Der Krieg ist der EU ungemütlich nahe auf den Pelz gerückt. Nur zweihundert Meter von Rumäniens EU-Außengrenze entfernt krachten in der Nacht zum Montag russische Drohnen in die Getreidesilos der ukrainischen Donauhäfen Reni und Ismajil.
Die Attacken im Donaudelta beeinträchtigen den ukrainischen Getreidetransport und „damit die globale Ernährungssicherheit“, verurteilte Rumäniens Staatschef Klaus Johannis zu Wochenbeginn den Angriff: Die jüngste Eskalation stelle „ein schweres Risiko für die Sicherheit auf dem Schwarzen Meer dar“.
Tatsächlich hat Russland mit den Drohnenattacken auf die Donau- und Schwarzmeerhäfen der Ukraine demonstriert, wie schwer Kiew nach dem Ende des Getreideabkommens die Erschließung von Ausweichexportrouten fallen dürfte. Zwar hofft die Ukraine, ihre Agrarexporte nun verstärkt über die Hoheitsgewässer oder das Territorium von EU-Nachbarn abzuwickeln. Doch ob zu Wasser oder zu Land: Die Möglichkeiten und Kapazitäten der Alternativrouten sind begrenzt – aus verschiedenen Gründen.
Wenig realistisch
32,9 Millionen Tonnen an Getreide hatte die Ukraine mit Hilfe des von der UN und der Türkei eingefädelten Abkommens mit Moskau seit August letzten Jahres trotz des Krieges über das Schwarze Meer exportiert. Hauptabnehmer: Die EU, China und die Türkei. Moskau hofft, mit der Aufkündigung des Abkommens die Lockerung der Handelssanktionen zu erzwingen. Trotzig hat Kiew in einer ersten Reaktion die Schaffung eines neuen „Getreidekorridors“ von ukrainischen Häfen durch rumänische und bulgarische Hoheitsgewässer angekündigt. Doch das Vorhaben wirkt nicht nur wegen der jüngsten Drohnenattacken auf die ukrainischen Seehäfen wenig realistisch.
Einerseits droht Moskau, jeden Frachter, der einen ukrainischen Hafen ansteuere, als „Gegner“ und „potenziellen Träger militärischer Fracht“ zu betrachten. Andererseits zögern die Versicherer seit der Aufkündigung des Abkommens, Schiffe mit Getreide aus der Ukraine zu versichern. Kiew will zwar einen eigenen Versicherungsfonds für die Reedereien schaffen. Doch wohl nur wenige Reedereien dürften das keineswegs kleine Risiko eingehen, außer der Fracht auch noch ihre Schiffe zu verlieren. Zudem dürften die bereits jetzt sehr hohen Kosten für die Versicherungspolicen kräftig steigen.
Mit einer prognostizierten Ernte von rund 25 Millionen Tonnen Mais und 17,5 Millionen Tonnen Weizen wird sich die ukrainische Getreideproduktion laut US-Schätzungen in diesem Jahr als Folge des Kriegs nahezu halbieren. Doch selbst bei ähnlich schrumpfenden Exportmengen wird es der Ukraine schwerfallen, ihr Getreide zu den Abnehmern zu schaffen: Denn nicht nur russische Drohnen, sondern auch logistische Hindernisse setzen der Ausfuhr über die angrenzenden EU-Nachbarn enge Grenze.
Ausbau der Infrastruktur
Eine schon bisher stark genutzte Alternative war der Export über die ukrainischen Binnenhäfen im Donaudelta wie Reni: Über die Donau gelangte das ukrainische Getreide in den rumänischen Schwarzmeerhafen Constanta, wo er in Hochseefrachter umgeschlagen und weiter verschifft wurde. Über Rumänien sei bisher die Hälfte des ukrainischen Getreides exportiert worden, „und dieser Prozess wird sich fortsetzen“, hatte Johannis unmittelbar nach Moskaus Aufkündigung des Schwarzmeer-Abkommens versichert.
Doch mit den Drohnenattacken auf die ukrainischen Häfen am Nordufer der Donau scheint Moskau auf eine Unterbrechung der letzten offenen Exportroute über Wasser abzuzielen. Gleichzeitig sind die Kapazitäten für den vermehrten Umschlag von ukrainischem Getreide in den Silos von Constanta trotz des Bemühens um deren Erweiterung begrenzt: Im größten Schwarzmeerhafen wird nicht nur rumänisches Getreide, sondern auch der über die Donau exportierte Weizen aus Serbien, Ungarn, Bulgarien und der Slowakei umgeschlagen.
Auch dem von der EU forcierten Export über Land sind wegen des schlechten Zustands des Schienennetzes im Osten des Kontinents enge Grenzen gesetzt. Nicht nur die Blockade der Seehäfen sorgt in den ukrainischen Güterbahnhöfen an den Grenzen zu den EU-Nachbarn Polen, Rumänien, der Slowakei und Ungarn für lange Waggonwarteschlangen. Wie das russische hat auch das ukrainische Schienennetz eine andere Spurweite als das europäische. Waggons und deren Fracht müssen erst mühsam umgeladen werden.
Die EU-Nachbarn der Ukraine arbeiten mit Hilfe Brüssels zwar fieberhaft an dem Ausbau ihrer Infrastruktur. Doch machen deren Regierungen heftige Proteste der eigenen Getreidebauern wegen des Preisverfalls auf den lokalen Märkten durch ukrainischen Billigweizen zu schaffen. Auf deren Drängen hat die EU vorläufige Einfuhrbeschränkungen verhängt: Ukrainisches Getreide darf zwar durch Bulgarien, Polen, Rumänien, die Slowakei und Ungarn transportiert, dort aber nicht verkauft werden.
Im Osten der EU seien die Märkte und Transportlogistik schon jetzt „überfordert und komplett überlastet“, umschreibt das Fachportal „agrarheute.com“ die angespannte Lage. Eigentlich sei in diesen Ländern nur der Transit von ukrainischem Getreide vorgesehen gewesen: „Doch die Mengen sind so groß und das importierte Getreide so günstig, dass es die lokalen Märkte massiv stört und den Absatz der heimischen Bauern blockiert. Dieses Problem könnte sich mit dem Ende des Schwarzmeer-Abkommens noch verschärfen.“
China war einer der Nutznießer der Exportvereinbarung. Würde Russland es wagen, Frachter unter chinesischer Flagge abzuschießen?