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Weshalb Luxemburg sich mal wieder mit Brüssel anlegt

Weshalb Luxemburg sich mal wieder mit Brüssel anlegt

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Die EU-Kommission will in Sachen digitale Wirtschaft Steuerfairness herstellen – allerdings stößt sie auf Widerstand aus Luxemburg. Reiner Protektionismus wie immer oder berechtigte Kritik? Wir haben uns hinter den Kulissen umgehört.

Die jüngste Initiative der EU-Kommission trifft auf wenig Gegenliebe aus Luxemburg. Ihre Pläne einer anderen Form der Besteuerung digitaler Unternehmen sollen die Kluft zwischen digitaler Wirtschaft und den aktuellen Steuersystemen schließen. Klartext: Laut EU-Kommission zahlen zu viele Tech-Firmen zu wenig Steuern.

Auch Luxemburg ist betroffen. Gerade der Online-Dienst Amazon ist für das Großherzogtum zentral. Wie wichtig das internationale Unternehmen mit Sitz in Luxemburg ist, zeigt der peinliche Streit zwischen Brüssel und der amtierenden Regierung: Die EU-Kommission wirft Luxemburg vor, dem US-Konzern unzulässige Steuernachlässe gewährt zu haben. Amazon müsse 250 Millionen Euro nachzahlen. Die Reaktion aus Luxemburg: Danke, aber nein danke. Der Hintergrund ist banal. Man will Amazon bloß nicht vergraulen, die Niederlassung des Unternehmens tut dem nationalen Konto gut. Allerdings ist die aktuelle Diskussion über die neuen Besteuerungsvorschläge ein wenig komplexer.

Eine Lösung innerhalb der OECD 

Offiziell heißt es aus dem Finanzministerium – wie immer –, dass man in Sachen Besteuerungsfragen ein sogenanntens «Level Playing Field» anstrebe, sprich gleiche Regeln für alle. Luxemburg verweist seit dem LuxLeaks-Skandal hartnäckig auf das «Level Playing Field». Gerade die Arbeit im Rahmen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) wird als zentral betont. Das Finanzministerium weist darauf hin, dass man genau wie beim BEPS-Projekt eine Lösung innerhalb der OECD anstrebe.

BEPS steht für «Base Erosion and Profit Shifting». Alle OECD-Staaten und die Länder der G20 sowie Entwicklungs- und Schwellenländer haben sich BEPS angeschlossen. Es wurde mit dem Ziel ins Leben gerufen, gegen den schädlichen Steuerwettbewerb der Staaten und aggressive Steuerplanungen international tätiger Konzerne vorzugehen. Wenn Luxemburg also betont, dass man vor dem Hintergrund der jüngsten Initiative der EU-Kommission ähnlich wie im Rahmen von BEPS vorgehen will, dann heißt dies vor allem eins: Luxemburg will seine Wettbewerbsfähigkeit nicht einschränken. Es wird stets befürchtet, dass Luxemburg und die EU ohne globales Regelwerk im Steuerwettbewerb mit den Schwergewichten dieser Welt den Kürzeren ziehen könnten.

Allerdings gleicht die Vorstellung einer einheitlichen Besteuerung auf globaler Ebene fast Wunschdenken. EU-Kommissar Pierre Moscovici ist sich dessen bewusst. Während seiner Pressekonferenz am Mittwoch betonte er deshalb demonstrativ, dass die OECD wohl eine wichtige Organisation sei und eine Lösung mit ihr gefunden werden könnte, allerdings müsse sich die Europäische Union selbst Regeln geben, um sinngemäß mit dem guten Beispiel voranzugehen.

Was wird besteuert, was nicht?

Tatsächlich sinkt die gefühlte Akzeptanz der meisten Bürger hinsichtlich der Steuerpraktiken vieler Unternehmen. Auch die digitale Wirtschaft und ihre GAFA-Riesen – Google, Amazon, Facebook, Apple – verlieren zunehmend an Sympathisanten. Sie verdienen mit europäischen Kunden, Einkäufen und privaten Daten Rekordsummen, zahlen jedoch im Vergleich zu anderen Unternehmen fast nur die Hälfte der Steuern.
Wie argumentiert also die luxemburgische Regierung, wenn sie den Ruf des Steuerparadieses nicht verstärken, jedoch auf aus ihrer Sicht legitime Probleme hinweisen will? Offiziell äußert sich niemand dazu. Auch Premierminister Xavier Bettel hat sich auf Nachfrage des Tageblatt am Mittwoch weggeduckt und wollte keine Fragen zum Thema beantworten.

Hinter vorgehaltener Hand wird die luxemburgische Position dennoch von mit dem Dossier vertrauten Quellen verraten. So stößt sich Luxemburg beim Vorschlag der EU-Kommission zunächst an der Präzision. Was wird besteuert, was nicht? Zögert man bei verschiedenen Punkten? All dies müsse berücksichtigt werden. Erst dann könne man sehen, wie gehandelt werde, heißt es. Man will sich nicht von den großen Industriestaaten überrumpeln lassen. Demnach müssten für alle die gleichen Prinzipien gelten. So heißt es etwa unzweideutig: «Sonst schießen wir uns als Europäische Union selbst aus dem Rennen.»

Was wird jedoch zu den konkreten Maßnahmen rund um die Digitalwirtschaft gesagt, die EU-Kommissar Pierre Moscovici am Mittwoch vorstellte? Man unterscheidet zwischen den kurz- und langfristigen Maßnahmen. Moscovici nannte etwa die kurzfristige Maßnahme, provisorisch eine Steuer auf den Umsatz verschiedener Produkte eines Unternehmens ins Leben zu rufen.

Im Konkreten wird es problematisch

Luxemburg stört vor allem, dass bislang nicht wirklich klar sei, was alles genau unter diese Steuer falle und was nicht. Außerdem spricht man von «glaubwürdigen Risiken», dass etwas, das man vorübergehend ins Leben rufe, länger in Kraft bleibe, als man das im Vorfeld gedacht hätte. Die Steuer würde sich möglicherweise von einer kurz- zu einer langfristigen Maßnahme entwickeln, die sich für Luxemburg negativ auswirken könnte.

Moscovici ist sich dieser Kritik bewusst. Nicht ohne Grund wies er während seiner Pressekonferenz mehrere Male darauf hin, dass es sich um eine «provisorische» Maßnahme handele. Luxemburg fordert dennoch direkte und definitive Lösungen, statt mit Übergangslösungen zu arbeiten. Moscovici meint wiederum, dass die EU gerade durch ihre proaktive Haltung eine globale Vorreiterrolle einnehmen könnte.

So weit die Theorie. Was bedeutet dies konkret für Amazon in Luxemburg? Auch hinter den Kulissen wird bewusst betont, dass all die luxemburgischen Sorgen nichts mit dem Sitz von Amazon in Luxemburg zu tun hätten. Es gehe um praktische Fragen … Auf Amazon angesprochen, erhält man folgende Antwort: Man könne Produkte direkt bei Amazon erwerben. Man könne aber auch Produkte auf dem «Market Place» kaufen. Als Kunde sehe man diesen Unterschied nicht wirklich. Unter dem Produkt stehe lediglich «verkauft von Amazon» oder von einem anderen Anbieter. Dies sei problematisch und auch hier habe die EU-Kommission noch keine konkreten Vorstellungen, wie besteuert werden solle.

Zudem stelle sich die Frage, wie mit Amazons Vermittlungsgebühren umgegangen werde. Werden sie anders behandelt? All dies wisse man zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Es müsse deswegen unbedingt die Frage geklärt werden, welche Dienstleistungen unter die Vorschläge der EU-Kommission fielen.

Luxemburg als Konsumentenschützer

Luxemburg spielt auch die Karte des tapferen Konsumentenschützers. So verweist man darauf, dass die wichtigste Frage die folgende sei: Wer bezahlt am Ende für die von der EU-Kommission geforderte provisorische Steuer? Die rhetorische Frage hat eine klare Antwort: der Kunde. Und der will das natürlich nicht. Niemand traue sich, diese Frage öffentlich zu stellen. Wie viele Konkurrenten habe Amazon? Wie viele Konkurrenten habe Netflix? Oder Facebook? Wie viel Druck hätten diese Unternehmen, um die Preiserhöhung nicht an den Kunden weiterzuleiten? Auch hier liege die Antwort auf der Hand: fast gar keine Konkurrenz, weswegen der Konsument am Ende selbst mehr zahlen müsse.

Demnach gibt sich Luxemburg als selbstloser Retter der geächteten Kunden des digitalen Wirtschaftdschungels. Fragt man dennoch, was passiert, wenn die Kosten nicht auf die Kunden übertragen würden, dann lautet die Antwort: Die Unternehmen würden weniger Gewinn machen. Dies liege auf der Hand. Und genau hier wird es für Staaten wie Luxemburg haarig, die kein Interesse daran haben, dass Amazon weniger Gewinne macht.

Man würde demnach mit einer Maßnahme anfangen zu arbeiten, die es so bislang nicht gebe und die das ganze Steuersystem rund um die Welt auf den Kopf stellen würde. Es gebe bereits die Mehrwertsteuer (TVA). Bei der Initiative der EU-Kommission handele es sich um eine ähnliche Form von Mehrwertsteuer, die für verschiedene Dienste geschaffen würde.

Am Ende geht es also wie immer um die Frage der Attraktivität des luxemburgischen Wirtschaftsstandorts. Wenn irgendwo ein Mehrwert entsteht, wird er laut EU-Kommission dort besteuert. Auch in diesem Fall müsse man alles zu Ende denken, heißt es. Wenn man ein großes Land sei, wäre dies relativ leicht. Wenn man jedoch ein kleines Land sei, bekomme man eventuell gar keine feste Niederlassung eines Unternehmens mehr hin. Große Länder könnten Minimalkriterien schneller erfüllen als kleine Länder.

Es gebe immer öfter die Situation, in der man nicht herausfinde, was zur digitalen Wirtschaft gehöre und was nicht. Irgendwann sei der Punkt erreicht, wo alles miteinander verschmelze. Demnach würde auch dort die Tür für eine neue Logik geöffnet. Diese Logik gefiele den großen Ländern allerdings auch nicht mehr so recht. Wenn man etwa Louis-Vuitton-Handtaschen in China verkaufe, könnten die Chinesen sagen: «Ihr habt eine exzellente Idee, dass dort besteuert wird, wo verkauft wird. Das könnten wir auch mit den Handtaschen tun. Wir machen jetzt auch so eine Steuer auf eure Handtaschen und dann erhält die Europäische Union überhaupt nichts davon», spöttelt man.

Auch der Faktor der USA spiele eine Rolle. Es seien hauptsächlich amerikanische Firmen von den neuen Maßnahmen betroffen. EU-Kommissar Moscovici hat hingegen immer wieder betont, dass die Maßnahmen nicht gegen die USA gerichtet seien. Luxemburg kritisiert jedoch, dass diese Steuer nicht gerade dazu beitrage, einen Handelskrieg mit den USA zu vermeiden.

Moscovici sieht dies allerdings überhaupt nicht so. Auch hier klingt die Antwort aus Luxemburg leicht zynisch: Es reiche nicht, was Herr Moscovici sage und denke. Er sei auch der Meinung gewesen, er habe Luxemburg zuletzt nicht «‹genamed› und ‹geshamed'», als er dem Großherzogtum und sechs weiteren Staaten eine aggressive Steuerpolitik vorgeworfen habe. Auf einmal sei er der Meinung gewesen, er habe Luxemburg zwar «genamed», aber nicht «geshamed». Er könne ja probieren, mit den Amerikanern zu klären, dass all dies nicht gegen sie gerichtet sei.

Totgeburt oder nicht?

Trotz der aggressiven Rhetorik zeigt man sich auch zur Kooperation bereit. Man sei damit einverstanden, ein Modell zu finden, mit dem man Internet-Unternehmen anständig besteuert. Allerdings glaube man, dass ein System gefunden werden müsse, das von allen großen Staaten akzeptiert werde.

Spätestens am Donnerstag wird Premier Bettel beim EU-Gipfel über diese Fragen diskutieren. Man gibt sich betont locker und verweist darauf, dass Luxemburg nicht komplett blockieren würde. Man wolle nur sicherstellen, dass die Initiative der EU-Kommission mit den OECD-Regeln kompatibel sei. Nördliche Staaten würden den Vorstoß zum Beispiel begrüßen, allerdings auch darauf hinweisen, dass all dies in der Praxis funktionieren müsse.

Man ist sich zudem bewusst, dass die Haltung Luxemburgs schwierig sei, weil dem Großherzogtum noch der schlechte Ruf des LuxLeaks-Skandals anhaftet. Selbst wenn man auf Probleme hinweise, die mit gesundem Menschenverstand nachzuvollziehen seien, würde Luxemburg auf seine Vergangenheit reduziert. Der Vorwurf: Man handele aus nationalen Interessen protektionistisch – um die Niederlassung von Amazon in Luxemburg zu schützen. Dass die Initiative der EU-Kommission eine Totgeburt ist, will man allerdings auch nicht hinnehmen. Die Bestrebungen aus Brüssel seien legitim. Deshalb handele es sich nicht um eine Totgeburt.

Auch andere Staaten würden fragen, wieso jetzt so hektisch gehandelt werde und man versuche, alles innerhalb von sechs Monaten durchzukriegen. Die Antwort überrascht kaum: Nächstes Jahr sind Europawahlen und ein neuer Kommissionspräsident wird gewählt.

Theo
22. März 2018 - 17.12

Da wird wieder alles in einen Topf geworfen. Amazon macht Geschäfte mit Endkunden, die anderen nicht.
Die Google und Facebook-Nutzer sind schließlich nicht die Kunden sondern das _Produkt_ das diese Firmen ihren richtigen Kunden vermitteln, den Reklameverkäufern.
Diese sollte man drastisch besteuern, erstens um die unsägliche Reklamitis zu vermindern und zweitens um vielleicht wieder Reklame in die lokalen Medien zu bekommen.

SM
22. März 2018 - 14.33

Der Artikel nennt das Kind beim Namen: Der EU-Kommissionsentwurf für eine Google-Steuer ist nichts anderes als eine Totgeburt!

SM
22. März 2018 - 14.18

Steuerwettbewerb und Steueroptimierung sind gut, ja unvermeidlich, und beleben die internationale Steuerlandschaft!

Sandrine
22. März 2018 - 11.40

"Wenn irgendwo ein Mehrwert entsteht, wird er laut EU-Kommission dort besteuert. " Souguerden Sven Giegold huet am Interview op 100,7 zouginn, dass et eng philosophesch Fro as "wou Mehrwert" entsteht. Die grouss EU-Länner machen un sech genau daat waat dem Trump fiergeworf gët: sie handlen an dem Sënn protektionnistesch, dass sie soen bei eis sinn d'Konsumenten, dofier kréien maer d'Steieren, egal wéi den Produit oder Service entsteht. Awer se probéieren hier grouss Industriebetrieber do erauszehaalen.

Wann die grouss EU Länner sech domat duerchsetzen, dann kann den Benelux och direkt aus der EU erausgoen, an ouni UK (an wahrscheinlech och IRL) ass d'EU dann definitiv futti.