CoronaWie sich das Virus und digitale Überwachung ergänzen

Corona / Wie sich das Virus und digitale Überwachung ergänzen
Menschen in Wuhan halten Abstand, während sie für Schweinefleisch anstehen. Theoretisch können die Behörden den Standort von jedem Bürger feststellen, der ein Smartphone bei sich trägt. Foto: Chinatopix/dpa

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Als sich das Coronavirus zum ersten Mal in Asien bemerkbar machte, tauchten in China und Südkorea Apps auf, die Bürgern zeigten, wo in der Nachbarschaft Menschen wohnen, die daran erkrankt sind. Was hat es mit diesen Apps auf sich?

Bevor das Coronavirus in Europa ausgebrochen ist, erreichten uns Bilder aus Asien. Sie zeigten die abgeriegelte Stadt Wuhan. Die leeren Straßen der Millionenmetropole Peking. Sie zeigten Sicherheitskräfte, die Bürger daran hindern, aus der Stadt zu flüchten. Die Bilder erinnerten mehr an einen Zombiefilm als an etwas, das in der realen Welt passieren könnte. Während die Weltgesundheitsorganisationen China für die resoluten Maßnahmen lobte, monierten Kritiker, solche Maßnahmen seien dort nur möglich, weil China ein autoritärer Staat sei.

Die Kontrollen in Chinas Straßen wurden immer engmaschiger. Korrespondenten ausländischer Medien, die im Reich der Mitte leben, konnten sich nicht mehr frei bewegen und begannen, über ihren Alltag zu berichten. Wie sie einkaufen wollen und ein paar Straßen weiter bereits vor der ersten Absperrung stehen. Wie die Passierscheine jeden Tag die Farbe wechseln und kein Bürger so recht weiß, welche Farbe was bedeutet.

Über 200 Millionen Kameras

Immer wieder tauchen in diesen Berichten auch Apps auf, die zeigen, wo kranke Menschen wohnen. Die Menschen in den Berichten kontrollieren ihr Smartphone und schauen nach, ob sich nicht doch jemand in ihrem Wohnkomplex infiziert hat. Scheinbar in Echtzeit erscheinen rote Punkte auf einer Karte. Kein Punkt in der Nachbarschaft bedeutet Erleichterung. Ein roter Punkt dagegen mahnt zu extremer Vorsicht. So zum Beispiel in der Arte-Doku „Coronavirus: Tagebuch in Quarantäne“.

Bekannt ist, dass China seine Bürger überwacht. China-Korrespondent Fabian Kretschmer schreibt in der TAZ: „Für jede Transaktion ist ein von der Regierung ausgegebener Personalausweis nötig. Zudem verfügt das Land über 200 Millionen Sicherheitskameras, von denen viele mit Gesichtserfassungssoftware ausgestattet sind. Ohne nennenswerte Datenschutzgesetze können sämtliche Informationen zentral verknüpft werden.“ Die drei großen Telekommunikationsunternehmen teilten ihre Daten mit den Behörden, so das jeder Bürger, der ein Smartphone in der Tasche hat, jederzeit geortet werden kann. Vor kurzem hat China für seine Bürger sogar ein Punktesystem erstellt, das bewertet, wie vorbildlich (im Sinne der Regierung) sich ein Bürger verhält. Der daraus resultierende Punktestand kann zum Beispiel darüber entscheiden, ob ein Bürger verreisen darf oder nicht.

Kretschmer zufolge waren alleine in Wuhan rund 1.800 Teams damit beschäftigt, mögliche infizierte Personen aufzuspüren. Er berichtet über einen Fall aus der Stadt Wenzhou. Dort sei ein Imbissbesitzer erkrankt. Durch die Daten der Mobilfunkanbieter haben die Behörden ermittelt, dass sich in letzter Zeit 36.000 Menschen in der Nähe des Imbiss aufgehalten haben. Diese seien einzeln angerufen worden, um Details abzuklären. 40 Menschen seien unter Quarantäne gestellt worden.

Erinnerung an SARS

Das Magazin Wired fasst die Situation so zusammen: „China und Südkorea nutzten Smartphone-Apps, um Menschen mit dieser Krankheit zu überwachen. Doch die Amerikaner haben unterschiedliche Ansichten über den Datenschutz und die Datenerfassung.“ In Europa stehen die Menschen der Überwachung traditionell auch kritisch gegenüber. 2011 bereits hatte die Cambridge University eine solche App namens FluPhone entwickelt, die den Standort von Nutzern verfolgt und sie warnt, wenn sie sich kürzlich mit jemandem aufgehalten haben bei dem eine Grippe festgestellt worden ist. Wie Wired berichtet, sorgte die App für Schlagzeilen. Bei den Briten kam das Programm nicht gut an. Nur sehr wenige nutzten es.

Vor kurzem ließ die New York Times in einem Artikel viele Gesundheitsbeamte aus Singapur, Taiwan und Hongkong zu Wort kommen. Einige von ihnen führen die Bereitschaft der Bürger dort, die eigene Privatsphäre den Interessen der Gesellschaft zu unterwerfen, auf ihre Erfahrungen mit dem SARS-Virus zurück. Während man in den USA aufgehört habe, sich mit SARS zu beschäftigen, sind in Südostasien weitreichende Programme entwickelt worden, um sich auf solche Epidemien vorzubereiten.

Umdenken im Westen

Dennoch scheint in Anbetracht der Corona-Pandemie und dem Beitrag dieser Apps zur Bekämpfung der Krankheit in China und in Korea ein Umdenken im Westen stattzufinden. Das Open Source Projekt CoEpi aus den USA will zum Beispiel ebenfallseine solche App entwickeln, wie Wired berichtet. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete vergangene Woche, die Mehrheit der Deutschen sei bereit, für die Bekämpfung der Corona-Krise eine Aufweichung des Datenschutzes und eine Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung hinzunehmen.

Die Zeitung zitiert aus einer repräsentativen Umfrage, die das Marktforschungsunternehmen Innofact im Auftrag des Datenschutz-Start-ups Usercentrics durchgeführt hat. Weniger als ein Drittel der Befragten stimmte der Aussage „Ich unterstütze die Ausweitung der Vorratsdatenspeicherung z.B. bei Flug- und Reisedaten, um im Verdachtsfall benachrichtigt zu werden und die Verbreitung des Virus einzudämmen“ nicht zu.

Skynet der digitalen Epidemie-Prävention

Unterdessen hat China jetzt noch einen draufgelegt. Bürger sollen in einer neuen App einen Fragebogen über ihren Gesundheitszustand ausfüllen. Darauf basierend wird ihnen eine Farbe zugeordnet, die ihrem Gesundheitszustand entspricht: Grün bedeutet gesund. Rot bedeutet, dass sich die Person unverzüglich für zwei Wochen in Quarantäne zu begeben hat. Das System wird von offizieller Seite als „Alipay Health Code“ bezeichnet und wurde von einer Tochter des Online-Kaufhauses Alibaba entwickelt. Die der Regierung untergeordnete chinesische Presseagentur Xinhua spricht im Kontext der Bekämpfung der Epidemie von einem digitalen Krieg. Xinhua bezeichnete die Software völlig unironisch als das „Skynet“ (天网) der digitalen Epidemie-Prävention.

In „Überwachen und Strafen“ schreibt Michel Foucault über die Pest: „Jedoch gab es auch einen entgegengesetzten, einen politischen Traum von der Pest: nicht das kollektive Fest, sondern das Eindringen des Reglements bis in die feinsten Details der Existenz vermittels einer perfekten Hierarchie, welche das Funktionieren der Macht bis in ihre letzten Verzweigungen sicherstellt. Hier geht es nicht um Masken, die man anlegt oder fallen lässt, sondern um den ‚wahren‘ Namen, den „wahren“ Platz, den ‚wahren’ Körper und die ‚wahre’ Krankheit, die man einem jeden zuweist. Der Pest als zugleich wirklicher und erträumter Unordnung steht als medizinische und politische Antwort die Disziplin gegenüber. Hinter den Disziplinarmaßnahmen steckt die Angst vor den „Ansteckungen“, vor der Pest, vor den Aufständen, vor den Verbrechen, vor der Landstreicherei, vor den Desertionen, vor den Leuten, die ungeordnet auftauchen und verschwinden, leben und sterben.“

Auf Foucault aufbauend schrieb der deutsche Philosophe Byung-Chul Han 2004 in seinem Buch „Psychopolitik“ über das Internet: „Die grenzenlose Freiheit und Kommunikation schlagen nun in totale Kontrolle und Überwachung um. Auch die sozialen Medien gleichen immer mehr digitalen Panoptikumen, die das Soziale überwachen und gnadenlos ausbeuten. Kaum haben wir uns aus dem disziplinarischen Panoptikum befreit, da begeben wir uns schon in ein neues, noch effizienteres Panoptikum hinein.“