„Ich geh’ da auf jeden Fall drauf“, kündigt ein Mädchen aufgeregt an und zeigt auf ein Fahrgeschäft in der Nähe des Haupteingangs der Schobermesse. Schon ganz hibbelig fragt ein anderes, ob sie nicht zuerst auf ein andere Attraktion wollen. Die Mädchen sind zwei der rund 50 Menschen, die am Mittwoch am traditionellen Besuch von der „Stëmm vun der Strooss“ auf der Schobermesse teilnehmen. Am Eingangsportal der „Schueberfouer“ warten alle ungeduldig darauf warten, ihr Bändchen zu bekommen. Damit können sie an diesem Tag drei gratis Runden auf Fahrgeschäften ihrer Wahl drehen – und bekommen danach ein kostenloses Mittagessen serviert.
Sammy Elalami ist zum allerersten Mal auf der „Fouer“. Erst vor vier Monaten kam er nach Luxemburg. Die „Stëmm“ versorgt ihn momentan mit Kleidung und unterstützt ihn beim Erledigen von administrativen Aufgaben. „Ich bin gerne hier mit dem Team unterwegs. Das ist besser, als nichts zu unternehmen“, sagt der 58-Jährige.
Willkommene Abwechslung
Etwas unternehmen und den Kopf frei bekommen, das will auch eine andere Teilnehmerin: „Wenn wir uns schon keine Ferien leisten können, dann wollen wir wenigstens hier ein bisschen Spaß haben“, erklärt die 50-Jährige, die ihren Namen oder ein Foto von sich nicht in der Zeitung sehen will. Bereitwillig berichtet sie aber davon, dass sie seit etwa einem Jahr die Dienste der „Stëmm“ nutzt und im sozialen Restaurant der Vereinigung isst.
Drei solcher Lokale, in denen man sich eine Mahlzeit für 0,50 Cent abholen kann, gibt es in Luxemburg: in der Hauptstadt, in Esch und in Ettelbrück. „Die teureren Preise für Lebensmittel, aber auch fürs Wohnen erlauben es mir einfach nicht, jeden Tag warm zu essen. Die Lebenskosten sind gestiegen“, sagt die Frau. Ein Dach über dem Kopf hat sie – auch einer Arbeit ging sie lange Zeit nach. Bis sich eine Herzkrankheit bei ihr äußerte. Und dann, erzählt sie: „Ich war bei einer Firma angestellt, die offenbar keine kranke Menschen im Betrieb duldet …“
Sie fordert, dass sich in puncto Politik einiges ändern muss und sagt: „Es gibt in Luxemburg nicht nur reiche, sondern auch arme Menschen.“ Eine ältere Frau neben ihr erzählt noch schnell, dass sie zum Glacis gekommen ist, um nicht alleine zu Hause zu sein: „Ich habe ja sonst nur noch meine Katze.“ Und dann werden beide zu einer anderen Gruppe gerufen, weil alle gemeinsam ein Geburtstagsständchen für einen der anderen Teilnehmer singen wollen. In einem Kreis stellen sie sich rund um den Mann mit Basecap auf, schmettern „Happy Birthday“ und scheinen einen Moment der Unbeschwertheit miteinander zu teilen.
Besuch ermöglichen
„Dieses Volksfest soll für alle da sein und so sollen auch unsere Leute teilnehmen können. Weil das bei den hohen Preisen aber nicht möglich ist, organisieren wir diesen Ausflug“, erklärt Alexandra Oxacelay, Direktorin der „Stëmm vun der Strooss“. Und erzählt, dass manche dem Glacis noch nie einen Besuch abgestattet haben – weil das Geld fehle und sie so nur über das Gelände laufen könnten, ohne auf ein Fahrgeschäft zu gehen oder sich wie andere auch Backfisch und Co. schmecken zu lassen. An diesem Tag allerdings werden sie vom Besitzer des Restaurants zum Essen eingeladen, die Eintrittskarten für die Attraktionen übernimmt die „Stëmm“.
Alexandra Oxacelay erzählt weiter: „Viele Familien, in denen die Kinder in einem Heim sind, organisieren sich für diesen Tag so, dass alle gemeinsam kommen können.“ Aber auch Menschen, die kürzlich aus dem Gefängnis entlassen wurden oder Personen ohne gültige Aufenthaltspapiere nehmen die Dienste der „Stëmm“ in Anspruch. „Sie gehören zur Gesellschaft und wir wollen uns um sie kümmern. Ein Tag auf der Schobermesse mag nichts an ihrer Situation ändern, aber das ist besser als nichts zu tun“, sagt Oxacelay, die ihre Aufgabe mit viel Herz auszuüben scheint.
Sie weist noch darauf hin, dass die Ausflüge immer auch ein Weg sind, um miteinander in Kontakt zu kommen und Vertrauen aufzubauen. Um Menschen in einem nächsten Schritt dann bei der Suche nach Arbeit oder einer Wohnung zu unterstützen. Ein solches Dach über dem Kopf hat Elies Benamtar bisher noch nicht in Luxemburg. Der 35-Jährige kam vor anderthalb Monaten mit seiner Frau aus Paris mit dem Wohnwagen ins Großherzogtum. „Wir haben beide einen festen Arbeitsvertrag, aber da unsere Probezeit noch läuft, klappt es mit einer Mietwohnung nicht“, erzählt der aufgeschlossene Mann.
Ehrenamtliches Engagement
Bei der „Stëmm vun der Strooss“ bekommt er etwas zu essen, kann seine Kleidung waschen lassen und erhält Unterstützung beim Papierkram. „Alle sind wirklich nett und haben das Herz am rechten Fleck“, stellt er fest. Diese Beschreibung dürfte auch auf Joséane Silvapulle zutreffen, die seit den Anfängen der „Stëmm“ Ende der 90er Jahre als Freiwillige hilft. Die 69-jährige Rentnerin erzählt: „Immer montags bin ich dort, um mit den Menschen zu reden. Wenn ich früher auf der Straße welche gesehen habe, habe ich ihnen immer eine Münze gegeben. Aber mir tat es leid, dass man dabei nicht wirklich in Kontakt kam.“
Einer, der ebenfalls den Kontakt sucht, ist Ronny Scheid. Witzelnd erklärt er, 23 Jahre alt zu sein – mit zusätzlichen 20 Jahren an Erfahrung. Laut eigener Aussage hat sich der 43-Jährige im April 2022 bewusst für ein Leben auf der Straße entschieden, obwohl er zuvor verschiedene Berufe hatte. Bei der „Stëmm“ schaut er für die Mahlzeiten vorbei und „für die guten Gespräche“, wie er sagt. „Ich habe mir das alles selbst ausgewählt und bin deshalb bei allem dabei.“ Und das ist dann auch die Antwort auf die Frage, weshalb es ihn an diesem Tag auf den Glacis verschlagen hat. Auf den Attraktionen sieht man ihn dabei nicht, eher im Gespräch mit den anderen. Nur auf ein Fahrgeschäft wird es ihn vielleicht noch ziehen, wie er verrät: auf das Riesenrad.
Die „Stëmm vun der Strooss“
Die „Stëmm vun der Strooss“ setzt sich seit 1996 für benachteiligte Menschen ein und war 2022 laut Statistik des gemeinnützigen Vereins für 6.972 Personen da: für unter anderem Arbeitslose, Asylsuchende und Menschen ohne feste Unterkunft. An insgesamt neun Standorten werden sie dabei unterstützt, auf sozialer und beruflicher Ebene wieder Fuß zu fassen. So wurden im vergangenen Jahr 301 Menschen an sieben verschiedenen Orten in Werkstätten zur beruflichen Wiedereingliederung begleitet. Außerdem werden sie in den sozialen Restaurants in Luxemburg-Stadt, Esch und Ettelbrück für 0,50 Cent mit einer warmen Mahlzeit versorgt. Insgesamt 123.516 Essen wurden 2022 serviert. Darüber hinaus kann bei der „Stëmm“ kostenlos geduscht und die Kleidung gewaschen sowie neue abgeholt werden. Und: Es gibt dort die Möglichkeit auf kostenlose, medizinische Versorgung. Auch werden regelmäßig Ausflüge wie zum Beispiel Besuche in Freizeitparks oder eben auf der Schobermesse organisiert. Unterstützen kann man die „Stëmm vun der Strooss“ mit einer Spende oder einem Ehrenamt. Mehr Informationen dazu gibt es unter stemm.lu.
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