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StandpunktWie sich das Klimaversagen beenden lässt: Eine kollektive Mobilisierung ist erforderlich

Standpunkt / Wie sich das Klimaversagen beenden lässt: Eine kollektive Mobilisierung ist erforderlich
 Teilnehmer an einer Demonstration der Klimaschutzbewegung „Fridays for Future“ in Berlin Foto: dpa/Paul Zinken

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Die Welt hat auf dem UN-Weltklimagipfel (COP26) vom vergangenen Monat versagt. Und das größte Versagen ist eines, das praktisch alle in Glasgow versammelten Teilnehmer übersehen haben. Das zur Bekämpfung des Klimawandels geschaffene System – das eine Konstellation wirtschaftlicher, politischer und sozialer Übereinkünfte umfasst – ist für unsere globalen Ziele ungeeignet.

* Zum Autor

Dennis J. Snower ist Präsident der Global Solutions Initiative. Er ist Professor an der Hertie School of Governance in Berlin, Senior Research Fellow an der Blavatnik School of Government der Universität Oxford und Non-resident Fellow der Brookings Institution. red

Um ein Licht auf dieses systemische Versagen zu werfen, hier eine Analogie: Stellen Sie sich vor, Ihre Nachbarschaft wird von einem nahenden Flächenbrand bedroht. Zur Bewältigung der Krise bedarf es der Mobilisierung verschiedener Feuerwehren und Rettungsdienste sowie, um Eigentum zu schützen, der Hilfe von Unternehmen und Anwohnern. Doch diese Gruppen arbeiten nicht zusammen. Einige Bürger kreuzen mit Wassereimern auf. Einige Unternehmen spenden Feuerlöscher. Einige Anwohner organisieren Proteste gegen Evakuierungsanordnungen. Die örtlichen Politiker halten derweil eine Bürgerversammlung ab und bemühen sich um Zusagen der verschiedenen Gruppen, die jedoch sämtlich unverbindlich sind. Doch hält die Summe der Zusagen so gerade eben die Hoffnung am Leben, dass Ihre Nachbarschaft sicher bleibt.

So stehen wir heute in Bezug auf den Klimawandel da. Das grundlegende Problem ist, dass unser System nicht darauf ausgelegt ist, Ergebnisse zu liefern, die mit dem Ziel des Pariser Klimaabkommens von 2015 zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 ºC über vorindustriellem Niveau vereinbar sind. Wenn sie denn erfüllt werden – und das ist ein dickes Wenn –, bringen die Zusagen des Glasgower Klimapaktes die Welt auf Kurs für einen Temperaturanstieg zwischen 2,5 ºC und 2,7 ºC bis Ende des Jahrhunderts. Das wäre eine Katastrophe.

Wirtschaft und Staat müssen zusammenarbeiten

Unsere Volkswirtschaften sind auf eine Maximierung des BIP ausgelegt. Unsere Unternehmen verfolgen das Ziel einer Maximierung des Shareholder-Value und unsere Politiker streben nach maximaler Zustimmung der Wähler. Unsere Gesellschaften werden gebeutelt von den Strömungen des Konsumdenkens, des Nationalismus, des Populismus und des Ökologismus. Wirtschaftlicher Wohlstand und politischer Erfolg sind in diesem System von sozialer Stabilität und Umweltgesundheit abgekoppelt.

Angesichts eines derartigen systemischen Versagens sollten wir uns nicht von Beispielen „grüner“ Unternehmen und ihre Portfolios dekarbonisierender Anleger ermutigt fühlen. Ohne staatliches Eingreifen, das alle Betriebe zu ökologischer Verantwortung verpflichtet, wird die Umweltfreundlichkeit einiger Unternehmen es anderen gestatten, nicht nachhaltig zu agieren. Die Bekämpfung des Klimawandels erfordert eine gezielte Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Staat.

Zum Glück wissen wir bereits, was zu tun ist, um die notwendige kollektive Mobilisierung zu erreichen und das aktuelle Klimaversagen zu beenden. Die Politik sollte den zentralen Designprinzipien der verstorbenen Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom zur wirksamen Steuerung des Allmendeguts folgen.

Zunächst einmal sind eine gemeinsame Identität und ein gemeinsamer Zweck unverzichtbar. Die Begrenzung der globalen Erwärmung ist ein per se globales Ziel: Egal, wo sie freigesetzt werden, beeinträchtigen Treibhausgase (THGs) die Menschen überall auf der Welt. Wir müssen daher ein Gefühl gemeinsamer Identifizierung mit diesem Ziel schaffen. Doch waren die Verhandlungen im Rahmen der COP26 so strukturiert, dass sie die nationalen Interessen gegeneinanderstellten, statt ein Gefühl zu fördern, dass sich die Menschheit gemeinsam um den Schutz unseres Planeten bemüht.

Ein zweites zentrales Prinzip besteht darin, sicherzustellen, dass Kosten und Nutzen von Klimaschutzmaßnahmen so verteilt sind, dass es allen Gruppen besser geht. Die meisten Fachleute sind sich einig, dass eine effiziente Dekarbonisierung einen auf die Ziele des Pariser Abkommens abgestimmten weltweiten Kohlenstoffpreis erfordert. Weil eine Tonne CO2 unabhängig vom Ort ihrer Freisetzung dieselben Umweltschäden verursacht, ist es theoretisch sinnvoll, dass alle denselben Kohlenstoffpreis zahlen. Dies würde das Problem der Verlagerung von Emissionsquellen vermeiden, das auftritt, wenn eine Verringerung der CO2-Emissionen in einem Land zu zunehmenden Emissionen in einem anderen Land mit geringerem CO2-Preis führt. Das Gleiche gilt für Unternehmen.

Doch könnte sich die Umsetzung eines weltweiten Kohlenstoffpreises – etwa durch Kohlenstoffsteuern oder den Handel mit Emissionsrechten – als gesellschaftlich untragbar erweisen. Die Armen und die Mittelschicht könnten sich die höheren Preise für CO2-intensive Waren und Dienstleistungen womöglich kaum leisten, während der resultierende Beschäftigungsrückgang in CO2-intensiven Branchen zu Arbeitsplatzverlusten führen und Gemeinschaften ihre wirtschaftliche Basis entziehen könnte. COP26 war nicht darauf ausgelegt, die sozialen Voraussetzungen für effiziente Klimaschutzmaßnahmen zu schaffen.

Schnelle und faire Mechanismen

Drittens erfordern erfolgreiche Klimaschutzmaßnahmen eine faire und inklusive Entscheidungsfindung, sodass alle betroffenen Gruppen an den sie betreffenden Entscheidungen beteiligt sind. Viele haben geltend gemacht, dass die Verhandlungen im Rahmen des Klimagipfels gerade die von der kommenden Klimakatastrophe am stärksten betroffenen Gruppen ausgeschlossen haben – und dass jene in Machtpositionen (häufig älter, weiß, männlich und privilegiert) ein Eigeninteresse daran haben, dass das so bleibt.

Dieser Ansatz entmachtet diejenigen, die von der globalen Erwärmung am stärksten betroffen sind – in der Regel junge Leute aus den Entwicklungsländern und marginalisierte Kulturen. Doch verfügen diese häufig über die Erkenntnisse, das Ortswissen und vor allem das Gespür für Dringlichkeit, die mit der Aussicht einhergehen, den unmittelbaren Folgen des Klimawandels ausgesetzt zu sein.

Mehrere weitere Prinzipien sind bei der effizienten Bekämpfung der globalen Erwärmung wichtig. Jahr für Jahr klare Ergebnisse zu messen und darüber zu berichten ermöglicht die Überwachung der vereinbarten Maßnahmen. Ebenfalls nötig sind abgestufte Prämien für hilfreiche – und abgestufte Sanktionen für nicht hilfreiche – Maßnahmen.

Darüber hinaus erfordern Klimaschutzmaßnahmen schnelle und faire Mechanismen zur Konfliktbeilegung unter Einbindung vertrauenswürdiger, unvoreingenommener Mediatoren. Die Autorität zur Selbstbestimmung mittels des Subsidiaritätsgrundsatzes sollte auf supranationaler Ebene in allen relevanten internationalen Foren und Organisationen anerkannt werden.

Und schließlich brauchen wir eine polyzentrische Steuerung: internationale, nationale, regionale und kommunale Leitungsorgane, die interagieren, um Vereinbarungen auf schlüssige Weise abzuschließen und durchzusetzen.

Der Weltklimagipfel hat, wenn überhaupt, nur geringe Versuche zur Erfüllung dieser Anforderungen unternommen. Die Regierungen haben keine Einigung darüber erzielt, wie THG-Emissionen gemessen werden sollten, und es gibt keine international anerkannten Berichtsmechanismen. Es gibt keine Prämien oder Sanktionen für die nationale Klimaleistung, weil die COP26-Empfehlungen rechtlich unverbindlich sind. Die Welt hat auch keine schnellen, unparteiischen Mechanismen zur Beilegung von Konflikten in Bezug auf den Klimaschutz. Und trotz Anerkennung der souveränen Autorität der Länder bedeutet das Fehlen eines polyzentrischen Steuerungssystems, dass die Klimapolitik von der internationalen bis zur kommunalen Ebene weiterhin vernachlässigt wird und widersprüchlich und nicht in sich schlüssig bleibt.

Natürlich ist die Erfüllung dieser Anforderungen eine große Aufgabe und wird nicht über Nacht passieren. Doch kann die kommende Generation zu Recht erwarten, dass wir versuchen, die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Grundvoraussetzungen für einen erfolgreichen Klimaschutz zu schaffen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan
Copyright: Project Syndicate, 2021