Headlines

Alain spannt den BogenJunge Talente suchen ihren Weg

Alain spannt den Bogen / Junge Talente suchen ihren Weg
Tarmo Peltokosi beeindruckte durch seine klare Schlagtechnik, seine Konzentration und Präsenz, setzte allerdings zu oft auf Showeffekte Foto: Philharmonie Luxembourg/Alfonso Salgueiro

Jetzt weiterlesen! !

Für 0.99 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Zwei Künstler der jüngeren Generation traten in den ersten Januartagen in der Philharmonie auf. Der 38-jährige isländische Pianist Vikingur Olafsson präsentierte sich mit einem aufregenden Klavierabend und der 22-jährige finnische Senkrechtstarter Tarmo Peltokosi dirigierte das Neujahrskonzert des Orchestre Philharmonique du Luxembourg.

Es sollte nicht sein. Auch in diesem Jahr bot das restlos ausverkaufte Neujahrskonzert des Orchestre Philharmonique du Luxembourg nur durchschnittliches künstlerisches Niveau. Nach den meistens eher schwachen Neujahrskonzerten der letzten Jahre – mal lag es am Programm, mal an den Dirigenten, mal an den Solisten und mal am Orchester selbst – sollten die Verantwortlichen vielleicht ihr Konzept infrage stellen. Regelmäßig Künstler zu engagieren, die mit der (sehr schweren) leichten Muse nichts am Hut haben, ist auf Dauer keine Lösung.

Die israelische Sopranistin Chen Reiss war trotz angenehmer Stimme eine edle Fehlbesetzung, denn ihr hauptsächlich auf Noblesse ausgerichteter Gesang passte weder zu Mozarts Exsultate jubilate (was um Gottes Willen hatte die Motette von Mozart bei einem Neujahrskonzert zu suchen?) noch zu Strauß’ Klänge der Heimat aus der Fledermaus. Darüber wirkte ihr Vortrag etwas gekünstelt, während die Stimme viel zu kontrolliert blieb und ihre Schönheit so nicht entfalten konnte.

Tarmo Peltokosi ist mit seinen 22 Jahren bereits Chefdirigent des Lettischen Nationalen Symphonieorchesters und wird ab der Spielzeit 24/25 auch den Chefposten beim Capitole in Toulose übernehmen. Zudem ist der junge Finne 1. Gastdirigent des Rotterdams Philharmonisch Orkest und Principal Guest Conductor bei der Kammerphilharmonie Bremen. Die Erwartungen waren also hoch angesetzt – und wurden bitter enttäuscht. Zwar beeindruckte Peltokosi durch seine klare Schlagtechnik, seine Konzentration und seine Präsenz, allerdings setzte er zu oft auf Showeffekte und begann das Neujahrskonzert mit einer recht plakativen und zu groß besetzten Zauberflöte-Ouvertüre von Mozart.

Nach der schon erwähnten Mozart-Motette ging es dann rasant weiter mit vier Ungarischen Tänzen von Johannes Brahms, die der finnische Dirigent dynamisch und temperamentvoll dirigierte, denen es aber oft an Zwischentönen mangelte. Wenige Feinheiten gab es dann auch in der zweiten Konzerthälfte mit Werken von Johann Strauß Sohn. Peltokosi dirigierte den Frühlingsstimmen-Walzer zwar konsequent, geradlinig und mitreißend, ließ aber kaum Raum für die wichtigen Tempovariationen und obligatorischen Ungleichmäßigkeiten. Am besten gelang ihm noch die Fledermaus-Ouvertüre, die er recht forsch und direkt dirigierte und was hier weitaus besser passte.

Nach Mozarts Exsultate jubilate enttäuschte Chen Reiss dann ebenfalls in der Csárdás-Arie, denn ihre Interpretation hatte rein gar nichts mit dem Charakter der Figur Rosalinde und dem Inhalt des Textes zu tun. Tarmo Peltokosi fühlte sich bei der Schnell-Polka Unter Donner und Blitz hörbar wohler als beim Walzer aller Walzer An der schönen blauen Donau, den er recht zögerlich begann und dann nicht mehr so richtig in den Griff bekam. Am Schluss schien sogar das Orchester Schwierigkeiten zu haben, im Takt zusammenzubleiben.

Das Publikum, das sich auf einen künstlerisch schönen Abend eingestellt hatte, dürfte enttäuscht nach Hause gegangen sein, all die anderen, die einen unterhaltsamen Musikabend ohne Anspruch genießen wollten, dürften dagegen sehr zufrieden gewesen sein. Für den jubelnden Applaus zum Schluss gab es drei Zugaben: die Tritsch Tratsch-Polka, die Arie Meine Lippen, die küssen so heiß aus Franz Lehars Giuditta mit der auch hier interpretatorisch blassen Chen Reiss, sowie den Radetzky-Marsch zum Mitklatschen.

Man darf aber die gute Gesamtleistung des Orchestre Philharmonique du Luxembourg nicht unerwähnt lassen. Die Musiker finden sich immer besser mit den Werken von Johann Strauß zurecht und spielen die Walzer flexibel, nuanciert und federnd, die Polkas klangschön und auf den Punkt genau. Jetzt fehlt nur noch ein Dirigent, der in diesem Repertoire zu Hause ist. Wie wäre es beispielsweise mit Manfred Honeck für das Neujahrskonzert 2024?

Ein einzigartiger Pianist

Der vielgepriesene (und reifere) isländische Pianist Vikingur Olafsson widmete sich Mozart und seinen Zeitgenossen Baldassarre Galuppi, C. Ph. E. Bach, Domenico Cimarosa und Josef Haydn und zeichnete somit eine schöne musikalische Landschaft des späten 18. Jahrhunderts. Um diesen wunderbaren musikalischen Reigen nicht zu unterbrechen, spielte Olafsson das Konzert auch ohne Pause. Das war wichtig, denn Olafsson hatte sein Programm in Sachen Dramaturgie und Expressivität klug durchdacht und aufgebaut. Die zentralen Werke waren Haydns b-Moll Sonate Hob.XVI:32 und die beiden Mozart-Sonaten Nr. 16 KV 545 und 14 KV 457, die Olafsson umrahmte mit weiteren kurzen Sonaten von Galuppi und Cimarosa, dem Rondo d-moll Wq61 Nr.4 von C. Ph. E. Bach, Rondos und Fantasien von Mozart, dessen an Bach inspirierte Gigue KV 574, seiner Bearbeitung für Klavier des langsamen Satzes aus dem Streichquintett Nr.5, dem h-Moll-Adagio KV 540 und zum Abschluss dem Ave verum corpus KV 618 in der Bearbeitung von Lizst.

Vikingur Olafsson bestätigte in diesem Konzert seinen Ruf als einzigartiger Interpret und individueller Gestalter. Vielmehr aber ist Olafsson ein Pianist, der auf die Musik vertraut, und im eigentlichen Sinne nicht interpretiert, sich persönlich sogar sehr zurücknimmt. Eher öffnet er Schleusen und lässt die Musik fließen, sich natürlich entwickeln. Sein Anschlag ist klar, fast trocken und mit wenig Pedal versehen. Vielmehr versucht er den Klang des modernen Flügels näher an den des Piano forte heranzuführen. Vieles klingt dann eher asketisch als voll und rund, die Akzente sind geschärft, die Noten stehen klar im Raum. Da gibt es keine Modeerscheinungen, keine unnatürliche Virtuosität oder gar Effekthascherei.

Vikingur Olafssons Spielstil ist sehr eigenwillig; bei Haydn erinnert seine klare, unaffektierte Interpretation an Glenn Gould, ansonsten wendet sich Olafssons Stil mehr in die Richtung von Pianisten wie Pollini, Sokolov oder Badura-Skoda, ohne diese aber je kopieren zu wollen. Hier wächst ein absolut phänomenaler Pianist heran, der, wenn er so weitermacht, bald zu den ganz Großen seiner Zunft gehören wird. Gerade zwischen der historischen Aufführungspraxis und einer klassisch-romantischen Interpretationsausrichtung tut solch ein individueller, klarer und authentischer Pianist enorm gut.