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Alain spannt den Bogen„Wir bleiben weiterhin neugierig“

Alain spannt den Bogen / „Wir bleiben weiterhin neugierig“
Das Klenke-Quartett, von links nach rechts: Annegret Klenke (1. Violine), Ruth Kaltenhäuser (Violoncello), Beate Hartmann (2. Violine) und Yvonne Uhlemann (Viola)   Foto: Uwe Arens

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Was das Klenke-Quartett am vorletzten Sonntag in Mettlach geboten hat, war einfach große Interpretationskunst und ein absolutes musikalisches Highlight. Ein Interview.

Unser letztes Gespräch haben wir lange vor der Corona-Zeit geführt, als Sie mitten in Ihrem Mozart-Projekt steckten. Wie ist es dann weitergegangen, wie hat sich Corona auf das Klenke-Quartett ausgewirkt?

Annegret Klenke: Das war keine einfache Zeit. Besonders, weil man nicht wusste, was kommen würde. Wann würde wieder gespielt? Unter welchen Restriktionen? Welche Auswirkungen hätte das auf die Engagements? Alles war von einem Tag auf den anderen neuen Gegebenheiten unterworfen und niemand wusste wirklich Bescheid. Ich glaube, diese Unsicherheit, die ja die Existenz vieler Musikschaffenden bedrohte, war das Schlimmste. Das andere war der Verlust der Qualität. Um gute Interpretationen zu bieten, muss man regelmäßig zusammen proben. Und das war ja nicht mehr möglich. Wir haben einmal sieben Monate kein Konzert gehabt.

Ruth Kaltenhäuser: Ja, das war der zweite Lockdown. Im Oktober haben wir das letzte Konzert in der Taufkirche von Johann Sebastian Bach in Weimar gespielt, einen Tag vor dem Lockdown. Dann erst wieder im Juni des darauffolgenden Jahres. Wir haben uns zwar einige Tricks einfallen lassen. So haben wir einmal während eines Gottesdienstes die Musikalische Vesper in der Kirche gespielt sowie die Uraufführung eines Streichquartetts von Georg Alexander Albrecht mit dem Titel Es ist genug. Eigentlich waren das keine richtigen Konzerte, aber wir konnten wieder zusammen musizieren.

Beate Hartmann: Wir wohnen ja auch nicht am gleichen Ort, sondern dreihundert Kilometer voneinander entfernt. Bei Proben oder Treffen mussten wir dann auch die ganzen Corona-Regeln berücksichtigen.

Yvonne Uhlemann: Das war während des zweiten Lockdowns. Wir mussten einfach arbeiten und proben, um das Niveau aufrechtzuerhalten. Stellen Sie sich vor, sieben Monate ohne gemeinsames Musizieren. Für ein Streichquartett kann das tödlich sein. Und es forderte eine Menge Selbstbeherrschung und auch manchmal sogar Überwindung, sich immer wieder alleine hinzustellen und zu üben, ohne die andern und ohne zu wissen, wann das nächste Konzert sein wird.

Ihre letzten CDs mit den Streichquintetten, dem Klarinettenquintett und dem Hornquintett sind ja bei der Presse sehr gut angekommen. Sind die während der Corona-Zeit entstanden?

A.K.: Nein, die CD mit den Bläserquintetten konnten wir noch vor Corona abschließen. Aber es wurde schon von dem Lockdown gesprochen. Das finale Abhören, das Schneiden und das Mastering fanden dann aber während Corona statt.

B.H.: Ja, das war eine wirklich aufregende Sache, insbesondere das Klarinetten- und Hornquintett. Stephan Katte hat auf dem Naturhorn gespielt, dem Kerner-Horn aus Wien, und ich durfte Bratsche spielen, weil das Stück nur eine Violine, dafür aber zwei Bratschen verlangt. Das Werk bekommt dadurch eine ganz andere Farbe. Und uns war das ein ganz wichtiger Lernprozess, eben um zusammen mit Stephan Katte den richtigen Ton zu finden.

R.K.: Wir mussten demnach auch unsere Interpretation umstellen und anpassen. Durch die vielen Mozart-Aufnahmen hatten wir uns ja in den Jahren ein spezifisches Mozart-Bild erarbeitet, das jetzt revidiert und an das historische Horn angepasst werden musste. Aber jetzt ist unser Mozart-Projekt abgeschlossen und jetzt kann etwas Neues kommen.

Haben Sie denn schon eine Idee im Kopf?

Y.U.: Ja, eigentlich ist die neue CD schon im Kasten (lacht), es muss nur noch geschnitten werden. Wir haben uns diesmal für die Fünf Stücke von Erwin Schulhoff entschieden, die wir morgen im Konzert spielen. Genauso wie das Streichquartett von Maurice Ravel. Dazwischen haben wir das Streichquartett des türkischen Komponisten Ulvin Cemal Erkin gesetzt, was ein tolles Werk ist. Leider ist Erkin außerhalb der Türkei nicht sonderlich bekannt.

B.H.: Dieses neue CD-Projekt ist umso interessanter, als es sich um drei Komponisten handelt, die sich auf ihre musikalischen Wurzeln berufen, auf die musikalische Tradition ihres Landes. Ravel hat besonders im 4. Satz baskische Klänge miteinfließen lassen; seine Mutter war ja Baskin, Schulhoff bedient sich aus der böhmischen, tschechischen, aber auch österreichischen Tanzmusik und Erkin, der die türkisch-orientalische Musik mit der westlichen verknüpft, bezieht sich auf seine eigene türkische Identität.

Ihr Einsatz für die Musik von Mozart wurde 2022 mit dem Sächsischen Mozart-Preis Chemnitz belohnt.

R.K.: Ja, dieser Mozart-Preis wurde uns nicht nur für die vielen Aufnahmen verliehen, sondern für unseren ganzen Einsatz rund um die Musik von Wolfgang Amadeus Mozart.

Y.U.: Eine Auszeichnung, die uns auch sehr am Herzen liegt, denn sie belohnt diese intensive Arbeit, mit der wir über Jahre an diesem Projekt gefeilt haben.

In Ihrem Konzert von morgen spielen Sie die Fünf Stücke von Erwin Schulhoff, einem Komponisten, der ja im 2. Weltkrieg von den Nazis deportiert wurde und im KZ an Tuberkulose verstarb.

A.K.: Ja, Schulhoff war ein absolut phänomenaler Komponist, der, hätte er weitergelebt, die Musik des 20. Jahrhunderts sicherlich maßgeblich geprägt hätte. Er ist relativ jung, mit Mitte 40, gestorben, hatte aber schon eine Menge hochkarätiger Musik komponiert, die in unseren Augen leider nicht oft genug aufgeführt wird.

Und Erkin?

B.H.: Also Erkin ist kein zeitgenössischer Komponist, er lebte von 1906 bis 1972 und war anfangs ein typisch türkischer Komponist. Er wurde aber dann schon sehr früh, mit 19 Jahren, von seinem Land nach Paris entsandt, um dort die westliche Musik u.a. bei Nadia Boulanger zu studieren. 1930 kehrte er in die Türkei zurück. So finden sich in vielen seiner Werke Einflüsse aus beiden Kulturkreisen. Das passierte in einer Zeit, wo sich die Türkei Westeuropa angenähert hat. Aber Erkin hat eigentlich nicht so viel komponiert. Nach seiner Rückkehr aus Paris arbeitete er dann als Musikprofessor und ist dann, so glaube ich, später Direktor eines Konservatoriums geworden.

R.K.: Wir nutzten ja auch diese Coronazeit, um zu Hause zu recherchieren und interessante Werke auszugraben, die nicht so bekannt waren. So stießen wir auf Schulhoff und Erkin.

A.K.: Diese beiden Werke zu spielen, ist eine ungeheure Bereicherung und somit auch eine Erweiterung des Repertoires. Es ist immer wieder erfrischend, sich von alten Meisterwerken zu lösen und mal zu kucken, was es sonst noch so gibt. Erkin, Ravel und Schulhoff, sie alle waren um die gleiche Zeit in Paris und hätten sich eigentlich begegnen können.

Das Klenke-Quartett hat kürzlich sein 30-jähriges Jubiläum gefeiert und in diesem Jahr feiert Ihre Konzertserie Auftakt bereits ihr 20-jähriges Bestehen.

A.K.: Ja, Auftakt ist eine Konzertserie, die wir selber bestimmen und wo wir unsere eigenen Ideen einfließen lassen. Wir laden dann die Musiker zu uns ein, mit denen wir wirklich zusammenarbeiten wollen.

R.K.: Die Konzertserie hat ja auch den Untertitel Klenke-Quartett plus. Wir spielen in Weimar in verschiedenen Sälen, die wir je nach Werk, Projekt oder Akustik auswählen. Im Belvedere, im Musikgymnasium, in Schloss Ettersburg, in der Jakobskirche, …  Jede Location hat ihren eigenen Charme und wir versuchen dann Ort und Musik ideal miteinander zu verbinden.

B.H.: Wir haben beispielsweise mit dem Vogler-Quartett, dem Auryn-Quartett, dem Ensemble Amarcod oder den Pianisten Martin Stadtfeld und Matthias Kirschnereit Konzerte gespielt. In dieser Reihe gibt es auch Einführungs- bzw. Gesprächskonzerte mit dem Musikwissenschaftler Peter Gülke und Kinderkonzerte, die uns sehr am Herzen liegen. Hier steht uns dann oft auch ein Musikpädagoge zur Seite. Toll war auch die musikalische Lesung mit dem Schauspieler Axel Milberg. Sie sehen, wir bleiben weiterhin neugierig und suchen immer wieder neue Herausforderungen.