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BrüsselZüchtungs-Turbo aus dem Labor – EU will Regeln für Gentechnik in der Landwirtschaft lockern

Brüssel / Züchtungs-Turbo aus dem Labor – EU will Regeln für Gentechnik in der Landwirtschaft lockern
Kartoffeln auf einem Feld in Luxemburg: Das Thema Gen-Schere hat das Potenzial für einen neuen Glaubenskrieg Foto: Editpress/Fabrizio Pizzolante

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Europa hat ein neues Mega-Streit-Thema: Sollen Züchtungen von Pflanzen, die besser mit dem Klimawandel zurechtkommen, per Gen-Schere beschleunigt werden? Das wollen EU-Kommission, Union und Liberale. Oder ist das ein „Sprung über die Klippe“, wie die Grünen und die Öko-Lebensmittellobby warnen.

Im Grunde ist es auch für Laien leicht verständlich: Brauchten Züchter neuer Pflanzenvarianten früher Jahrzehnte, damit sie robustere, besser schmeckende und länger haltbare Feldfrüchte bekamen, deren neue Erbinformation im verbesserten Saatgut steckte, kann moderne Gentechnik nun direkt an die entscheidenden Stellen der Pflanzen-DNA heran, bestimmte Passagen wegschneiden und durch andere ersetzen. Mit der Gen-Schere braucht es dafür nur noch wenige Jahre.

Nun will die EU-Kommission die Hürden senken. „Sie führen zu denselben Ergebnissen wie konservative Züchtungen, nur mit sehr viel mehr Tempo und Treffsicherheit“, sagte Vize-Kommissionspräsident Frans Timmermans bei der Vorstellung eines Bio-Maßnahmenpaketes am Mittwoch in Brüssel. Dabei geht es auch um Bodenbehandlung und Abfallvermeidung.

Großes Streitpotenzial

Bereits zu Beginn des Jahres hatten sich führende deutsche Wissenschaftler eindeutig positioniert. „Klima-, Biodiversitäts- und Ernährungskrise erfordern eine Vielzahl von Lösungsansätzen“, unterstrichen seinerzeit die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Neue Züchtungstechniken der Genom-Editierung böten ein „besonders großes Potenzial“, um die Landwirtschaft umweltfreundlicher und widerstandsfähiger gegen den Klimawandel zu machen. Kurz vor der Vorstellung der Kommissionspläne in Brüssel stellte sich auch Deutschlands Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) hinter diesen Vorstoß. Die neuen Züchtungstechniken lieferten „den Schlüssel für die großen Herausforderungen der Menschheit“, mahnte die Ministerin.

Die Grünen, unterstützt von Verbänden der Biobranche, halten entschieden dagegen. Die Kommission werfe mit den Zulassungserleichterungen das Vorsorgeprinzip zum Schutz der Landwirte und Verbraucher „komplett über Bord“, kritisierte die österreichische Grünen-Europa-Abgeordnete und frühere TV-Köchin Sarah Wiener. Der Vorschlag vom Mittwoch sei „nicht nur ein Schritt in Richtung Öffnung des Marktes, sondern ein Sprung über den Klippenrand“. Sie präsentierte eine bei der Universität Sussex in Auftrag gegebene Studie, wonach sich die Natur nicht derart „manipulieren“ (Wiener) lasse, wie sich die Befürworter dies vorstellten. Es seien bei früheren Anbauten mit gentechnisch veränderten Pflanzen „Superunkräuter“ entstanden, zudem immune Schädlinge, sodass nicht weniger, sondern mehr Pestizideinsatz nötig geworden sei.

Worum geht es beim Vorschlag der Kommission? Die neuen gentechnischen Züchtungsverfahren sollen in zwei Kategorien eingruppiert werden. In der einen mit deutlich weniger Auflagen handelt es sich um neue Züchtungstechniken, die Teile der genetischen Information nur heraustrennen und solche, die sie dann durch Teile aus kompatiblen Organismen ersetzen. Dafür soll es künftig nur eine Überprüfung der Angaben, eine Kennzeichnung des Saatgutes und einen Eintrag in eine Datenbank geben. Bei Techniken, die in einer Pflanze Teile aus bislang nicht kompatiblen Organismen einbauen, bleibt es bei den hohen Auflagen, wie sie auch für die bisherige Gentechnik gelten.

Damit soll der wissenschaftlichen Erkenntnis Rechnung getragen werden, wonach die Ergebnisse bei der neuen Gentechnik der ersten Variante auch durch herkömmliche Kreuzungen erzielt werden können, nur eben mit deutlich mehr Fehlschlägen und längerer Dauer. Eine Übertragung der Gentechnik-Pflanzen auf andere Sorten von Feld zu Feld halten Biolandwirte dennoch für möglich. Befürworter glauben, dass dies durch die Art des Anbaus ausgeschlossen werden könne – etwa wenn nur nicht kreuzbare Pflanzensorten nebeneinander gesät würden.

Es geht rasch weiter, kann aber lange dauern

Grünen-Agrarexperte Martin Häusling befürchtet gleichwohl, dass Züchter, Landwirte und Lebensmittelhersteller künftig eine Kontamination mit gentechnisch veränderten Stoffen nicht mehr vermeiden könnten, da die Entwickler der gentechnischen Veränderungen ihre Nachweismethoden für sich behalten dürften. Dagegen hält der CDU-Agrarfachmann Norbert Lins die neuen Methoden mit der alten Gentechnik für wenig vergleichbar und plädiert daher für einen „pragmatischen Ansatz“ im Sinne einer modernen und nachhaltigen Landwirtschaft. „Neue Züchtungstechniken ermöglichen es, das Erbgut von Pflanzen zielgenau zu bearbeiten und damit deren mögliche Anfälligkeit für Krankheiten, Dürre oder sonstige Extremwetter mit vergleichsweise einfachen Methoden zu bekämpfen und damit Ernteausfälle und Missernten zu verringern“, fasst der Vorsitzende des Landwirtschaftsausschusses des EU-Parlamentes zusammen.

Diesen Verbesserungen bei Umweltschutz und Klimaanpassung solle sich Europa „nicht verschließen“, sagt Lins, dessen Gremium sich bereits an diesem Donnerstag erstmals mit den Kommissionsvorschlägen befassen wird. Allerdings müssen sich dann sowohl das Parlament als auch der Rat der Regierungsvertreter noch auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen. Angesichts des Potenzials des Themas als Grundlage für einen neuen Glaubenskrieg könnte das dauern.

Woran außerhalb Europas bereits mit der Gen-Schere gebastelt wird

Weltweit laufen außerhalb der EU mit ihren derzeit noch hohen Zulassungshürden bereits Labor- und teilweise auch schon Feldversuche, die sich um verschiedene Pflanzen drehen:
– Soja und Weizen sollen auf diese Weise mit weniger Wasser und bei höheren Temperaturen wachsen können.
– Bananen könnten haltbarer werden und die teils langen Transportwege besser überstehen.
– Pappeln bekämen andere Eigenschaften der Holzstruktur und wären dann einfacher zu verarbeiten.
– Kartoffeln müssten mit weniger Pestiziden behandelt werden, wenn sie resistenter gegen Krankheiten würden.

Romain
6. Juli 2023 - 18.24

Irgend wo muss ja die Nahrung für die Weltbevölkerung her kommen

JJ
6. Juli 2023 - 9.09

Es geht kein Weg an neuen Technologien vorbei.Bei den zu erwartenden klimatischen Veränderungen können wir nicht warten bis negative Resultate aus der Genforschung vorliegen. Krankheits- und Hitzeresistente Pflanzen werden Hungerkatastrophen vermeiden helfen.