Ari Aster hat ein ungeheures Talent, vermeintlich harmlose Prämissen in Albträume ausarten zu lassen: In „Hereditary“ enthüllt die Konfrontation mit der Familiengeschichte ein düsteres Geheimnis und in „Midsommar“ wird ein Festivalbesuch zum Verhängnis. In seinem dritten Langspielfilm will der Protagonist Beau (Joaquin Phoenix) seiner Mutter einen Besuch abstatten.
Doch dieses einfache Unterfangen erweist sich als komplizierter als gedacht. Denn Beaus Umfeld steht ihm feindlich gegenüber: Vor seiner Haustür herrscht völlige Anarchie, in seiner Wohnung lauern giftige Spinnen, seine Nachbarn sind ihm nicht wohlgesonnen und seine Schlüssel und Koffer werden ihm kurz vor Reiseantritt gestohlen – alles und jeder scheint es auf den ängstlichen Mann abgesehen zu haben.
Wo immer es geht, werden ihm Steine in den Weg gelegt, so dass sein ursprüngliches Ziel – das Haus seiner Mutter – in immer weitere Ferne rückt. Auf seiner Reise begegnet Beau einer Reihe zwielichtiger Gestalten: einem nackten Angreifer, einem überfürsorglichen Ehepaar, einem unberechenbaren Veteranen und einer Truppe, die zu einem Wandertheater gehört. Auch am Zielort kann der bemitleidenswerte Mann nicht aufatmen, denn der Horrortrip war lediglich ein Vorgeschmack auf das wahre Grauen, das ihn zu Hause erwartet: seine Mutter.
Die Mutter als Sündenbock
Im Gegensatz zu Ari Asters vorangegangenen Werken, die eindeutig dem Horror zuzuordnen sind, ist „Beau is Afraid“ von unterschwelligem Humor geprägt. Die schwarze Komödie bildet das Gegenstück zur archetypischen Heldenreise: Beaus Odyssee führt ihn immer tiefer ins Verderben. Der Regisseur entführt das Publikum in die innere Psyche eines neurotischen und paranoiden Mannes, der unter einem schweren Mutterkomplex leidet.
Aster erzählt eine Geschichte verpasster Chancen, für die vor allem Beaus Mutter verantwortlich scheint. Die Mutter als Antagonistin ist zwar wenig originell, aber seit Alfred Hitchcocks „Psycho“ ein bewährtes Feindbild.
Der labile Beau ist dabei ein unzuverlässiger Erzähler, dessen Wahrnehmung von Paranoia, Scham und starken Medikamenten beeinflusst ist. So ist man sich nie sicher, ob sich das Dargestellte auf der Leinwand tatsächlich oder nur in Beaus Kopf abspielt. Die ständige Angst des Antihelden wird filmisch in beengende Einstellungsgrößen sowie zittrige und ruckartige Kamerabewegungen übersetzt.
Das Schauspiel von Joaquin Phoenix tut sein Übriges. Die Titelfigur ist eine Paraderolle für den Charakterdarsteller, dem Furcht und Ratlosigkeit förmlich ins Gesicht geschrieben stehen: hin- und herflirrende, weit aufgerissene Augen, zusammen- oder hochgezogene Augenbrauen, ein immer wieder vor Staunen oder Entsetzen geöffneter Mund. Hervorzuheben ist auch Patti LuPone in der Rolle der herrischen Rabenmutter, die es mit monströsen Leinwandmüttern wie Joan Crawford in „Mommie Dearest“ und Margaret in „Carrie“ aufnehmen kann.
Verschachtelte Erzählstruktur
Beaus Odyssee scheint nicht nur für ihn kein Ende zu nehmen, auch das Publikum wird mit einer Filmlänge von drei Stunden auf die Folter gespannt. Trotz des starken Anfangs verläuft die Handlung streckenweise im Nirgendwo. Da sich einige Handlungsstränge nicht eindeutig erschließen, neigt man zudem schnell zu Überinterpretationen. Diese verworrene Erzählstruktur lässt sich zwar unter dem Deckmantel des unzuverlässigen Erzählens verbergen, aber alle Ungereimtheiten Beaus Wahnvorstellungen zuzuschreiben, ist einfach.
Obwohl am Ende Fragen offen bleiben, ist der Film allein schon wegen Joaquin Phoenix und Patti LuPone sowie der fantasievollen, virtuos inszenierten Filmbilder sehenswert. Auch wenn man nicht unbedingt Gefallen am Film findet, bietet er viele unvergessliche Momente. Urteil: zwiespältig.
Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können