen Dinge, die ein ganzes Konzert positiv beeinflussen können.

L.B.: Und es hat dann auch lange Zeit gedauert, bis ich mich mit der Franck-Sonate so richtig angefreundet hatte. Aber nach einem Konzert in Berlin sagte ich plötzlich zu meiner Schwester: „So, jetzt hab ich die Musik begriffen. Jetzt können wir sie aufnehmen.“ Ich denke, es ist ganz wichtig, dass bei uns beiden ein Werk heranreift, und erst dann gehen wir ins Plattenstudio.

Wie kann man sich denn so einen Reifeprozess vorstellen? Nehmen wir die Franck-Sonate.

L.B.: Es gibt Stücke, die liegen einem, andere liegen einem nicht so. Esther konnte ganz gut mit der Franck-Sonate, sie hatte überhaupt keine Schwierigkeiten, den Zugang zu finden. Bei mir war es anders. Einerseits sprach mich die Musik als solche nicht so an, andererseits lag das Werk mir bogentechnisch auch nicht so gut. Als wir sie am Anfang gespielt haben, habe ich mich gar nicht wohl damit gefühlt. Wir haben sie dann während Jahren immer wieder in Konzerten gespielt und ich bin unmerklich in sie hineingewachsen. Und plötzlich war der Schalter umgelegt und ich hatte den Zugang gefunden. Es war für mich schon ein sehr langwieriger Prozess.

E.B.: Wir befinden uns heute in einer sehr schnelllebigen Zeit. Alle jungen Musiker müssen enorm schnell in diese Prozesse hineinwachsen. Nach einem Wettbewerb, den man gewonnen hat, wird man ja für viele Konzerte gebucht. Und normalerweise bekommt dann die Karriere einen wirklichen Push. Was ganz toll ist, aber auch gefährlich. Man muss plötzlich sehr viele Konzerte spielen und man kann sich nicht immer mit den gleichen Werken präsentieren. Also muss man neue Stücke lernen und Interpretationen ausarbeiten. Das ist verdammt viel Arbeit und man muss sich gerade als junger Musiker sehr gut einteilen. Mit unfertigen Interpretationen vor ein Publikum zu treten, bedeutet sehr schnell das Karriere-Aus.

L.B.: Die Zeit, wirklich langsam zu wachsen, hat man heute leider nicht mehr.

Müssen junge Musiker heute vielseitiger sein als früher?

L.B.: Für uns gilt das auf jeden Fall. Wenn wir zu lange ein Repertoire spielen, dann brauchen wir plötzlich einfach Neues.

E.B.: Das muss dann auch keine zeitgenössische Musik sein, auch an den alten Meistern kann man sich erfrischen, aber ich glaube, für unsere Entwicklung ist es enorm wichtig, breit aufgestellt zu sein. Die Zeit, in der Interpreten sich jahrelang nur einem oder zwei Komponisten gewidmet haben, ist vorbei. Heute ist Vielseitigkeit gefragt.

L.B.: Was uns und auch der Musik enorm gut tut. Man spielt eine Beethoven-Sonate anders, wenn man sich vorher intensiv mit neuer Musik beschäftigt hat. Und auch umgekehrt. Das ist sehr bereichernd und öffnet dem Zuhörer oft auch neue Perspektiven des Hörens.

Spielen Sie denn viel zeitgenössische bzw. moderne Musik?

E.B.: Das hängt davon ab und ist auch von Konzertanfragen und CD-Projekten abhängig. Wir haben in den letzten Jahren beispielsweise Alfred Schnittke, Isang Yun, Lena Auerbach, Arvo Pärt und Frank Martin gespielt. In Davos haben wir persönlich mit Valentin Silvestrov arbeiten können. Das war natürlich ungemein spannend, weil es doch eine ganz andere Herangehensweise für uns ist, ob wir die Erklärungen zum Werk quasi aus erster Hand oder nur aus der Partitur bekommen.

Ihre dritte CD ist nun ein ganz besonderes Projekt.

L.B.: Ja, es ist eigentlich meine erste Solo-CD. Das heißt, ich spiele hochvirtuose Stücke für Violine wie Waxmans Carmen-Fantasie, Wienawskis Polonaise brillante, Sarasates Zigeunerweisen oder Di tanti palpiti von Nicolo Paganini. Di tanti palpiti ist dann auch der Titel dieser CD, bei der mich Esther auf dem Klavier begleitet …

E.B.: … und sich nicht versteckt (lacht). Wie Lea sagt, all diese Werke sind in erster Linie für die Violine geschrieben, aber auch dem Pianisten bieten sich exzellente Momente, um zu brillieren.

Was war denn der Anlass, eine CD mit Virtuosenstücken aufzunehmen?

L.B.: Ach, es war einfach eine Herzensangelegenheit, Musikstücke einzuspielen, die absolute Lieblingswerke für mich als Violinistin sind und bei denen der Unterhaltungsfaktor sehr hoch ist. Wir wollen dem Publikum zeigen, dass auch Unterhaltungsmusik brillant und wunderbar komponiert sein kann. Ja, und einfach nur Spaß haben, auch das darf man in der klassischen Musik! (beide lachen)

Francesco bezzi
16. Januar 2020 - 20.40

Mein Tippfehler: di tanti palpiti.

Francesco bezzi
16. Januar 2020 - 20.39

Heißer die CD wirklich so, oder ist es ein Tippfehler? Ich denke eher "du tanti palpiti", eine Arie aus Rossinis "Tancredi". Grüße, Francesco bezzi