Mein Arzt sagt mir, dass er meine Schwermut zwar verstehe – bei allem, was ich durchgemacht hätte –, aber irgendwann müsse Schluss damit sein. Dieses ewige Trübsalblasen führe doch zu nichts. Es unterdrücke nur die positive Energie, die ich in mir hätte und die, an guten Tagen, förmlich mit Händen zu greifen sei. Es könne nicht angehen, dass ich immer wieder einem Hirngespinst nachjage und dann, wenn mir bei klarem Verstand die Unmöglichkeit meines Unterfangens deutlich werde, sich die Traurigkeit von neuem einstelle und alles wieder von vorne anfange.
" class="infobox_img" />Dieter Heimböckel ist Professor für Literatur und Interkulturalität an der Uni Luxemburg. Seine Beiträge erscheinen im Tageblatt (samstags) und an dieser Stelle im Zwei-Wochen-Takt.
Die Kolumne trägt den Namen Flöz und lädt zu einer Suchbewegung durch das ABC gedanklicher Rohstoffe ein. Was dabei genau herauskommt, liegt wie im Flöz allerdings noch im Verborgenen.
Mir fällt es nicht schwer, meinem Arzt recht zu geben. Er hat recht, wie nur ein Arzt recht haben kann. Das sage ich ihm aber nicht, weil er sonst auf die Idee kommen würde, er hätte bei mir etwas erreicht. So verantwortungslos bin ich nicht. Mir ist doch klar, dass er mich braucht. Was wäre er ohne mich und meine kleinen Irrungen und Wirrungen, mit denen ich es, ich muss es zugeben, ab und zu auch gerne ein wenig übertreibe, damit er sich umso mehr der Notwendigkeit seiner beruflichen Existenz gewiss sein kann.
Ich weiß schon, was jetzt kommen wird! Freunde, die es gut mit mir meinen, haben mir oft genug dazu geraten: Ich sollte es vielleicht einmal mit einem anständigen Arzt versuchen. Wenn ich ihnen darauf versichere, dass ich diesen Ratschlag schon unzählige Male beherzigt hätte und dass also der letzte immer schon der anständigste Arzt gewesen sei, dann handle ich mir in der Regel ein etwas mitleidiges Kopfschütteln und den Hinweis ein, mit wem ich es demnächst unter allen Umständen versuchen müsse. Dass ich bereits jeden Arzt kenne, verrate ich ihnen nicht. Denn gute Freunde sind so selten wie gute Ärzte.
Aber wem sage ich das? Es ist, als ob sich meine Stimme verdoppeln würde. Nur mit dem eigenen Echo spricht es sich nicht sonderlich gut; das ist mein eigentliches Dilemma. Andere meinen, ich hätte einen Ichdefekt oder etwas Ähnliches. Als läge es an mir, glauben sie, mit guter Führung wäre das Problem aus der Welt zu schaffen. Nun muss ich damit leben, dass alles auf mich zurückfällt. Und wie gesagt: Was ich auch immer dagegen unternehme, erweckt den Eindruck, als würde ich mich im Kreis bewegen. Da soll man nicht schwermütig werden? Den will ich sehen, dem es unter diesen Umständen noch gelingt, seine Fassung zu bewahren.
Umso mehr wundere ich mich darüber, wer sich dazu berufen fühlt, seine Überzeugungen über mich auszubreiten. Erst neulich kam jemand, den ich nicht kenne, wie selbstverständlich auf mich zu sprechen und stellte allen Ernstes die Frage, ob ich das wirklich verdient hätte, was mir zugeschrieben werde. Mir ist ohnehin schleierhaft, welcher Art meine Verdienste sein sollen.
Ich habe doch gar nichts Vorzeigbares hervorgebracht. Dabei wird so getan, als wenn ich mit Gott und der Welt auf gutem Fuße stehen und jedem aus freien Stücken mein Herz ausschütten würde. Es verschlägt mir fast den Atem, wenn ich daran denke, welche Geschichten über mich in Umlauf gebracht werden. Selbst mein Arzt kommt aus dem Staunen nicht heraus, wenn uns einmal wieder sein Bedürfnis zusammenführt. Er hat dann seine ganz eigene Theorie, über die ich allerdings nichts verlauten lasse, weil es die Schweigepflicht verletzen würde, auf deren Einhaltung er mich ausdrücklich verpflichtet hat. Ich habe ihm gesagt, dass ich, wie er aus unseren Gesprächen wisse, keine Neigung zum Widerstand verspüre, dass er mir aber unbedingt eine eigene Meinung gestatten müsse, woraufhin er wieder zu bedenken gab, dass mir inzwischen hinlänglich bewusst sein dürfte, welche Folgen das zeitigen würde etc. etc. etc.
Am Ende gebe ich wie immer nach. Solange er sich dabei gut fühlt, soll es mir recht sein. Ich denke mir meinen Teil und lasse die Leute reden, wonach ihnen gerade der Sinn steht. Es hätte ohnehin keinen Zweck, sich dagegen aufzulehnen. Wie es im Wald hineinschallt, so schallt es auch wieder heraus. Das ist mein Schicksal. Sollen die anderen sich meinetwegen den Kopf über mich zerbrechen, so viel sie wollen. Ich habe mit meinem Arzt schon genug zu tun. Und bin so frei.
Zu Demaart
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