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AnalyseWolodymyr Selenskyj und der NATO-Gipfel in Vilnius

Analyse / Wolodymyr Selenskyj und der NATO-Gipfel in Vilnius
Erster NATO-Ukraine-Rat: Wolodymyr Selenskyj steht zusammen mit (v.l) dem britischen Premier Rishi Sunak, US-Präsident Joe Biden, Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni, NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und dessen Stellvertreter Mircea Geoana Foto: Odd Andersen/AFP

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Die NATO bietet dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei ihrem Gipfel in Vilnius Bühne und Auftritt. Doch das Bündnis vermeidet ein Wort: Einladung. Das schafft Verdruss trotz aller Militärhilfe. Warum bekommt Selenskyj nicht das, was er haben will?

Neun Buchstaben. Einladung. Und eine große Erwartung. Wolodymyr Selenskyj spricht dieses eine Wort gleich zweimal aus: „Einladung“. So, wie er es sagt, klingt es wie ein Codewort, das der Ukraine tatsächlich die Tür in die NATO öffnen würde. Es bedeutet aber auch: Wer eingeladen werden möchte, braucht auch jemanden, der einlädt. Und da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. „Wir reden heute über die Einladung zur NATO, wir wollen mit allen auf Augenhöhe sein“, sagt Selenskyj im mittlerweile für ihn obligatorischen Olivgrün eines Präsidenten im Krieg. Käme es zu dieser Einladung, wäre sie der Schlüssel für die Ukraine, um endgültig unter den Schutzschirm der NATO zu kommen. Es ist 9.57 Uhr Ortszeit, als der ukrainische Präsident vor dem Gipfelgebäude, von Soldaten in schusssicheren Westen bewacht, aus dem Auto steigt.

Dieser Tag soll für ihn, für sein Land, ein Tag der Einladung werden, wenigstens ein Tag der offenen Tür mit späterer Eintrittskarte oder Tanzkarte. Doch die NATO bittet noch nicht zum Tanz. Selenskyj relativiert seinen Anspruch zwei Sätze später noch einmal. Er wolle mit den NATO-Staaten sprechen über eine „Einladung, wenn es die Sicherheitslage zulässt“. Das ist eine Einschränkung. Aber wenigstens will er an Tag zwei dieses NATO-Gipfels von den Staats- und Regierungschefs hören, welche Sicherheitsgarantien sie bereit sind, der Ukraine bis zu einem Beitritt zu geben. Das Bündnis bleibt vage und achtet dabei peinlich genau darauf, von Russland nicht als Kriegspartei betrachtet zu werden. Die G7 springen deshalb in die Bresche. G7 bedeuten Geld, Wirtschaftsstärke, ein politisches wie diplomatisches Netzwerk und natürlich auch Waffen. Die G7 kündigen ein mehrjähriges Sicherheitspaket an und stellen den Luft- und Seestreitkräften der Ukraine moderne Ausrüstung in Aussicht, mit denen sie in Zukunft ihr Land besser verteidigen können sollen. Allein Deutschland will bis 2027 insgesamt rund 17 Milliarden Euro Waffenhilfe für die Ukraine bereitstellen, davon sind rund fünf Milliarden Euro bereits ausgegeben.

Russland entscheidet nicht über Mitgliedschaft

Selenskyj macht den Alliierten noch einmal klar, welchen Kampf die Ukraine seit 17 Monaten austrägt. Er sei dankbar für die Unterstützung von Staaten, Regierungen und Gesellschaften aus der ganzen Welt. Er freue sich über Zusagen dieses Gipfels an sein Land, auch darüber, dass die Ukraine für eine spätere Aufnahme ins Bündnis nicht mehr das sonst für Beitrittskandidaten verpflichtende Vorbereitungsprogramm (Membership Action Plan) absolvieren muss. All dies sei ein „Erfolg für unsere Soldaten, unsere Bürger, unsere Kinder“.

Aber neben der fehlenden Einladung bleibt offen, wie konkret die Sicherheitsgarantien aussehen, die die NATO in Vilnius ankündigt. Selenskyj macht den NATO-Partnern denn auch klar, worum es geht: „Für uns geht es ums Überleben. Wir zahlen den maximalen Preis. Wir zahlen den Preis unseres Lebens.“ Er weiß jetzt immerhin, dass sein Land eines Tages NATO-Mitglied werden kann, „wenn die Voraussetzungen stimmen“ – in einem sicheren Land mit sicherem Territorium.

Dass die Ukraine auf eine formelle Einladung, wenigstens aber auf die Ankündigung einer Einladung für eine spätere NATO-Mitgliedschaft verzichten muss, weil damit im Falle möglicher Friedensverhandlung mehr Spielraum für Gespräche mit Russland bliebe, derlei taktische Überlegungen weist Stoltenberg zurück. Die Allianz werde es „niemals erlauben“, dass Moskau bei Aufnahmen ins Bündnis etwas zu sagen habe. Im Übrigen habe Russland noch jede Erweiterungsrunde der NATO abgelehnt. Auch der deutsche Kanzler Olaf Scholz betont, man werde die Frage der NATO-Mitgliedschaft der Ukraine „nicht zur Disposition“ für andere Staaten stellen. „Russland wird darüber nicht verfügen können, das ist doch sehr klar“, so Scholz.

Partner auf Augenhöhe

Gleich tagt in Vilnius erstmals der NATO-Ukraine-Rat. Das Bild aus dem Konferenzsaal in Vilnius zeigt Stoltenberg und Selenskyj im engen Kreis – mit US-Präsident Joe Biden, dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni kommt auch noch dazu. Eine NATO-Ukraine-Kommission hat es schon gegeben, aber nun eben ein Rat, hoch angesiedelt auf der Ebene der Staats- und Regierungschefs, der auch als Ministerrunde oder auf Ebene der militärischen Stabschefs tagen kann. Alles möglich, wenn es gewünscht wird. Viermal im Jahr soll dieser NATO-Ukraine-Rat zusammenkommen.

Gleich wird Selenskyj als Gleicher unter Gleichen, wie es Stoltenberg ausdrückt, in den Kreis der Staats- und Regierungschefs des Bündnisses eintreten. 31 plus 1. Dieses neu eingerichtete Gremium haben sich NATO und Ukraine als politisches Werkzeug ausgedacht, für direkte Beratungen und auch, um die Ukraine für einen späteren Beitritt vorzubereiten. Stoltenberg sagt, heute treffe man sich in Vilnius als Partner auf Augenhöhe, „aber ich freue mich auf den Tag, wenn wir uns als Verbündete treffen“. Wann das sein wird? Stoltenberg weiß es nicht, Selenskyj weiß es nicht, Biden weiß es nicht, Scholz weiß es nicht. Das haben sie gemeinsam – als Gleiche unter Gleichen.

rcz
13. Juli 2023 - 5.58

Auch wenn die Ukraine keine Einladung in die Nato erhalten hat, ist die Nato jetzt schon so stark in den Krieg verwickelt wie wenn die Ukraine ein Mitglied wäre. Man will den dritten Weltkrieg vermeiden heißt es scheinheilig. Doch in Wahrheit befeuern USA und Nato genau einen solchen Wahnsinn..