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Ein getanzter Selbstfindungsversuch

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„Faites le plein s.v.p. – Bitte volltanken“ nennt Jean-Guillaume Weis seine Tanz-Collage, die mit 23 Einzelszenen in der Tat „vollgetankt“ erscheint. Das Bühnenbild dagegen wirkt eher karg: Ein paar Schuhe am hinteren Bühnenrand, eine Videoleinwand und ein Barhocker genügen dem Künstler als Requisiten./Sarah Gilbertz

Vorsichtig schreitet er die Bühne ab, als müsse er seine Umgebung erst einmal erkunden. Als die ersten Trommelrhythmen erklingen, beginnt sein Körper sich langsam zur Musik zu bewegen, gleitet dann mit kräftigen Drehungen über die Bühne, setzt zum Sprung an – und bricht mitten in der Bewegung ab. Unter resigniertem Kopfschütteln bringt der Tänzer seinen Körper wieder in die Anfangsposition, wiederholt den Bewegungsablauf wieder und immer wieder, offensichtlich ohne das gewünschte Resultat zu erzielen. Schließlich reißt er entnervt die Arme nach oben: „Das kommt vom vielen Nachdenken!“
Weis’ neues Stück ist ein ständiges Suchen, das Suchen nach den passenden Schuhen, nach dem passenden Hemd, nach einem passenden Ort für den Barhocker, und immer wieder die Suche nach den vollkommenen Tanzschritten. Dem Zuschauer bietet sich hier kein makellos inszeniertes Spektakel, sondern ein Einblick in den Schaffensprozess des Künstlers. Eine Art allwissende Stimme greift immer wieder lenkend in das Geschehen ein und deklamiert zu Beginn der Aufführung: „Ich bin Jean-Guillaume Weis“. Doch ist es wirklich so einfach? Wer ist dieser Jean-Guillaume Weis?
In seinem knapp einstündigen Stück versucht Weis diese Frage zu beantworten und schlüpft dazu in die verschiedensten Rollen. Mal stolpert er als Charlie-Chaplin-Imitation über die Bühne und bewirft das Publikum mit „Kachkéiseschmieren“, mal erscheint er mit nacktem Oberkörper und grimmiger Miene als Terminator. An alte Stummfilme erinnernde Videosequenzen zeigen den Künstler als tanzenden Koch oder weiß bekleideten Märchenprinzen. Mit einer großen Portion Selbstironie mimt der Künstler diese Charaktere und entführt das Publikum auf einen humorvollen Selbsterkundungstrip durch seine Persönlichkeit(en).

„Faites le plein s.v.p.“

 Zur Person

Jean-Guillaume Weis, geboren am 16. September 1969 in Luxemburg, erhielt seine Tanzausbildung am Luxemburger Konservatorium und an der Ecole du Ballet Contemporain in Brüssel. Er tanzte im Ensemble von Mark Morris in Brüssel und New York, im Pina-Bausch-Tanztheater in Wuppertal und in zahlreichen Produktionen weltweit. 1998 gründete er die Guillaume Weis Dance People und arbeitet seitdem als Choreograph in Luxemburg.

„Faites le plein s.v.p. – Bitte volltanken“ ist zugleich Tanz und Theater. Weis erzählt mit seinem Körper, ebenso wie mit seiner Stimme. Er gibt Anekdoten aus seiner Kindheit preis, erzählt vom Glamour früherer Tanzengagements und den Menschen, die er auf seinen Reisen durch Kambodscha und Laos getroffen hat. Schließlich zieht er sich eine Augenmaske über das Gesicht und ertastet den Raum um ihn herum in einem blinden Tanz, seine Bewegungen bestehen oft nicht aus mehr als einem Schulterzucken, einem Abtasten.
Weder will Jean-Guillaume Weis sich auf eine Rolle noch auf einen Tanz- oder Musikstil festlegen. Er mischt klassisches Ballett mit zeitgenössischem Tanz, zarte Geigen- und Pianotöne mit Hip-Hop-Beats und stellt lateinamerikanische Rhythmen neben die abgedrehten Klänge von Manu Chaos „King of bongo“. Der Choreograf spielt in seinem Stück mit Etikettierungen und Schubladendenken und beschreibt seine Kunst provokativ als zeitgenössischen, modernen, expressionistischen, neoklassischen, barocken Tanz.
Weis’ aktuelles Stück ist eine Ansammlung an Tanzfragmenten, eingestreuten Überlegungen und Theatersketchen und bisweilen wünscht man sich, Weis würde für einen Moment alle Überlegungen sein lassen und einfach drauflostanzen. Doch erst am Ende kann er sich dem vielen Nachdenken, das ihn bereits am Anfang gehemmt hatte, entziehen. Zu lateinamerikanischen Rhythmen scheinen die Bewegungen plötzlich mühelos aus ihm herauszufließen. Der Kreis schließt sich und die Fragmente fügen sich zu einer harmonischen Einheit zusammen.