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ChamberZwischen Kritik und Zuspruch: Platzverweis spaltet die Gemüter

Chamber / Zwischen Kritik und Zuspruch: Platzverweis spaltet die Gemüter
Der neue Platzverweis wird vor allem Obdachlose treffen, die nachts in überdachten Eingängen Zuflucht suchen Foto: Freepik

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In Luxemburg hat die Polizei fortan die Möglichkeit, Personen aus öffentlich zugänglichen Gebäude-Eingängen zu verweisen, sofern sie denn eine Behinderung darstellen. Die entsprechende Anpassung des Polizeigesetzes wurde nun im Parlament verabschiedet. Doch die Maßnahme bleibt umstritten.

Unzureichend, unpräzise sei die Maßnahme, erniedrigend und asozial. Das ist nur eine Auswahl der Worte, mit denen die Anpassung im Polizeigesetz von Mitgliedern der Opposition im Verlauf der letzten Woche bedacht wurde. Von Mitgliedern der Mehrheitsparteien wurde der neue Platzverweis indessen als wichtiger Schritt in die richtige Richtung gefeiert, als wirksames Instrument, das es der Polizei erlaubt, schnell auf eine Situation zu reagieren und die öffentliche Ordnung wiederherzustellen. Nur in einem Punkt waren sich die meisten Abgeordneten mehr oder weniger einig: Der Platzverweis allein reicht nicht aus, um die Ursachen zu bekämpfen.

In der Regel sind es nämlich Drogen, Armut und Obdachlosigkeit, die Menschen nachts in überdachte Eingänge von Häusern, Geschäften und Appartementgebäuden treiben. Bislang hatte die Polizei keine rechtliche Handhabe, die Betroffenen von besagten Plätzen zu verweisen – ein Umstand, der besonders im Zusammenhang mit den Diskussionen um die Sicherheit im hauptstädtischen Bahnhofsviertel oft von Bürgern, Geschäftsleuten und Behörden lautstark kritisiert wurde.

Mit der Anpassung des Polizeigesetzes haben Polizisten nun die Möglichkeit, Personen aus öffentlich zugänglichen Ein- oder Ausgängen zu verweisen, sofern sie diese denn zusetzen. Betroffen sind natürlich in erster Linie Obdachlose oder Abhängige, die unter den meist überdachten Zugängen Zuflucht suchen, um dort etwa Alkohol oder andere Substanzen zu konsumieren oder die Nacht zu verbringen.

„In dem Fall handelt es sich nicht nur um ein Hygieneproblem“, wie Berichterstatterin Stéphanie Empain („déi gréng“) am Dienstag vor der Abstimmung im Parlament betonte. „In vielen Fällen kommen Bewohner nicht mehr ungestört in ihre Wohnung, wenn sich andere Menschen im Eingang ausgebreitet haben – nicht selten sogar unter dem Einfluss von Drogen oder anderen Substanzen.“ Dies sei längst nicht nur im hauptstädtischen Bahnhofsviertel der Fall.

Ein delikates Spannungsfeld

Natürlich sei man sich bewusst, dass es sich um ein „delikates Spannungsfeld“ handelt, in dem sowohl die Rechte beider Parteien respektiert werden müssten als auch die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. „Eine Wunderlösung gibt es leider nicht“, so Empain. Um eine generelle Verbesserung der Situation zu erreichen, müssten auch andere Pisten verfolgt werden. „Was aber die Arbeit der Polizei angeht, so hat sie zumindest jetzt eine Handhabe, den Hebel anzusetzen.“

Wie sieht dieser Hebel konkret aus? Personen, die aus welchen Gründen auch immer einen öffentlich zugänglichen Ein- oder Ausgang versperren, können künftig von Beamten dazu aufgefordert werden, diesen Platz zu räumen. Sollten die Betroffenen der ursprünglichen Bitte nicht nachkommen, haben die Beamten nun die Möglichkeit, einen Platzverweis auszusprechen. Sollten sich die Personen dann immer noch weigern, haben die Beamten das Recht, die Betroffenen physisch aus dem Eingang zu entfernen.

Wichtig sei in diesem Zusammenhang zu bemerken, dass es sich nicht um eine Strafe handelt, so Empain, sondern um einen raschen Eingriff zur Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung. Die eingangs erwähnte Verhältnismäßigkeit wird von der Abgeordneten wie folgt definiert: „Die Freiheit eines Einzelnen endet dort, wo die Freiheit anderer Menschen beginnt.“ In diesem bestimmten Fall werde die Bewegungsfreiheit der Bewohner dadurch eingeschränkt, dass andere Personen einen Eingang versperren. „Mit der Anpassung wurden jetzt klare Bedingungen geschaffen, die sicherstellen, dass die Bewegungsfreiheit dieser Menschen aber gewährleistet bleibt, auch wenn dadurch die Freiheit vereinzelter Menschen eingeschränkt wird.“

Schaufenster nicht betroffen

Was nun die Umsetzung der Maßnahme in der Praxis angeht, muss es sich um einen öffentlich zugänglichen Platz handeln, wie Polizeidirektor Pascal Peters („Police administrative“) betont. Es kann sich demnach um ein Wohnungsgebäude, Büros oder Geschäftsräume handelt. „Die Nutzung ist eigentlich zweitrangig. Es geht wirklich darum, dass der Bereich öffentlich zugänglich ist. Muss man beispielsweise zuerst klingeln, um durch eine verschlossene Tür zu gelangen oder über ein privates Gelände, um zur Haustür zu kommen, befindet man sich schon im strafrechtlichen Bereich. In dem Fall greifen andere Gesetze“, so Peters.

Es sei auch nicht von Belang, ob die betroffenen Personen eine Gefahr für sich selbst oder Umstehende darstellen. Es reiche, dass sie einen Zugang versperren und andere Personen in ihrer Bewegung einschränken. Außerdem seien ausschließlich Ein- und Ausgänge betroffen. Vor einem Schaufenster, Vitrinen oder anderen Bereichen, die nicht zum Ein- oder Ausgang gehören, könnten die Beamten nicht eingreifen.

Die entsprechenden Vorschriften seien bereits ausgearbeitet worden. Darin wird genauestens festgehalten, was die Beamten dürfen, was nicht und wie sie in bestimmten Fällen vorzugehen haben. „Wichtig ist, dass unsere Polizisten zuerst mit den Betroffenen sprechen, bevor sie gegebenenfalls dazu aufgefordert werden, den Eingang zu räumen. Nur wenn sie sich dann noch weigern, können sie auch mit körperlicher Kraft aus dem Bereich entfernt werden“, betont Peters.

Blind nach Vorschrift handeln, sollen die Ordnungshüter allerdings auch nicht. „Vieles hängt auch von der Einschätzung der Beamten vor Ort ab“, unterstreicht der Polizeidirektor gegenüber dem Tageblatt. In dieser Hinsicht wolle man den Polizisten etwas Spielraum lassen. Schließlich sollte man die Lage durch eine Wegweisung nicht noch verschlimmern. Besonders im Winter müssten sich die Beamten die Frage stellen, was es nun bringt, eine Person raus in die Kälte zu verweisen.

„Bei sozialen oder medizinischen Notfällen sollten die Betroffenen aufgefangen werden. Andernfalls ist der Sache nicht gedient“, betont Peters. Es sei wichtig, dass die Polizisten in solchen Fällen mit sozialen Akteuren zusammenarbeiten können. Andernfalls seien die Betroffenen nach fünf Minuten wieder vor Ort, woanders oder ganz der Kälte ausgesetzt.

Zwischen Kritik und Zuspruch

Ein fehlendes Angebot sozialer Lösungen war auch der Anlass für harsche Kritik seitens der Opposition. Für Nathalie Oberweis („déi Lénk“) sei die Maßnahme ein trauriger Versuch, Menschen am Rande der Gesellschaft aus dem öffentlichen Bild einer Stadt zu verbannen. „Welches Recht haben wir, diese Menschen zu erniedrigen? Was geht uns an, über Menschen zu urteilen, die nicht so viel Glück hatten wie wir anderen“, so Oberweis. Mit diesem Platzverweis bekämpfe man nur die Symptome und nicht die Krankheit. Anstatt die Betroffenen zu stigmatisieren, sollte man eine proaktivere Politik betreiben, um den sozialen Problemen entgegenzuwirken.

Der CSV hingegen geht die Maßnahme nicht weit genug. Man begrüße es zwar, dass die Regierung endlich den Platzverweis eingeführt habe. Schließlich habe die CSV dies seit langem gefordert. Allerdings fehlten klare Richtlinien und deutliche Vorgaben. Auch sei die Maßnahme nur auf Ein- oder Ausgänge begrenzt. Schaufenster seien hingegen nicht betroffen. „Wenn also Betroffene aus dem Eingang verwiesen werden, können sie sich beim benachbarten Schaufenster einnisten. Für uns ist das ein Schwachpunkt“, so Léon Gloden. Deshalb wolle sich die CSV nach wie vor für ein generelles Platzverbot starkmachen sowie strenge Vorgaben und Sanktionen fordern im Fall einer Nichtbeachtung.

Im Gegensatz zu „déi Lénk“, die gegen die Anpassung stimmten, sowie CSV und ADR, die sich enthielten, schlugen sich die Piraten auf die Seite der Mehrheitsparteien. Es sei keine einfache Entscheidung gewesen, meinte Marc Goergen. „Wir mussten einiges abwiegen: Einerseits wollen Menschen abends mit ihren Kindern in ihre Wohnung, ohne einen versperrten Eingang vorzufinden; andererseits gibt es immer noch viele soziale Fälle im Land, die einfach keine Alternative haben“, so der Abgeordnete.

Es sei deshalb wichtig, dass auch die sozialen Angebote weiter ausgebaut werden. Und es ginge nicht, dass die Vertreter der Mehrheitsparteien mehr Streetworker fordern, die Regierung den Gemeinden genau diese Streetworker aber vorenthielte. „Wir unterstützen die Maßnahme, fordern gleichzeitig aber auch mehr soziale Lösungen, um den betroffenen Menschen wirklich zu helfen.“

Filet de Boeuf
18. Juli 2022 - 11.12

Man sollte eigentlich mittlerweile wissen, dass viele Junkies und Obdachlose keine Lust auf ein normales Leben haben. Befragt sie mal, da sind bestimmt 75 % der Meinung, dass ihnen ein Ottonormalbürger-Leben nicht passt. Demnach nützen auch Streetworker nichts, ausser natürlich dass wir wieder ein paar neue Posten ausschreiben können. Wenn ich 20 Jahre auf der Strasse gelebt habe, glaubt ihr wirklich, ich würde jetzt noch eine Mindestlohn-Arbeit annehmen, um mir schlussendlich in der Rente trotzdem nichts leisten zu können?

JJ
18. Juli 2022 - 11.08

Es ist doch wohl ein ähnliches Problem wie mit der Bettlerszene,ausser,die Obdachlosen betteln nicht unbedingt.Aber sie sind uns vielleicht genau so unangenehm wie die Bettler.Wer mag beim Stadtbesuch schon über die "Clochards" stolpern,erinnern sie uns doch peinlichst an die Mängel unserer Konsumgesellschaft. Wer schaut sich im teuren Restaurant gerne Fotos von hungernden Kindern aus Afrika an. Was erwarten wir denn in einem Land in dem Doppelverdiener Probleme haben sich ein Dach über dem Kopf zu leisten? Für Flüchtlinge aus aller Welt bauen wir in Rekordzeit Unterkünfte.Aber unsere eigenen Leute,die aus dem Raster gefallen sind,gibt's Platzverweis. Also,Augen zu,dann sieht man nichts.