Husten – der Bandname klingt, zumal in Corona-Zeiten, nicht besonders einladend. Hört man dann aber den Album-Opener „Weit leuchten die Felder“ mit seinem hypnotischen Streicher-Arrangement und dem gedehnten, leicht heiseren, vertrauten Gesang, dann kommt man gern näher – und wird es nicht bereuen.
Die Besetzungsliste ist ja auch vom Feinsten: Gisbert zu Knyphausen, für viele Kritiker Deutschlands bester Singer-Songwriter; Top-Produzent Moses Schneider (Tocotronic, Beatsteaks); und der frühere Viktoriapark-Sänger Tobias Friedrich alias Der dünne Mann. „Aus allen Nähten“ ist das Debütalbum von Husten, einer Art Supergruppe des deutschsprachigen Indiepops.
Dabei gibt es diese Band als Nebenprojekt von drei bekannten Musikern schon seit rund fünf Jahren, bisher erschienen aber lediglich ein paar EPs. Jetzt also hat das Trio ernstgemacht. Und gar nicht mal so überraschend entstand dabei eine der schönsten, spannendsten Platten aus hiesiger Produktion, die Folkpop-Sensibilität in eine topmoderne, teilweise elektronische Klangkulisse bettet.
Der 43 Jahre alte Frontmann – mit vollem Namen Gisbert Wilhelm Enno Freiherr zu Innhausen und Knyphausen aus Eltville-Erbach im hessischen Rheingau – prägt auch den Band-Erstling. Die überaus angenehme Stimme des Wahl-Berliners, die Originalität, Klugheit und tiefe Empathie der Texte erinnern an seine überragende, zudem sehr erfolgreiche letzte Soloplatte „Das Licht dieser Welt“ (2017).
Am besten kommt Knyphausen im Duett „Dasein“ mit der Schweizer Singer-Songwriterin Sophie Hunger zur Geltung, seinem Label zufolge „die in szenischen Miniaturen geschilderte tragische Lebensliebesgeschichte eines anonymen Paares“. Schon jetzt eines der berührendsten deutschen Lieder des Jahres – die Band erklärt es so: „Als sie am Tag der Aufnahme, einem hellen Wintervormittag, die Straße entlang gewippt kam, bester Laune, sang Sophie bereits die ersten Zeilen und grinste uns an: ‚Das wird künftig bestimmt viel auf Beerdigungen gespielt’.“ Kaum weniger melancholisch klingt der Husten-Sänger im prächtigen „Wind in den Antennen“.
In einem RBB-Interview sagte Knyphausen voriges Jahr, als seine respektvolle Franz-Schubert-Hommage „Lass irre Hunde heulen“ mit dem Pianisten Kai Schumacher erschien: „Wenn ich gefragt werde, was für Musik ich mache, sage ich, dass ich deutschsprachige Lieder schreibe, die mal ganz sanft und mal ganz krachig klingen.“ Es gebe darin „auch viele positive Gefühle wie Freundschaft, Liebe und Lust am Leben, aber ich habe schon einen Hang zu traurigen Liedern“.
Das Ziel sei wie bei seinem US-Vorbild Conor Oberst (Bright Eyes), „den eigenen Weltschmerz in kunstvolle Worte zu packen und in intensive Songs zu gießen“. Beides ist dem Liedermacher Knyphausen nun auch im sonderbar benannten Trio-Projekt mit Moses Schneider und Tobias Friedrich herausragend gelungen. „Aus allen Nähten“ von Husten – diese Platte macht traurig und glücklich zugleich.
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