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Wie Wälzer von früher bis heute zusammenhalten

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Von Christiane Wagner

Die an die 100 Mitglieder zählende «Amicale des anciens du Laminoir Train 7 Arbed Esch-Belval» hatte sich bei ihrer Gründung zum Ziel gesetzt, Freundschaften unter früheren Mitarbeitern der Walzstraße 7 zu pflegen. Daneben ist heute eines ihrer großen Anliegen, die Erinnerung an ein Stück Industriegeschichte aufrechtzuerhalten. Die schwere und gefährliche Arbeit soll auch bei künftigen Generationen nicht in Vergessenheit geraten.

«Die Walzstraße bestimmte unser Leben. Schichtarbeit sowie gefährliche und schwere Arbeit waren unser tägliches Los. Trotz der Hektik und aller daraus resultierenden zwischenmenschlichen Spannungen waren wir eine eingeschworene Mannschaft und meist auch privat befreundet. Niemand hätte die Walzstraße VII freiwillig verlassen. Die Arbeit war mehr als ein Job, sie war unser Leben», erzählt uns Nicolas Goetzinger, Präsident der «Amicale»

Wie eng die Verbundenheit war, zeigte sich, als sich in den 1970er Jahren 30 Walzwerkarbeiter für die staatlichen Notstandsarbeiten zur Bekämpfung der Stahlkrise melden sollten. Niemand war bereit zu gehen. Unter der Bedingung, später wieder ins Walzwerk zurückkehren zu können, fand sich dann erst nach vielem Hin und Her das gewünschte Kontingent. Doch trotz aller Krisenmaßnahmen war es 1976 so weit. Die Walzstraße 7 musste definitiv geschlossen werden. «Noch am Tag der Produktionseinstellung wurde eine Rekordtonnage gewalzt», erinnert sich Nicolas Goetzinger, der fast sein ganzes Berufsleben auf der Walzstraße verbrachte.

Die Arbeiter mussten sich schweren Herzens fügen. In alle Winde verstreut beschlossen 1980, also knapp vier Jahre nach der Schließung, ein paar ehemalige «Strooss 7»-Kameraden, eine «Amicale des anciens du Laminoir Train VII Arbed Esch-Belval» zu gründen. Bei der ersten Versammlung 1981 waren bereits 35 Kollegen anwesend. Bei der Gründungsversammlung 1982 traten sofort 120 ehemalige Arbeiter, Meister und Ingenieure der Vereinigung bei. Ziel war es, Freundschaften, die sich in langen Jahren gemeinsamen Arbeitens geknüpft hatten, aufrechtzuhalten, so der damalige und jetzige Präsident Nicolas Goetzinger. In der Tat hätten sich durch Schwere und Gefährlichkeit der Arbeit eine besondere Solidarität und ein außergewöhnlicher Zusammenhalt gebildet.

Große Kameradschaft

Gebaut wurde die Walzstraße VII 1924 und 1925 wurde sie in Betrieb genommen. Gewalzt wurde hier hauptsächlich Betonstahl in verschiedenen kleineren Durchmessern auf Bestellung von Kunden in aller Welt. Amerika war damals ein großer Abnehmer. «Die meisten von uns kamen sehr jung, oft knapp 16 Jahre alt, zum Walzwerk. Sie waren beeindruckt von der Größe der Anlage, dem tosenden Lärm und der Schnelligkeit der Arbeitsabläufe. Allerdings blieb ihnen Schichtarbeit nicht erspart und sie bekamen nur 80 Prozent des vollen Lohnes», erinnert sich der Präsident. Viele hätten den Betrieb von der Pike auf kennengelernt. Ihre Karriere habe oft vom Laufburschen über den Verlade- oder den Scherenmeister bis zum Vorarbeiter und Obermeister geführt. Über 300 Arbeiter verdienten hier bis zur Schließung ihren Lebensunterhalt.

Die «Amicale» habe sich sofort nach ihrem Entstehen durch eine Reihe außergewöhnlicher Aktivitäten ausgezeichnet. Das Escher Gesellschaftsleben habe sie durch zahlreiche von ihr organisierte Feste wie das «Weinfest» oder das «Fleischfest» bereichert. Auch habe sie an allen von Gemeinde und SI vorgeschlagenen Veranstaltungen teilgenommen, betont Nicolas Goetzinger. «Unsere Mitgliederzahl wuchs ständig. Heute sind bereits viele unserer Mitglieder gestorben oder altersbedingt nicht mehr dabei. Deshalb haben wir unsere Zielsetzung etwas abgeändert und den Verein unter anderem für die Witwen, Kinder und Freunde der Verstorbenen, aber auch für alle am Erhalten dieses Industrieerbes Interessierten geöffnet. Neben dem Pflegen der Freundschaften setzen wir uns jetzt verstärkt dafür ein, dass die Walzstraße bei den aktuellen und nächsten Generationen als Zeuge der Escher Industriegeschichte in Erinnerung bleibt.»

Aktiv in der Kunstszene

Zu diesem Zweck hat die «Amicale» der Stadt Esch zwei ausdrucksvolle Bronzeskulpturen geschenkt, die an öffentlichen Plätzen aufgestellt wurden. So verschönert ein von «Amicale»-Präsident Nicolas Goetzinger geschaffenes Kunstobjekt den Brunnen im «Lavalspark». Es symbolisiert den gesamten Verarbeitungsablauf und die im Walzwerk gebrauchten Materialien. Der «Ëmwalzer» ist die zweite der «Minettemetropole» gestiftete Skulptur. Sie steht gegenüber der «Dellhéicht»-Schule. Die Figur stellt einen «Emwälzer», also einen Walzarbeiter dar, der mit seiner Zange die Walzknüppel wendet und zur Weiterverarbeitung in eine Walze gibt.

Was aber hat der Verein der ehemaligen Walzwerkarbeiter mit einem renommierten Kunstereignis wie dem Escher «Salon d’art contemporain» zu tun? 2009 hatte eine von der «Amicale» organisierte Ausstellung über das Walzwerk viel Lob eingeheimst. Bereits damals war Künstler und Foni-Tissen-Schüler Nicolas Goetzinger in der Kunstszene kein Unbekannter mehr. Auch verfügte er über zahlreiche in- und ausländische Kontakte. So entwickelte der Vorstand der «Amicale» die Idee, einen «Salon d’art contemporain» auf die Beine zu stellen.

Esch, die zweitgrößte Stadt des Landes, verfügte damals noch nicht über eine solche Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Erfolgreiche Ausstellungen im BIL-Gebäude ermutigten die Initiatoren, die sich allerdings bald nach neuen Ausstellungsräumlichkeiten umschauen mussten. Die «Amicale» wurde fündig und zeigt nun seither alljährlich eine breit gefächerte Auswahl an Kunstwerken aller Sparten in der Escher Theatergalerie. Anfang dieses Jahres fand die achte Auflage des «Salon», den die «Amicale» organisiert hat, statt. Die Ausstellung hat sich zu einem unumgänglichen Kunstevent gemausert.