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50 Jahre Militärputsch in ChileWie die Familie Arellano vor der Diktatur nach Luxemburg floh

50 Jahre Militärputsch in Chile / Wie die Familie Arellano vor der Diktatur nach Luxemburg floh
Bilder von „Verschwundenen“ vor dem Palacio de La Moneda, dem Präsidentenpalast in Santiago de Chile. Die Fotos erinnern an die Opfer der Militärdiktatur von 1973 bis 1990. Foto: AFP/Martin Bernetti

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Vor 50 Jahren putschte sich in Chile das Militär an die Macht und beendete den „chilenischen Weg zum Sozialismus“ des demokratisch gewählten Präsidenten Allende. Tausende Menschen fielen der Diktatur von General Pinochet zum Opfer. Viele flohen ins Exil – auch nach Luxemburg, wie die Geschichte der Familie Arellano zeigt.

Die Heimat seines Vaters und seines Großvaters hat Hugo Arellano nicht losgelassen. Es ist auch seine Heimat, zumindest seine zweite. Der 36-Jährige ist in Luxemburg geboren und aufgewachsen. „Ich fühle mich in Chile wie zu Hause. Meine Geschwister und ich waren als Kinder oft dort“, sagt er und fügt hinzu: „Und in unserer Familie wurde sehr oft über Chile gesprochen.“

Vor ein paar Monaten war Hugo wieder in dem südamerikanischen Land und besuchte seinen Vater Pedro Hugo, der seit drei Jahren wieder in Limache lebt, einer Kleinstadt in der Mitte des Andenstaates, etwa 30 Kilometer vom Pazifischen Ozean entfernt. Auch Großvater Héctor Hugo war nach gut 20 Jahren im Exil zurückgekehrt, seine Frau Yolanda folgte ihm nach, neben Pedro Hugo auch die beiden anderen Söhne Archibaldo und Erwin (die weiteren Kinder sind Silvia, Yolanda und Salvador Mauricio). Der 1927 geborene Héctor Hugo, den alle Don Hugo nannten, hatte in Chile in den 50er und 60er Jahren als Journalist bei der Zeitung La Unión gearbeitet. Unter anderem berichtete er über Autorennen.

Auf dem familieneigenen Grundstück gründete Don Hugo 1960 seinen eigenen Radiosender. Obwohl ein privater Kanal, war Radio Limache keineswegs politisch neutral: Don Hugo griff gesellschaftskritische Themen auf und handelte sich bald einen Gerichtsprozess ein, was den kleinen Sender in finanzielle Schwierigkeiten brachte. Der Fortbestand von Radio Limache war eine Zeit lang gefährdet, doch erlebte er nach dem Wahlsieg des Sozialisten Salvador Allende bei den Präsidentschaftswahlen 1970 einen Aufschwung. Don Hugo benannte seinen Sender in Radio Victoria um. Als Vorsitzender des Partido Socialista in seiner Region unterstützte er Allendes Wahlbündnis Unidad Popular, das 1971 die Kommunalwahlen in Limache gewann.

Pedro Hugo Arellano und sein Vater Héctor Hugo, in der Krankenstation des Gefängnisses von Valparaíso. Die Militärs wollten damit zeigen, dass die Inhaftierten gut behandelt würden.
Pedro Hugo Arellano und sein Vater Héctor Hugo, in der Krankenstation des Gefängnisses von Valparaíso. Die Militärs wollten damit zeigen, dass die Inhaftierten gut behandelt würden. Foto: privat

Allendes Projekt der Volksregierung habe Linke weltweit begeistert, erinnert sich der Politikwissenschaftler und Lateinamerika-Experte Detlef Nolte. Die Unidad Popular setzte soziale Reformen um, stärkte die Rechte der Arbeiter und verstaatlichte Chiles Kupferbergbau. Arztbesuche, Medikamente und Schulbücher sollten fortan kostenlos sein. Großgrundbesitz wurde enteignet, mehr als sechs Millionen Hektar Land wurden umverteilt, die Indigenen vom Volk der Mapuche sollten in die Gesellschaft integriert werden. Doch Allendes Politik stieß auf erbitterten Widerstand.  Großgrundbesitzer und Industrie blockierten die Lebensmittelzufuhr, die Wirtschaft des Landes wurde abgewürgt. Die US-Regierung unterstützte die konservative Opposition. Schließlich befand sich die Welt im Kalten Krieg. Am 11. September 1973 rollten die Panzer an, Flugzeuge der chilenischen Luftwaffe bombardierten den Präsidentenpalast La Moneda in Santiago. In Limache zerstörte eine Militäreinheit Radio Victoria.

Um elf Uhr richtete Salvador Allende seine letzten Worte an die Bevölkerung: „Mit meinem Leben zahle ich die Treue vom Volk gegenüber.“ Er wurde später in seinem Büro tot aufgefunden. Die genauen Umstände seines Todes blieben lange Zeit ungeklärt. Einige Anhänger glaubten, Allende sei erschossen worden. Doch eine erneute Obduktion nach dem Ende der Diktatur bestätigte den Suizid. Der Oberbefehlshaber des Heeres, General Augusto Pinochet, wurde an der Spitze einer Junta neuer Präsident. Die Putschisten sprachen nicht von einem Putsch, sondern von einem Aufstand der Armee zur „Rettung des Vaterlandes“ vor einem angeblich totalitären linken Regime, entsprechend der Doktrin der „nationalen Sicherheit“.

Das Erbe der Chicago Boys

Pinochet ließ die Wirtschaft komplett umkrempeln. Unter Anleitung der „Chicago Boys“, einer Gruppe von Wirtschaftswissenschaftlern, die an der University of Chicago studiert hatten und sich von den neoliberalen Ideen Milton Friedmans inspirieren ließen, wurde das chilenische Wirtschaftsmodell streng nach den Prinzipien des freien Marktes durch Privatisierung und Deregulierung ausgerichtet. Chile sollte ein Bollwerk gegen den Kommunismus werden. Das Militär und die Geheimpolizei DINA gingen unerbittlich gegen die Opposition vor. Zehntausende Gegner des Regimes wurden verfolgt, Folter- und Konzentrationslager errichtet.

Frauen waren sexualisierter Gewalt ausgesetzt. In einer Folterkammer unter dem Namen „Venda Sexy“ wurden sie von den Schergen des Regimes vergewaltigt. Ihre Schreie wurden mit lauter Musik übertönt. Nach offiziellen Angaben starben mehr als 3.200 Menschen oder verschwanden für immer. Rund 38.000 wurden inhaftiert und gefoltert. Die Dunkelziffern liegen deutlich höher. Unter den Folterern waren außer chilenischen Geheimdienstlern und Soldaten auch Angehörige des US-Geheimdienstes CIA, die als Geschäftsleute getarnt ins Land gekommen waren.

Don Hugo und sein ältester Sohn Pedro Hugo gehörten zu den ersten Opfern der Repression. Sie wurden am 11. September 1973 inhaftiert. Bei unserem Gespräch in Francorchamps erzählte Pedro Hugo: „Ein Kommando der Marine stürmte unser Haus. Ich wurde von einer Kugel getroffen, und ein paar Granatsplitter erwischten mich.“ Doña Yolanda suchte vergeblich nach den beiden Männern. Vater und Sohn wurden auf dem Gefängnisschiff Lebú vor Valparaíso festgehalten, gefoltert und schließlich in ein Konzentrationslager gebracht. Rund drei Jahrzehnte nach der Folter veröffentlichte Don Hugo ein Buch über seine schrecklichen Erlebnisse unter dem Titel „Simulacro de muerte“ (Trugbild des Todes). Darin beschreibt er die körperlichen und seelischen Leiden. Er erlitt einen Herzinfarkt und entkam nur knapp dem Tod.

Flucht nach Buenos Aires

Zum Glück hatten die beiden Arellanos einen Anwalt, der sie vor dem Militärgericht verteidigte. Nach zehn Monaten im Gefängnis wurden sie von der Staatsanwaltschaft vorgeladen. Vater und Sohn mussten auf der Stelle das Land verlassen. Sie bekamen die chilenische Staatsbürgerschaft aberkannt. Eine Maschine der brasilianischen Fluggesellschaft Varig brachte sie am 25. Juli 1974 nach Buenos Aires. „Es war vier Uhr nachmittags“, schreibt Don Hugo später. „Die Andenkordilleren leuchteten unter einer Sonne, die uns die Freiheit bedeutete. Chile und seine Ängste blieben zurück. Wir entkamen den Fängen der Diktatur. Die Welt würde unsere Heimat sein, aber Lateinamerika würde unsere Heimat bleiben.“

Die Kinder Yolanda, Archibaldo und Erwin hatten Chile bereits im Januar 1974 verlassen. Ihre Mutter Doña Yolanda hatte die Kinder zu Verwandten nach Buenos Aires geschickt, wo sie auf Don Hugo und Pedro Hugo warten sollten. Doña Yolanda und ihre ältere Tochter Silvia folgten im August 1974. Argentinien war alles andere als ein goldenes Exil. Das Nachbarland steckte in einer Wirtschaftskrise. „Wir hielten uns vor allem mit informellen Tätigkeiten über Wasser, die uns Freunde vermittelten“, erzählt Pedro Hugo, der sich als Schwertransportfahrer verdingte.

Don Hugo vor einem Plakat des chilenischen Sängers Víctor Jara. Letzterer wurde im September 1973 von Soldaten durch 44 Schüsse ermordet.
Don Hugo vor einem Plakat des chilenischen Sängers Víctor Jara. Letzterer wurde im September 1973 von Soldaten durch 44 Schüsse ermordet.  Foto: privat

In Argentinien konnte Pedro Hugo nicht weiter studieren. Schon zur Amtszeit von Isabel Perón, der Witwe und Nachfolgerin von Präsident Juan Domingo Perón, trieb die Todesschwadron der „Alianza Anticomunista Argentina“ ihr Unwesen. Diese sogenannten Triple A gingen immer brutaler zu Werk. Die Situation der Arellanos verschlechterte sich nach dem Militärputsch im März 1976, bei dem eine Junta unter General Jorge Rafael Videla die Macht übernommen hatte. Die Schergen des Regimes nahmen die Familie als Geiseln und stahlen ihr alles. Don Hugo bat um Hilfe beim Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen. Die Familie durfte Argentinien verlassen.

Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Codepu verließen in den Jahren nach dem Pinochet-Putsch 1,6 Millionen Chilenen ihre Heimat. Einige kamen zwischen 1974 und 1977 nach Luxemburg. Die damalige Mitte-links-Regierung unter Premierminister Gaston Thorn nahm die Flüchtlinge auf. Dies waren neben Gewerkschaftern unter anderem Anhänger der Sozialistischen Partei. „Die chilenischen Exilanten bildeten mit ihren Familien eine politisierte migrierende Mikrogemeinschaft“, schreibt der Historiker Claude Wey. Die Gemeinschaft der Exilchilenen hierzulande umfasste laut Schätzungen rund 200 bis 250 Personen.

Neuanfang in Luxemburg

Don Hugo und Doña Yolanda kamen im März 1977 mit ihren sechs Kindern in Luxemburg an. Zuerst lebten sie im Pfaffenthal, später in Dommeldingen. „Wir wählten Luxemburg bewusst als Exilland. Uns standen noch Kanada und die Niederlande zur Auswahl. Wir entschieden uns jedoch für Luxemburg“, sagt Pedro Hugo. Für die meisten Chilenen war es ein unbekanntes Land. „Aber es war politisch stabil“, erklärt er, „und hatte nur eine kleine Armee. Die Gefahr eines Militärputsches bestand also nicht. Außerdem sprach ich Deutsch, weil ich in Chile eine deutsche Schule besucht hatte.“ Villeroy & Boch stellte eine gewisse Anzahl von Chilenen ein, darunter Hugos Onkel Archibaldo und Erwin.

Don Hugo konnte hierzulande und in Belgien wieder seinen Beruf als Journalist ausüben. Der nach wie vor politisch engagierte Autor schrieb Berichte, Essays, Erzählungen und Gedichte auf Spanisch und gab eine Zeitschrift namens „Selecciones socialistas“ heraus, später „Selso. Todo por America Latina“. Außerdem pachtete er in Bonneweg eine Tankstelle, während seine Frau von der Stadt Luxemburg angestellt wurde, um Kinder aus sozial benachteiligten Familien zu betreuen. „Das hat mich geprägt“, sagt Hugo jr., Pedro Hugos ältester Sohn, „bei uns waren immer Kinder, nicht nur meine Geschwister und ich, sondern jene, die meine Großmutter betreute. Wir waren praktisch nie allein. Ich bin so aufgewachsen. Bei uns wurde das Soziale gelebt. Es waren nicht nur Worte. Meine Großeltern haben daran geglaubt.“ Pedro Hugo heiratete eine Luxemburgerin. Die beiden zogen nach Freckeisen, wo ihre fünf Kinder aufwuchsen. Der Maschinenbauingenieur Pedro Hugo, der zuerst eine Anstellung in einer Garage gefunden hatte, arbeitete viele Jahre bis zur Pension beim Europaparlament. Wie sein Vater Don Hugo begeisterte er sich für den Motorsport und fuhr Rennen. Und Hugo jr. war lange Zeit Luxemburgs bekanntester Rallyefahrer. Heute ist er ein erfolgreicher Anwalt.

Hugo Arellano jr. wurde zu einem der bekanntesten Rallyefahrer Luxemburgs
Hugo Arellano jr. wurde zu einem der bekanntesten Rallyefahrer Luxemburgs Foto: Editpress/Julien Garroy

Für die Familie Arellano bedeutete die Rückkehr Chiles zur Demokratie einen Sieg. 1988 hatte ein Referendum über eine weitere Amtszeit von Präsident Pinochet stattgefunden. Eine Mehrheit von 54 Prozent sprach sich dagegen aus. Im Dezember 1989 fanden die ersten freien Präsidentschafts- und Parlamentswahlen nach der Diktatur statt. Es gewann der Christdemokrat Patricio Aylwín, der eine Wahrheits- und Versöhnungskommission einsetzte. Viele Chilenen kehrten aus dem Exil zurück, obwohl Pinochet erst 1998 als oberster Heereschef abtrat und als Senator Immunität genoss.

Der Ex-Diktator wurde am 16. Oktober 1998 während eines Aufenthalts in Großbritannien aufgrund eines Haftbefehls des spanischen Richters Baltasar Garzón verhaftet. Hugo Pedro war damals in London, um für die Auslieferung Pinochets zu demonstrieren. Auch Hugo jr. war mit dabei: „Wir sind mit einem Bus dahin gefahren“, erinnert er sich. Doch Pinochet durfte wegen seines schlechten Gesundheitszustands nach Chile ausreisen. Schließlich wurde der alte General aufgrund leichter Demenz für verhandlungsunfähig erklärt. Weitere Versuche, ihn wegen der Menschenrechtsverbrechen zu belangen, scheiterten. Er starb im Dezember 2006, ohne jemals verurteilt worden zu sein.

Aufbruch in eine neue Zeit

Die chilenischen Mitte-links-Regierungen der „Concertación de Partidos por la Democracia“ nach der Diktatur unter anderem aus Christdemokraten und Sozialisten führten Pinochets neoliberale Wirtschaftspolitik weiter. Daran änderte auch Ricardo Lagos nichts, 2000 bis 2006 der erste sozialistische Präsident seit Allende, ebensowenig seine Nachfolgerin Michelle Bachelet, erste Frau an der Spitze des Landes und selbst einstiges Folteropfer der Diktatur.

Das ökonomische System der Chicago Boys gehört ebenso zum Erbe der Diktatur wie die Verfassung aus dem Jahr 1980. Dies bedeutete etwa einen Vorrang der privaten Altersversorgung vor der öffentlichen, die Idee eines nationalen Fonds für Bildung, Gesundheit oder Renten war verfassungswidrig. War das erste Jahrzehnt nach der Diktatur noch von einem deutlichen Rückgang der Armut, von einem historischen Wirtschaftswachstum und von politischer Stabilität bestimmt, nahm die soziale Ungleichheit in dem südamerikanischen Land bald wieder zu.

Anhänger des 2006 verstorbenen Diktators Pinochet im Oktober 2018
Anhänger des 2006 verstorbenen Diktators Pinochet im Oktober 2018 Foto: AFP/Claudio Reyes

Im Oktober 2019 kam es zu gewaltsamen Protesten, worauf der damalige konservative Präsident Sebastián Piñera den Ausnahmezustand ausrief. Auslöser der Unruhen war die Erhöhung der Fahrpreise für die U-Bahn von Santiago, den protestierenden Schülern und Studenten ging es aber vor allem um die Abschaffung der kostenpflichtigen Privatschulen und um strukturelle Reformen in politischer, sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht. Ein Referendum ergab, dass eine neue Verfassung ausgearbeitet und ein verfassungsgebender Konvent mit 155 Mitgliedern gewählt werden sollte. Im November 2021 wurde Gabriel Boric von der linken Convergencia Social zum neuen Präsidenten gewählt. Er gewann die Stichwahl gegen den ultrarechten Kandidaten José Antonio Kast. Boric trat im März 2022 sein Amt an.

Einen herben Rückschlag erlitten all jene, die gehofft hatten, dass die noch aus der Diktatur stammende Verfassung durch eine neue ersetzt würde, am 4. September 2022, als der Verfassungsentwurf in einem Plebiszit von 62 Prozent der Wähler abgelehnt wurde. Sie hätte den Chilenen eine Fülle von sozialen Rechten – u.a. auf Bildung, Gesundheit und angemessenen Wohnraum – garantiert, die Rechte der Frauen sowie der indigenen Bevölkerung gestärkt sowie den Staat zum Schutz der Umwelt verpflichtet. „Die Verfassung hätte eine der fortschrittlichsten der Welt werden können“, schreibt Faride Zerán, Vizedirektorin der Universidad de Chile. „Wir hatten von dem Land geträumt, das in diesem Text beschrieben wird.“

Chile nahm zwar einen zweiten Anlauf und wählte am 7. Mai dieses Jahres einen neuen verfassunggebenden Rat. Die Wahl wurde zu einem Erfolg der 2019 gegründeten rechtsextremen Republikanischen Partei, die 35 Prozent der Sitze gewann. Im November muss der Rat seinen Verfassungsentwurf vorlegen. Ein Referendum ist für den 17. Dezember vorgesehen. Nun bestehe die Gefahr, dass die neue Verfassung noch konservativer werde als die bisherige, befürchtet Jean Asselborn. Der luxemburgische Außenminister war bereits im März in Chile und ist für die Gedenkfeierlichkeiten wieder dorthin gereist. 

Pedro Hugo Arellano hatte sich sehr für die moderne Version der Verfassung engagiert. „Wir haben noch immer eine, die aus der Diktatur stammt, obwohl wir seit mehr als 30 Jahren in einer Demokratie leben“, sagt der 69-Jährige. Auch die soziale Lage bereitet ihm Sorgen: „Vieles ist schlimmer im Vergleich zur Zeit vor der Diktatur. Es ist unfassbar, dass einige reiche Familien so große wirtschaftliche Macht haben und ihnen ein großer Teil des Landes gehört.“ Das reichste Prozent der Chilenen verfügt über die Hälfte des Vermögens. In den Medien, die vor allem in den Händen einiger reicher Familien ist, wird gegen alle gehetzt, die eine Veränderung wollen. „Sie betreiben eine Kampagne der Angst“, sagt Pedro Hugo. „Alle anderen werden als Kommunisten bezeichnet.“

Pedro Hugo ist in Limache mit dem Radiosender beschäftigt, den sein Vater Don Hugo einst gründete. Dieser ist vor drei Jahren gestorben, Mutter Doña Yolanda lebt in einem Pflegeheim in Luxemburg. Das Vermächtnis ihres Mannes und seiner Familie lebt weiter.

Vergangenheitsbewältigung

Die Auseinandersetzung mit dem Erbe der Diktatur ist fünf Jahrzehnte nach dem Putsch noch immer ein Thema, allerdings habe sich in Chile eine „hybride Erinnerung“ herausgebildet, wie es der Historiker Stephan Ruderer von der Universidad Católica in Santiago de Chile nennt. Was bedeutet, dass häufig die „schlechten“ Seiten der Diktatur mit den „guten“ Seiten aufgerechnet werden. Die knapp 17-jährige Pinochet-Ära, die repressive Politik mit systematischen Menschenrechtsverletzungen, die neoliberalen Wirtschaft und die Verfassung von 1980 haben das Land tief geprägt. Sie haben eine Atmosphäre der Angst und des Misstrauens erzeugt. Der 50. Jahrestag des Staatsstreichs gehe einher mit der zunehmenden Leugnung der Verbrechen der Diktatur und mit Angriffen auf Gedenkstätten, stellt Faride Zerán fest. Mahnmale würden beschmiert oder zerstört. Umfragen zufolge glauben 36 Prozent der Chilenen, die Streitkräfte hätten „zu Recht“ geputscht. Das 21. Jahrhundert, so Zerán, drohe nun ein „Jahrhundert der Verleugnung und Straflosigkeit“ zu werden.