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Alain spannt den BogenGeballte Musik-Power: Eine englische Woche

Alain spannt den Bogen / Geballte Musik-Power: Eine englische Woche
Maria João Pires begann die Konzertwoche mit einer ungemein poetischen Interpretation des 3. Klavierkonzertes von Beethoven. Foto: Philharmonie Luxembourg/Alfonso Salgueiro

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Wenn sich international renommierte Solisten wie Maria João Pires, Vikingur Olafsson, Emmanuel Tjeknavorian und Dirigenten wie Antonio Pappano und Riccardo Chailly, wie bei einer englischen Woche im Fußball, innerhalb weniger Tage die Klinke in die Hand drücken, dann darf man sich freuen und großartige Musikmomente erwarten. Und dass Gustavo Gimeno und das Orchestre Philharmonique du Luxembourg durchaus in dieser Liga mitspielen können, das zeigte das erste Konzert im ausverkauften großen Saal der Philharmonie.

Die mittlerweile 79-jährige Pianistin Maria João Pires begann diesen Reigen mit einer ungemein poetischen und schönen Interpretation des 3. Klavierkonzerts von Ludwig van Beethoven. Eigentlich ist diese Pianistin ihrem Stil immer treu geblieben. Damals wie heute begeistert ihr sehr poetischer, intimistischer Zugang zu der Musik. Und das, ohne je langweilig zu wirken oder gar mit virtuosen Ausbrüchen zu geizen.

Denn Pires’ Spiel ist trotz aller Zurückhaltung immer sehr lebendig. Jede Note hat ihre Bedeutung und Pires will auch jeder Note ihren Platz im Klangkosmos zuweisen. Somit bleibt die Interpretation immer unter Spannung, man weiß nie genau, welchen Trumpf die Interpretin wann und wie aus dem Ärmel ziehen wird. Ihr Beethoven deutete ganz klar auf Mozart zurück und sah sich auch in dieser direkten Linie der Musikentwicklung.

Nicht zu verstecken brauchte sich das OPL, das seiner Solistin mit mozartscher Feinheit einen wunderbaren Klangteppich hinlegte. Gustavo Gimeno setzte zudem auf einen eher kammermusikalischen, transparenten Klang, der noch einmal Mozart ins Bewusstsein rief. Das Rondo-Allegro baute er konsequent auf und schuf einen hörbaren und nachvollziehbaren Übergang von Mozarts Klang zu Beethovens Rhythmik. Es gab Standing Ovations für die Grande Dame des Klaviers; Maria João Pires und das OPL bedankten sich mit dem 2. Satz Largo aus Johann Sebastian Bachs Klavierkonzert Nr. 5 BWV 1056.

Konzerte für Orchester gibt es einige. Dabei ist das Konzert für Orchester von Witold Lutoslawski, das wir heute quasi im Sensurround erleben konnten, ein durchaus ansprechendes, attraktives, interessantes und kurzweiliges Stück. Gustavo Gimeno und das OPL hatten es dann auch sehr präzise eingeprobt und die dankbare Partitur demnach auch in ein absolut atemberaubendes Klanggewand gehüllt, das enorm räumlich und transparent wirkte, dazu, wo es gefordert wurde, auch sehr rhythmische, kompakte und prägnante Akzente zu setzen vermochte.

Die sehr dreidimensionale Klangentwicklung hatte dann auch einen besonderen Sog, sodass man als Zuhörer förmlich in das Klanggeschehen hineingezogen wurde. Gimeno gestalte die Klänge und Klangschichten mit einer klaren Vision, die von den OPL-Musikern bis ins kleinste Detail meisterhaft umgesetzt wurden.

Ravel und Sibelius

Wir freuten uns natürlich ganz besonders auf das schnelle, unerwartete Wiedersehen mit dem Pianisten Vikingur Olafsson, der für die erkrankte Martha Argerich eingesprungen war. Seine Interpretation des G-Dur-Konzerts von Maurice Ravel wurde dann auch zu einem besonderen Leckerbissen. Kristallklar war der Anschlag und somit jede einzelne Note hörbar, mit unendlicher Schönheit und großer Phrasierungskunst gestaltete er das Adagio, während er in den Ecksätzen mit Brillanz und Virtuosität begeisterte und dabei perfekt mit dem Orchester harmonierte.

Das Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia stand in diesem Tourneekonzert unter Leitung seines Noch-Chefdirigenten Sir Antonio Pappano. Und der war Garant für ein dynamisches und effektvolles Orchesterspiel. Bereits in der Symphonie Classique von Sergej Prokofjew ging er recht offensiv zu Werke. Von allzu feinen Ziselierungen und kammermusikalischem Charakter war nur wenig zu spüren. Das war kein Haydn, sondern waschechter Prokofjew!

Auch bei Jean Sibelius’ 5. Symphonie optierte Pappano für einen vollen symphonischen Klang, mit der er die Qualität seines Orchesters bestens in Szene setzen konnte. Sibelius’ Klangmalerei erlaubt es nämlich allen Pulten, sich solistisch hervorzuheben, sodass Pappano vom Können seiner Musiker profitierte und mit vollen Klangsegeln durch die Partitur stürmte.

Das ging zwar manchmal auf Kosten der Subtilitäten – statt des typischen Sibelius-Nebels gab es blauen Himmel – aber das Hörvergnügen war so groß, dass man Pappanos virtuose Interpretation und das dynamische Spiel des Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia in jedem Moment genießen konnte. Als Dank für die Standing Ovations gab es Nimrod von Edward Elgar als prächtige Zugabe.

Strauß

Respekt an Matthias Georg Kendlinger! Wenn man es schafft, zweimal an einem Tag vor ausverkauftem großen Saal zu spielen, dann hat man alles richtig gemacht, insbesondere, wenn die Konzerte der K&K-Philharmoniker nicht von der Philharmonie selbst kuratiert, sondern privat organisiert wurden. Die Wiener Johann-Strauß-Konzertgala mit den Kaiserlich und Königlichen Philharmonikern soll dann an die glanzvolle Tradition der Donaumonarchie anknüpfen. Kendlinger hatte ein wohlausgewogenes Bouquet aus Operetten-Ouvertüren, Märschen, Polkas und Walzern zusammengestellt, das dann auch beim Publikum sehr gut ankam, zumal es auch noch sehr gelungene Balletteinlagen vom eigenen K&K-Ballett gab.

Im Gegensatz zu dem sülzig-kitschigen André-Rieu-Ensemble beeindruckten die K&K-Philharmoniker durch ein kerniges und präzises, wenn auch wenig beseeltes Spiel. Kendlinger dirigierte zwar, ohne den kunstvollen Linien dieser Musik nachzuspüren, aber er dirigierte dynamisch und aus dem Bauch heraus, was sich dann auch auf die Stimmung im Saal und das Publikum übertrug. Dass die orchestrale Qualität im letzten Viertel etwas nachließ, lag wohl daran, dass die Luxemburger Konzerte die zweitletzte Etappe einer sechswöchigen Tournee mit immerhin 47 (!) Konzerten darstellten.

Prokofjew und Tschaikowsky

Als wollte er den Schmerz und die Schönheit der ganzen Welt darstellen – Riccardo Chailly schenkte uns im zweiten Konzertteil mit seiner tief empfundenen Interpretation von Tschaikowskys 6. Symphonie „Pathétique“ ein ergreifendes Hörerlebnis, dessen es keiner Zugabe mehr bedurfte.

Ungewohnt ernst erschien der Maestro, ungewohnt ernst auch das Orchester. Lag es an der momentanen politischen Situation oder am Erdbeben in der Türkei und Syrien, das Tausende Menschenleben gekostet hat, dass diese musikalische Darbietung zu mehr wurde als nur einem Konzert? Die Pathétique als Mahnmal, als ein musikalischer Weckruf, uns wieder auf unsere Menschlichkeit zu besinnen?

Die Leistung der Filarmonica della Scala war überragend, denn die Musiker folgten Chailly mit größtem Engagement und größter Disziplin. Diese in allen Punkten herausragende Interpretation überdeckte dann quasi komplett den ersten Konzertteil mit Arvo Pärts Cantus in Memoriam Benjamin Britten und dem 1. Violinkonzert von Sergej Prokofjew.

Die fein ziselierte Komposition fand in Emmanuel Tjeknavorian einen exzellenten Interpreten, der mit feinem Spiel und einer makellosen Technik diesem etwas sonderlichen Konzert den Puls fühlte. In einer anderen Programmkonstellation hätte man dieses Konzert vielleicht mehr schätzen können, obwohl Pärt und Prokofjew hier wohl unweigerlich als eine Vorstufe zu der, wie gesagt, überwältigenden Interpretation der Pathétique angesehen werden sollten.