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Als fiele ein Sonnenschein in unsere Literaturszene

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Im Vorfeld der Vorstellung ihres Buches „... als fiele ein Sonnenschein in meine einsame Zelle“, in dem das Tagebuch der Luxemburgerin Yvonne Useldinger aus dem Frauen-KZ Ravensbrück aufgearbeitet wird, sprachen wir mit der Autorin Kathrin Mess./ Das Gespräch führte Carlo Kass

„Tageblatt“: Wie kamen Sie als junge deutsche Akademikerin dazu, gerade das Tagebuch der Luxemburger Kommunistin Yvonne Useldinger zu überarbeiten?
Kathrin Mess: „Ich habe an der Humboldt-Universität studiert und ein Praktikum an der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück absolviert, als man mich fragte, ob ich ihr Tagebuch edieren möchte.“

„T“: Wann war das und wie lange haben Sie daran gearbeitet?
K. M.: „Mit der Arbeit angefangen habe ich im Studienjahr 1998-1999. Mit Unterbrechungen habe ich vier Jahre daran gearbeitet.“

„T“: Sie planen bereits ein zweites Buch?
K. M.: „Ich bin dabei, ein Buch über alle Luxemburgerinnen im KZ Ravensbrück zu schreiben. Es handelt sich dabei quasi um einen zweiten Teil.“

„T“: Wann können wir damit rechnen?
K. M.: „Ich hatte bis Mai dieses Jahres ein zweijähriges Stipendium vom Luxemburger Kulturministerium, aber das reicht nicht für eine Arbeit, bei der man alles selbst recherchieren muss. Deshalb werbe ich beim Erscheinen des vorliegenden Buches auch etwas offensiv, man möge mir Informationen zum Thema ‚Luxemburgerinnen in deutschen KZ‘ zukommen lassen. Ich rechne damit, dass ich noch zwei Jahre brauche, muss für diese Zeit also einen Sponsor finden.“

„T“: Also, avis aux amateurs! Doch zurück zum vorliegenden Werk: Wie kam das Tagebuch der Yvonne Useldinger nach Ravensbrück?
K. M.: „Das Tagebuch lag bis Ende der Siebziger Jahre in ihrem Keller in Esch, bis dann Ernst Schmidt sie mit ihrer Freundin Anna Fichter besuchte und die Unterlagen der Familie Useldinger mit in sein Archiv nach Essen nahm. Danach lag es längere Zeit als Leihgabe in der Gedenkstätte Ravensbrück aus, um später an die Villa Pauly ausgeliefert zu werden …“

„T“: … die Villa Pauly, in der während des Krieges die deutsche Geheime Staatspolizei (Gestapo) ihr Unwesen trieb, beherbergt heute das Zentrum für Dokumentation und Forschung des Widerstandes in Luxemburg. Doch warum hat sich damals kein Luxemburger Historiker für das Tagebuch der Yvonne Useldinger interessiert?
K. M.: „Wie ich den Gesprächen mit ihr entnahm, gab es in Luxemburg immer Streitigkeiten zwischen dem bürgerlichen und dem ehemals kommunistischen Lager. Aber auch unter den Resistenzlern selbst gab es erbitterte Grabenkämpfe. Bis zum Schluss hatte sie Angst, dass eine eventuelle Ausstellung, auch innerhalb der kommunistischen Partei, überarbeitet werden könnte. Sie wissen ja, dass der Aussteller auch über die Interpretationshoheit verfügt.“

„T“: Wie sieht das Tagebuch physisch aus?
K. M.: „Es ist ein sehr kleines, dünnes Heftchen im A5-Format.“

„T“: Wie haben Sie es ausgewertet?
K. M.: „Ich habe alles, was unklar war in dem Tagebuch, versucht aufzuklären. Ich habe gemeinsam mit Frau Useldinger die Abkürzungen ergänzt, um das Ganze in seinen Kontext zu bekommen. Dann habe ich von der Person Yvonne Useldinger Abstecher gemacht in die große Geschichte. Ich habe, wie man unter Historikern sagt, Geschichte von unten gemacht.“

„T“: Sie nutzten also die Distanz des Historikers, um die kleinen Geschichten in die große zu packen. Ist Ihnen das gelungen?
K. M.: „Das werden mir die Kritiker schreiben.“

Das Gewissen, keinem anderen zu schaden

„T“: Ist das Besondere an dem Buch vielleicht, dass zwei Frauen Aufschluss geben über eine Zeit, die meist sehr patriarchalisch von Männern behandelt wird?
K. M.: „Für das vorwiegend katholische Luxemburg stimmt das vielleicht, in Deutschland ist das etwas anders. Sie müssen aber bedenken, dass ich in der früheren DDR geboren wurde.“

„T“: Gibt es, außer dem Tagebuch der Anne Frank, das in ihrem Versteck in Amsterdam geschrieben wurde, noch viele von Frauen geschriebene Tagebücher aus dieser Zeit?
K. M.: „Ja, aber Tagebücher direkt aus dem KZ sind doch eher selten.
Und es besteht immer die Gefahr, dass sie nach dem Krieg überarbeitet wurden. Ich habe in diesem Zusammenhang verschiedene andere Tagebücher verglichen. Das Tagebuch der Yvonne Useldinger war nach dem Krieg jedenfalls nicht überarbeitet worden.“

„T“: Sie lehren an der Uni Luxemburg. Was haben Sie studiert?
K. M.: „In Deutschland muss man mehrere Fächer belegen. Ich studierte Literatur, Kunst, Philosophie und Geschichte.“
„T“: Ihren Doktor haben Sie aber in Philosophie gemacht?
K. M.: „Doktor? Der ist in Kulturwissenschaften und, ja wie nennt sich das? Eigentlich waren sämtliche Fachrichtungen daran beteiligt.
Meinen Abschluss absolvierte ich in Kunstgeschichte und Literaturwissenschaften. Die Magisterarbeit habe ich bei einer Literaturwissenschaftlerin in Geschichte geschrieben und promoviert habe ich bei einem Linguisten, einer Historikerin und einem Kulturwissenschaftler.“

„T“: Eine wahrhaft vielfältige akademische Karriere!
K. M.: „Aus jedem Dorf ein Hund, sagt man bei uns.“

„T“: Aus welcher Perspektive sind Sie den Stoff denn angegangen?
K. M.: „Aus allen Richtungen.“

„T“: Sie haben Frau Useldinger bis dahin nicht gekannt?“
K. M.: „Nein.“

„T“: Besuchen Sie die 87-Jährige, die heute in einem Escher Pflegeheim lebt, regelmäßig?
K. M.: „Sie ist leider schwer erkrankt und erkennt niemanden mehr. Aber ich besuche sie trotzdem und rede mit ihr wie früher. Als ich ihr kürzlich das Cover meines, man müsste eigentlich sagen ‚unseres‘ Buches zeigte, meinte sie spontan, das sei vom Krieg.“

„T“: Sie haben viel Zeit mit Yvonne Useldinger verbracht. Wie sind Sie in ihre Persönlichkeit eingedrungen?
K. M.: „Ich habe sie zum ersten Mal in einem Interview gesehen. Sie saß von Scheinwerfern angestrahlt auf einem Podium und wirkte auf mich wie eine unantastbare Ikone. Damals kam in mir auch die Frage auf, ob ich dieser Arbeit überhaupt gewachsen sei. Als ich sie dann aber in Luxemburg traf, waren wir uns gleich sympathisch und bauten ein Verhältnis auf, das auf gegenseitigem Vertrauen beruhte. Ich wurde mir damals darüber klar, dass diese Menschen teilweise zu Ikonen gemacht werden.“

„T“: Hatten Sie in Ihren Gesprächen mit Yvonne Useldinger den Eindruck, dass in Krisenzeiten, in denen die Habenichtse für die Besitzenden geradestehen müssen, wie wir das auch heute erleben, das individuelle Gewissen über dem kollektiven Wahnsinn steht?
K. M.: „Das Leben der Yvonne Useldinger, das wie ein roter Faden vom Gewissen, keinem anderen zu schaden, durchzogen war, gibt das sicher her. Doch ist es mit dem individuellen Gewissen so eine Sache, in die mich zu mischen ich keine Kompetenz in mir verspüre.“