Der tödliche Schuss auf eine nordirische Journalistin schockiert nicht nur die Briten und Iren. Auch die EU ist besorgt. Die Polizei ermittelt unter Hochdruck und meldet erste Festnahmen.
Nach dem Mord an der Journalistin Lyra McKee sind in Nordirland zwei junge Männer festgenommen worden. Die 29-Jährige war am Donnerstagabend bei gewaltsamen Ausschreitungen in der Stadt Londonderry erschossen worden. Sie stand in einer Menschengruppe in der Nähe von Polizeifahrzeugen, als eine Kugel ihren Kopf traf.
Die Männer sind 18 und 19 Jahre alt, wie die Polizei am Samstag mitteilte. Sie werden in Belfast, der Hauptstadt des britischen Landesteils, verhört. Die Polizei hatte am Freitagabend ein Video mit einem vermummten Verdächtigen zur Veröffentlichung freigegeben.
Steckt die «Neue IRA» dahinter?
Die Ermittler gehen von einem Terrorakt aus. Sie vermuten, dass hinter der Tat eine militante Republikaner-Gruppe namens Neue IRA stecken könnte. Sie hatte sich im März auch zu Paketbomben bekannt, die in London und Glasgow aufgetaucht waren.
Die politische Journalistin galt als Talent und war erst kürzlich von Belfast nach Londonderry gezogen. «Ein erstaunliches Potenzial wurde durch eine einzige barbarische Tat ausgelöscht», sagte ihre Lebenspartnerin am Freitagabend in einer öffentlichen Rede.
In Tatortnähe am Rande von Londonderry waren vor dem Mord mehr als 50 Brandsätze auf Polizisten geschleudert worden. Fahrzeuge brannten. Zuvor hatten Polizisten in dem Wohnviertel nach Waffen gesucht.
Auslöser für die Krawalle soll der jährliche Protest an Ostern im Zusammenhang mit dem Nordirland-Konflikt gewesen sein. Die neuen Unruhen trugen sich zu einem Zeitpunkt zu, an dem irisch-katholische Nationalisten an den Aufstand gegen die Briten im Jahr 1916 erinnern.
Politiker verurteilen die Tat
Politiker aus Großbritannien, der Republik Irland und aus Brüssel verurteilten die Tat scharf. EU-Chefunterhändler Michel Barnier sprach von einem «tragischen Mord» und wertete die Tat als «Erinnerung daran, wie zerbrechlich der Frieden in Nordirland» sei. «Wir müssen alle daran arbeiten, die Errungenschaften des Karfreitagsabkommens zu erhalten», twitterte der Franzose.
In Nordirland hatte jahrzehntelang ein Bürgerkrieg gewütet, bei dem Tausende Menschen ums Leben kamen und Zehntausende verletzt wurden. In dem Konflikt standen katholische Nationalisten, die eine Vereinigung mit Irland anstreben, protestantischen Unionisten gegenüber, die weiter zu Großbritannien gehören wollen.
Auch mehr als 20 Jahre nach dem friedensstiftenden Karfreitagsabkommen sind paramilitärische Gruppierungen aktiv. Sie agieren wie ein Staat im Staat und finanzieren sich unter anderem durch Drogenhandel. Die bewaffnete Gruppen erhoffen sich von einem Wiederaufflammen des Konflikts eine neue Legitimation und Geld.
Flammt die Gewalt wieder auf?
Befürchtet wird, dass im Zuge des bevorstehenden Brexits die Gewalt zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland bei Einführung von Grenzkontrollen wieder aufflammen könnte.
Seit Jahresbeginn sind in Londonderry wiederholt Sprengsätze explodiert, ohne dass es dabei Verletzte gegeben hatte. Ein der Sprengsätze detonierte im Januar vor einem Gericht mitten in der Stadt.
Traurige Berühmtheit erlangte Londonderry durch den sogenannten Blutsonntag, an den auch Wandgemälde an Häusern erinnern. Britische Fallschirmjäger erschossen dort am 30. Januar 1972 – dem «Bloody Sunday» – 13 katholische Demonstranten. Ein weiterer erlag Monate später seinen Verletzungen. Als Folge verschärfte sich der Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten. Aus Rache verübte die irisch-republikanische Untergrundorganisation IRA mehrere Anschläge.
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