Die einen gelten als die große Volkspartei, die anderen als kleine Regierungspartei. Ein Besuch bei den Wahlveranstaltungen von zwei Parteien, deren Beziehungsstatus als kompliziert gilt.
«Ein Kompass?», sagt Marc Glesener. «Wenn du von einem Kompass redest, muss ich irgendwie immer an Kolumbus denken. Bist du Christoph Kolumbus?» Claude Wiseler blickt auf den gegenüberstehenden Glesener. Keine Regung. Stille. Beide befinden sich in der Mitte der Escher Kulturfabrik, um sie herum sitzen rund 150 Bürger.
Dann dreht Wiseler sich nach links und sagt: «Ach, mit solchen historischen Vergleichen bin ich vorsichtig.» Jemand in der aktuellen Regierung habe sich ja schon mit Kopernikus verglichen. Und ihm falle vielmehr dazu ein Witz von Winston Churchill ein: «Kolumbus war der erste Sozialist. Er wusste nicht, wohin er ging. Er ignorierte, wo er sich befand. Und das alles mit dem Geld der Steuerzahler!» Vereinzelte Lacher. Kein Applaus.
Es ist die erste von vier großen Wahlveranstaltungen mit dem Spitzenkandidaten der CSV. «Wiseler Live» heißt das Konzept, das sich die Parteileitung hat einfallen lassen. Und verglichen mit 2013 ist es eine andere CSV, eine Partei mit neuem Image, mit einem anderen Stil. Bis 2013 waren Wahlveranstaltungen ein Abbild der Machtverhältnisse der Partei. Einer redet, die andren hören zu. Klassischer Frontalunterricht.
Die CSV von 2018 zeigt sich anders. Deutlich anders. Bereits vor der Veranstaltung werden die Bürger von jungen CSV-Mitgliedern im Eingang der Kufa begrüßt und dazu aufgefordert, doch «bitte» Fragen an Claude Wiseler auf einem Zettel zu notieren. Mit etwas Glück werden sie später dem Spitzenkandidaten gestellt. «Was für Fragen sollen das denn sein?», will man wissen. «Oh, Sie können sämtliche Fragen stellen – auch etwa welche Pizza er am liebsten isst.»
Auch die Kufa wird von der Partei unkonventionell bespielt. Die Bühne dient lediglich für das große #CSV-Logo. Die Musik spielt davor: So wie es sich nur große Popbands wie U2 oder auch Politiker wie Barack Obama oder Emmanuel Macron trauen, steht die Bühne in der Mitte des Raumes, die Zuschauer sitzen herum. Der Vorteil: Es erzeugt Nähe. Der Nachteil: Irgendjemand sieht immer Wiselers Rücken.
Aber diese neue Nähe der CSV erinnert auch an amerikanische Town-Hall-Meetings – Versammlungen, bei denen die Bürger aktiv am politischen Prozess beteiligt sind. Denn letztlich blicken die Bürger nicht nur zum Politiker – sie schauen sich auch gegenseitig ins Antlitz.
Die große Frage: Kann das klappen?
Die Antwort: So halbwegs. Denn Wiseler gelingt es durchaus, den Anschein von Souveränität zu vermitteln: Seine Stimme ist kräftiger und tiefer als noch vor einem Jahr. Seine Gestik klar und deutlich. Seine Sprache präzise. Aber so spontan und bürgernah der Dialog sein soll, so orchestriert wirkt er dennoch. Glesener ist mehr Stichwortgeber als Interviewer. Und er filtert die schriftlich eingereichten Fragen, bevor er sie an Wiseler stellt. Ergo: keine Pizzafragen.
Doch es will Glesener und Wisler nicht so recht gelingen, eine Dramaturgie aufzubauen. Wiseler erklärt die einzelnen Punkte seines «Plans» (Steuererleichterung für Unternehmen, kein «Tiers payant généralisé», mehr Autobahnen), worin jedoch der rote Faden liegt, bleibt unklar. Es fehlt ein Narrativ, eine halbwegs kohärente Erzählung, wohin dieses Land steuern soll. Vom zukunftsweisenden Ansatz der Territorialreform hört man an diesem Abend kein Wort.
Außerdem will Wiseler Gleseners Vorlagen nicht so recht versenken. Als er Etienne Schneiders Millionen-Fauxpas bei der Besteuerung der Molkerei Fage beanstanden will, verheddert er sich selbst in den Zahlen und spricht von 450 Millionen anstelle von 450.000 Euro. Sein Kolumbusvergleich scheint mehr Menschen zu verwirren, was wiederum Wiseler verunsichert.
Und als er seinen Appell gegen eine Zweiklassenmedizin und soziale Kälte mit einem leidenschaftlichen «Mir packen dat» beendet, scheint er allzu erleichtert darüber, endlich eine Pointe gelandet zu haben. Kurz: Wiseler wirkt äußerst angespannt. «Ich kann euch leider kein Bier ausgeben, das Gesetz erlaubt dies nicht.»
Schneiders Chuzpe
Eine Woche später in Diekirch. Rund 150 Bürger haben den Weg in die «Al Seeërei» gefunden. Das Setting ist klassisch: Bühne, Beamer, Banner und Mikrofon. Romain Schneider, den alle hier nur «Schniggi» nennen, stellt sein Team vor. Schniggis Ziel: Mindestens zwei Sitze im Nordbezirk ergattern.
Als Etienne Schneider aufgefordert wird, die Bühne zu betreten, ändert er spontan das Protokoll. Er stellt sich in die Mitte des Raumes und sagt mit kräftiger Stimme: «Könnt ihr mich auch hier ohne Mikrofon hören?» Ähnlich wie Wiseler steht Schneider nun inmitten des Publikums, nur ohne Stichwortgeber, ohne Filter. Und Schneider skizziert sein Narrativ, an dem er seit Jahren gefeilt hat. Die ökonomische Erfolgsgeschichte der Dreierkoalition. In der Krise geboren, durch Wachstum geeint. Nun gelte es, den Bürgern etwas zurückzugeben: weniger Arbeit, Steuersenkungen von 500 Millionen. Und gleichzeitig Umbruch und Digitalisierung. Er spricht von fahrerlosen Autos und dem Luxus von vollautomatisierten Betrieben. Nein, Schneider hat keine Angst vor der Zukunft. Im Gegenteil: Er kann sie kaum erwarten. Er braucht nicht einmal einen Kompass.
Und als am Schluss niemand sich traut, die erste Frage zu stellen, ködert er die Bürger, indem er ein gratis Bier in Aussicht stellt. Dieses Versprechen muss er jedoch nicht einmal einlösen. Denn Bier gibt es an diesem Abend umsonst. Das ist zwar nicht rechtens, verstößt gegen das Wahlgesetz. Aber das scheint an diesem Tag niemanden zu stören.
@Luss. Damit das klar ist, es war nicht im geringsten meine Absicht eine " billige " Reklame für " déi Lénk " zu machen. Dazu braucht die mich nicht. Es ist eine blosse Feststellung. Ausserdem werde ich einen Teufel tun, hier öffentlich meine Wahlabsicht preiszugeben. Was die Intelligenz resp das Bildungsniveau der Wähler/innen angeht, frage ich mich, woher Sie sich das Recht nehmen darüber zu urteilen. Im übrigen habe ich nicht behauptet, dass " déi Lénk " die Wahrheit gepachtet hätte. Bis vor kuzem und nach dem Motto " für Wahrheit und Recht " war dies das zweifelhafte Privileg des Bistumsblattes und der CSV.
@Roger Wohlfahrt. Ihr billige Reklame für "die Lénk", die angeblich allein die Wahrheit gepachtet haben in allen Ehren aber die (meisten) Wähler -wnn vielleicht auch nicht alle- können auch lesen und schreiben. (....)
Den beiden Fotos nach zu urteilen, könnte man glauben, das Sandmännchen sei gekommen. Gähnende Langeweile auf den Zuhörerplätzen, von Begeisterung nicht die Spur. Symbolisch für den ganzen Wahlkampf, der niemanden vom Hocker zu reissen vermag. Keine Partei , mit Ausnahme " déi Lénk " redet Klartext und macht, für jeden verständlich, konkrete Vorschläge besonders im Interesse des " kleinen Mannes ". Retuschierte Fotos der Kandidaten/innen und leere Phrasen auf Glanzpapier allein genügen nicht.