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Wohin mit den Flüchtlingen?

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Das seit Donnerstag laufende Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel ist quasi eine Fortsetzung in Vollbesetzung des Minigipfels vom vergangenen Wochenende. Die eigentlichen Gipfelthemen, wie die Frage nach dem Umgang mit einem US-Präsidenten, der die Welthandelsordnung einreißen will, oder Entscheidungen zur Reform und Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion, stehen im Schatten der Asyl- und Flüchtlingspolitik der EU.

Dieses Mal steht die deutsche Kanzlerin Angela Merkel nicht im Mittelpunkt als jene unter den 28, deren Wort abgewartet wird und die den Ausschlag geben soll, wie es in der EU weitergeht. Sie ist nun vielmehr Teil eines Problems geworden, das, so meinen die ärgsten Schwarzseher in Brüssel, das Potenzial habe, die EU auseinanderbrechen zu lassen. Zumindest moralisch. Denn es geht um grundlegende Werte und Prinzipien, die erhalten werden müssen. Sie haben mit Recht und Solidarität, aber auch mit Menschlichkeit zu tun.

Im Grunde aber hatten die Gipfelteilnehmer in der Migrationsfrage gestern mit zwei Problemen zu tun, die jedoch im Wesentlichen auf ein anderes, seit September 2015 ungelöstes Problem hinauslaufen. Da ist zum einen die neue italienische Regierung mit ihren Scharfmachern aus der Lega Nord. Der von diesen gestellte Innenminister Matteo Salvini verweigert seit einigen Wochen Schiffen von privaten Organisationen, die Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet haben, italienische Häfen anzulaufen. Die Italiener wollen nicht mehr, dass sie alleine für die Flüchtlinge, die an den EU-Außengrenzen ankommen, verantwortlich sind.

Die Frage der Verteilung

Das andere Problem ist jenes, das Angela Merkel mit ihrem Innenminister Horst Seehofer hat. Er will, falls Merkel keine für ihn befriedigende Lösung beim Gipfel findet, an den deutschen Grenzen mit Zurückweisungen von bereits registrierten Flüchtlingen beginnen. Da die Kanzlerin strikt gegen dieses Vorgehen ist, dürfte es zu einem Bruch der Regierung in Berlin kommen. Merkel befürchtet, das Vorhaben Seehofers führe dazu, dass andere EU-Staaten seinem Beispiel folgen und so ein Domino-Effekt entsteht. Demnach bekämen Italien und Griechenland die ganze Last zu tragen, was diese wiederum dazu verleiten könnte, die Flüchtlinge unregistriert weiterziehen zu lassen. Merkel plädiert daher für eine «europäische Lösung».

Die Kanzlerin hatte jedoch bereits im Vorfeld des Treffens Erwartungen gedämpft, dass beim Gipfel eine Lösung für ihr Problem gefunden werden könnte. Zumindest aber wurde auch außerhalb der Runde der 28 in verschiedenen Gesprächsformationen nach Lösungen für das eigentliche Problem gesucht. Denn nach wie vor kommen die EU-Staaten bei der Reform der sogenannten Dublin-Regelung nicht weiter. Sie ist Bestandteil eines siebenteiligen Gesetzespaketes, das die EU-Kommission Anfang 2016 vorgelegt hat.

Der Reformvorschlag für die Dublin-Regelung sieht im Wesentlichen vor, dass die Möglichkeit der Verteilung von Asylsuchenden in die EU-Staaten geschaffen wird, um etwa bei einem großen Zustrom von Flüchtlingen die sogenannten Frontstaaten zu entlasten. Dies aber lehnen die Visegrad-Staaten seit September 2015 ab, als unter luxemburgischem EU-Ratsvorsitz ein Verteilmechanismus beschlossen wurde, um 160.000 Asylsuchende aus Italien und Griechenland auf andere EU-Staaten zu verteilen. Solange die Frage der Verteilung nicht gelöst ist, wird das gesamte Asylpaket nicht verabschiedet und so lange werden die Europäer auch die Flüchtlingsfrage nicht in den Griff bekommen.

«Die Umverteilung soll noch immer die Regel sein, die angewandt wird», meinte gestern der luxemburgische Premierminister Xavier Bettel, der wenig davon hält, dass EU-Staaten sich von der Aufnahme von Schutzsuchenden «freikaufen» könnten, indem sie für nicht aufgenommene Flüchtlinge zahlen. Dieses Problem dürfte aber nicht beim EU-Gipfel gelöst werden, auch wenn Frankreichs Präsident Emmanuel Macron gestern ein Vermittlungsgespräch mit Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei führte. Der kommende österreichische EU-Ratsvorsitz soll nun eine Lösung der «Verantwortung und Solidarität» ausloten.

Doch auch für die beiden anderen Probleme gibt es keine raschen Antworten. Wie in der Vergangenheit wird weiter viel davon geredet, die Außengrenzen besser zu schützen und die dafür zuständige EU-Grenzschutzagentur Frontex aufzurüsten. Gesprochen wird aber auch darüber, in nordafrikanischen Ländern sogenannte «Anlandeplattformen» zu etablieren, wo Flüchtlinge vom Kontinent aufgenommen werden sollen. Dies könnte in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) geschehen, erklärte die Hohe Beauftragte Federica Mogherini gestern. Entsprechende Vorschläge lägen auf dem Tisch. Es sei nun am Gipfel, darüber zu entscheiden, wie es weitergehen soll.

Mehr Geld für Afrika

In diesen Aufnahmezentren sollten unter der Aufsicht der UNHCR und IOM die sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge von den wirklich Schutzsuchenden getrennt werden. Nur Letztere sollten die Möglichkeit erhalten, in der EU aufgenommen zu werden. Womit aber wieder die Frage der Verteilung im Raum steht.

Federica Mogherini mahnte allerdings die EU-Staaten, mehr Geld in den Trust Fond für Afrika zu zahlen. Die Projekte, die mit den Herkunfts- und Transitländern der Flüchtlinge initiiert worden seien, müssten weitergeführt werden. «Denn diese bringen Resultate», so die EU-Chefdiplomatin, die darauf verwies, dass die Zahl der Flüchtlinge sich bereits «enorm» nach unten bewegt habe.

Angela Merkel ihrerseits bemühte sich um bilaterale Abkommen mit Nachbarstaaten, um bereits registrierte Asylsuchende wieder zurückführen zu können. In diesem Zusammenhang sprachen sich unter anderem der österreichische Kanzler Sebastian Kurz und Emmanuel Macron für eine «europäische Lösung» aus. «Wollen wir nationale Lösungen oder glauben wir an europäische Lösungen und die Zusammenarbeit?», fragte der französische Präsident. Er verteidige eine europäische Kooperation im Rahmen von Schengen. «Ich hoffe, dass wir Konstruktives finden», meinte in diesem Zusammenhang Xavier Bettel. Doch er ärgerte sich auch über die Haltung von Merkels Schwesterpartei, der CSU, in dieser Frage. «Es kann auch nicht sein, dass irgendeine bayerische Partei entscheidet, wie Europa funktioniert», so Xavier Bettel.

Wie wichtig allerdings die Verteilungsfrage in der EU-Migrationspolitik ist, zeigt der Umstand, dass sich der italienische Ministerpräsident Guiseppe Conte gestern einstweilen weigerte, der Schlusserklärung des EU-Gipfels zuzustimmen, wenn nicht darin festgehalten werde, dass Flüchtlinge, die Italien erreichen, damit auch in der EU ankommen und somit in jedem Mitgliedstaat aufgenommen werden müssten.

Realist
29. Juni 2018 - 7.49

Machen wir uns nichts vor: Dieser Gipfel soll dazu dienen, Angela Merkel ihren Kanzlerposten zu erhalten, und weiter nichts.