TheaterKafka, Krüger und Blabla: Frank Hoffmann inszeniert „Die Verwandlung“ im TNL

Theater / Kafka, Krüger und Blabla: Frank Hoffmann inszeniert „Die Verwandlung“ im TNL
(Fast) alles drin: Hoffmanns Inszenierung kommt nur schleppend voran, das schlichte Bühnenbild und Krügers schauspielerische Leistung überzeugen jedoch Foto: Boshua 

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Eine schauspielerische Glanzleistung ragt heraus aus dieser Inszenierung, die aus lauter Respekt vor ihrer Textvorlage nur schleppend vorankommt.

Werden in der Schule Klassiker gelesen, sollen manche Schüler/-innen die Lektüre über den Weg einer Verfilmung „abkürzen“ – nur um dann böse überrascht zu werden, wenn sie zu einer Passage befragt werden, die in der Adaption fehlt. Sollte jemand mit diesen Hintergedanken ins TNL gehen, um sich Frank Hoffmanns Bühnenbearbeitung von Franz Kafkas „Die Verwandlung“ anzusehen, so sei er oder sie beruhigt: Hier ist (fast) alles drin. Keine wichtige Episode, keine Figur wurde gestrichen – dafür dauert die Aufführung auch praktisch so lange wie die Lektüre der Erzählung. Wie Hoffmann im Anschluss an die Premiere erklärte, ist selbst der Text zu hundert Prozent Kafka, bis auf einige, nur aus dem Wörtchen „Blabla“ bestehende Sätze, die man hinzugedichtet habe. Die Frage, die über dem Abend schwebt, lautet folglich: Kann das Theater bei so viel Reverenz an einen Prosatext diesem überhaupt mehr als ein bisschen Blabla hinzufügen?

„Die Verwandlung“ funktioniert auf der TNL-Bühne am besten dort, wo Hoffmann über Fabian Krügers imposante Schauspielkunst die Verwandlung Gregor Samsas plastisch darstellt. Krüger beginnt den Abend als zugeknöpfter, pflichtbewusster Biedermann und endet als zerlumpte, dreckige Kreatur, die unter Tischen und Decken lungert, auf allen Vieren kriecht und in Tourette-artigen Anfällen Gurgellaute ausstößt. Unter vollem Körpereinsatz formt sich Krüger langsam zum Ungeziefer um und sorgt für zahlreiche Ekelmomente, indem er etwa Essen ausspuckt und später wieder vom Boden aufleckt. Als „abjekt“ kann man solche Szenen mit Julia Kristeva bezeichnen, in denen die poröse Grenze zwischen Mensch und Materie sichtbar wird. Die sicher geglaubten Umrisse des Selbst zerbröckeln im Angesicht von Auswürfen und Unrat.

Der Käfer im sozialen Käfig

Gregor Samsas Ich-Verlust ist bei Hoffmann jedoch vor allem ein sozial bedingter, wie das ebenso schlichte wie effiziente Bühnenbild verdeutlicht. Krüger agiert in einer großen, überwiegend weiß gestrichenen Kiste in Schieflage, die Gregors Zimmer darstellt. Nach vorne ist die Kiste offen, aber nie steigt jemand direkt über die Schwelle zu ihm hinein oder riskiert einen Blick durch die unsichtbare Wand hindurch. Die Kammer ist ein Käfig, vor dem die Familie und der Arbeitgeber mit ihren Ansprüchen an den Sohn und Tuchhändler aufwarten.

Ausschlafen ist nicht in der modernen Welt; bei Verspätung und Arbeitsunfähigkeit ist sogleich die Stelle gefährdet, an der das Los der verschuldeten Familie hängt. Über einer Tür in der hinteren Wand sowie Luken in den Seitenwänden nähern sich die anderen Figuren Gregors Zimmer, anfangs noch, um ihn herauszulocken und zur Arbeit zu bewegen, später dann nur noch, um das Scheusal dort drinnen zu verwalten. Über ein Rohr werden derweil Schutt und Nebel in die Kammer geleitet, die das unliebsame Geschöpf ein für alle Mal vor der Außenwelt verbergen sollen.

Mit der Außenwelt und den weiteren Figuren beginnen allerdings auch die Probleme der Inszenierung. Während die Schwester, Grete, eine gewisse Mehrdimensionalität in der Textvorlage besitzt, sind Vater und Mutter eher funktionale Schablonen bei Kafka. Auf der Bühne werden sie zu fast ebenbürtigen Mit- und Gegenspielern Gregors, ohne dass sie durch ihre Verkörperung wesentlich an Tiefe gewinnen. Den Schauspieler/-innen kann man dies nicht zur Last legen; sie sind gut, aber haben schlichtweg wenig zu spielen. Ulrich Kuhlmann (der Vater) mimt durchweg einen autoritären Patriarchen, Maria Gräfe (die Mutter) eine Schnapsdrossel, die ab und zu Kirchenlieder anstimmt. Geradezu ärgerlich ist der Einsatz von Lili Epply als Grete, die lange Zeit auf ihre Funktion als „Scream Queen“ reduziert wird, bevor sie gegen Ende dann doch noch zeigen darf, dass sie auch anderes kann. Gekleidet sind alle drei in opulente historische Kostüme, die sie im Laufe des Abends mehrfach gegen jeweils modernere austauschen – eine angedeutete Bewegung hin zur Gegenwart, deren Bedeutung allerdings vage bleibt.

Überflüssige Figuren, konventionelle Musik

Fragwürdig ist auch die Entscheidung, Nebenfiguren aus Kafkas Text zu Figuren im Theater zu machen. Wo der Prokurist (von François Camus mit pythoneskem französischem Akzent gespielt) noch den komödiantischen Aspekt unterstreicht, der auch zu Franz Kafka gehört, sind die Auftritte der Hausangestellten (Annette Schlechter und Monique Reuter) und der Untermieter (von den drei Letztgenannten verkörpert) überflüssig. Sie sind im Stück, weil sie halt auch in der Erzählung sind; ihre Szenen zögern das Ende eines überlangen Abends nur weiter hinaus. Verzichten können hätte man auch auf die Musik, dissonante und verstimmte Synthesizer- und Cembalo-Klänge, die ein jeder Komponist für B-Horrorfilme nachts um vier aus dem Ärmel schüttelt. Wem es gelingt, solche Ideenarmut rund um solide Schauspieler/-innen und eine stimmige Bühne zu ignorieren, kann sich ganz auf Fabian Krügers beklemmende Käferwerdung konzentrieren.

Info

Die Verwandlung. Nach Franz Kafka. Regie: Frank Hoffmann. Bühne: Ben Willikens. Bühnenbildmitarbeit: Bernhard M. Eusterschulte. Kostüme: Susann Bieling. Musik: René Nuss. Dramaturgie: Florian Hirsch. Mit Fabian Krüger, Ulrich Kuhlmann, Maria Gräfe, Lili Epply, François Camus, Annette Schlechter, Monique Reuter. Théâtre National du Luxembourg. Premiere am 27. Februar 2020.