So ist das Jazz at Lincoln Center mit seinen wechselnden Besetzungen nicht nur eine Talentschmiede für junge Jazzmusiker, es erfüllt darüber hinaus auch noch pädagogische Zwecke und will auch dazu beitragen, musikalische Grenzen zu überwinden. Andras Schiff, der für drei Konzerte in Luxemburg gastierte, stellte bei seinem ersten Konzert im Kammermusiksaal der Philharmonie als Moderator drei junge und hochtalentierte Pianisten vor, die jeder für sich begeistern konnten.
Ein Blockbuster zu Beginn
Was für ein Konzert! Regelrecht verwöhnt wurde das Publikum am vergangenen Freitag in der Philharmonie bei einem Konzert der Aventure+-Serie. Gleich drei Konzertteile mit einer Gesamtdauer von drei Stunden konnte der Zuschauer da erleben. Es begann sehr klassisch, nämlich mit „Bilder einer Ausstellung“ von Modest Mussorgsky in der Ravel-Orchesterfassung. Am Pult des Orchestre Philharmonique du Luxembourg stand der hochgelobte Cristian Macelaru, einer der gefragtesten Dirigenten unserer Zeit. Macelaru hatte dann mit den OPL-Musikern auch eine sehr sorgfältige Interpretation des klassischen Blockbusters erarbeitet, eine Interpretation, die sehr viel Liebe fürs Detail und für Nebenstimmen erkennen ließ. Was aber nicht hieß, dass hier analytisches Vorgehen in den Mittelpunkt gestellt wurde.
Cristian Macelaru gelang es, feinste Subtilitäten mit einer sehr dynamischen und klangprächtigen Wiedergabe in Einklang zu bringen. Man kann nur vermuten, dass es durch die momentane Kriegssituation in der Ukraine bedingt war, dass der Dirigent dem russischen Pathos des abschließenden „Das große Tor von Kiew“ Einhalt gebot, dieses Finale zwar laut und wuchtig erklingen ließ, es aber klanglich und interpretatorisch schon irgendwie in der Nähe eines Schostakowitsch zu positionieren wusste.
Es wird gejazzt
Nach der ersten Pause kam dann noch Wynton Marsalis’ Jazz at Lincoln Center Orchestra hinzu, um dessen 4. Symphony The Jungle zu spielen. Dieses 65 Minuten dauernde Werk ist natürlich stark Jazz-orientiert und eine Huldigung an die Stadt New York. Marsalis, der ja nicht nur im Jazz, sondern auch in der Klassik zu Hause ist, hat mit The Jungle ein aufregendes, nie langweiliges und immens farbiges Werk komponiert, dessen sechs Teile verschiedenen Bilder und Stimmungen New Yorks wiedergeben. Marsalis verfällt in seiner 2016 komponierten Symphonie keinen amerikanischen Klischees, sondern schafft ein Werk mit größter Spannweite an Emotionen, Rhythmen und Farben. Das unvergleichliche Jazz at Lincoln Center Orchestra begeistert als Brassband mit einer absoluten Präzision und Dynamik. Beide Ensembles, OPL und Jalco, werden von Cristiam Macelaru zu einem einzigen Klangkörper zusammengeschweißt, der an diesem Abend erstklassiges Musizieren hundertprozentig garantiert. Jubel und Standing Ovations gibt es vom Publikum der bis auf den letzten Platz ausverkauften Philharmonie.
Bei der anschließenden Zugabe dürfen sich verschiedene Solisten des OPL mit Improvisationseinlagen als Jazzmusiker beweisen und musizieren so zusammen mit den Kollegen vom Jalco. Nach einer zweiten Pause gibt es dann noch eine kürzere Session, die alleine von den Musikern des Jalco bestritten wird. Und hier geht dann noch mal so richtig die Post ab. That’s Jazz! Wynton Marsalis selbst, der Leiter des Ensembles, sitzt bei The Jungle und der Session als Trompeter mitten im Ensemble.
Neue Talente suchen ihren Weg
Ebenfalls aus drei Teilen bestand das folgende Konzert, bei dem Starpianist Sir Andras Schiff drei seiner Schützlinge vorstellte. „Ich mag keine Wettbewerbe, ich mag lieber Brücken bauen.“ So ähnlich begann Andras Schiff bei der Vorstellung seines Projektes „Building Bridges“, das zum Zweck hat, besonders talentierte junge Pianisten, mit denen er gearbeitet hat, einem größeren Publikum vorzustellen. Leider war der Kammermusiksaal der Philharmonie nur zur Hälfte besetzt, doch die, die gekommen waren, erlebten tatsächlich drei außergewöhnliche Pianisten mit einem bereits sehr ausgereiften Können.
Den Anfang machte der 23-jährige Tom Borrow aus Israel. Er spielte César Francks Prélude, Choral et Fugue sowie Henri Dutilleux’ Klaviersonate „Choral et variations“. Sein kräftiger Anschlag überraschte und irritierte zu Beginn, ist man doch das Franck-Werk weitaus dezenter gewöhnt. Aber die freche Herangehensweise gefiel und tat der Musik erstaunlich gut, zumal Borrow seinen direkten und packenden Zugriff an keiner Stelle zum Selbstzweck nutzte. Großartig dann die Dutilleux-Sonate, die man kaum plastischer und reliefartiger spielen kann.
Es folgte nach einer Pause die 21-jährige amerikanische Pianistin Avery Gagliano mit der bekannten „Barcarolle op. 60“ von Frédéric Chopin, die hier in einer stilsicheren und expressiven Interpretation erklang. Besonders gut gefiel mit Gaglianos Interpretation der 4 Impromptus von Franz Schubert, die sie mit Frische, wohldosierter Virtuosität und einem untrüglichen Sinn für das Wesentliche meisterhaft zu gestalten wusste.
Auch der ungarisch-amerikanischen Pianistin Julia Hamos lag die Musik der Romantik besonders gut. Wie Gaglionos Frische bei Schubert überzeugte nun Hamos’ kraftvoller Anschlag bei Schumann. Dessen „Davidsbündlertänze“ wurden hier gekonnt und sehr vielschichtig interpretiert. Zudem gelang es der 22-jährigen Pianistin, das ganze Ausdrucksspektrum von Schumann im Sinne der Romantik sehr deutlich, aber nie überzogen darzustellen. Drei kurze Stücke von György Kurtag (aus „Jatekot“) und György Ligeti (Etudes Nr. 11 & 4) wiesen die Pianistin zudem als eine vielversprechende Interpretin für zeitgenössische Musik aus.
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