Die Frau (Catherine Kontz), die rechts auf der Bühne sitzt, lehnt sich hin zu einem Mikrofon, das hinter einem Vorhang verborgen ist, und schnalzt mit der Zunge. Es klingt wie das Ticken einer Uhr, und das Geräusch wird schneller und schneller. Tick-tock, tick-tock, tick-tock … Dann herrscht plötzlich Stille. „Better get started, because you’re not getting any younger“, habe ihr der Gynäkologe bei ihrem jährlichen Abstrich gesagt, erzählt die andere Frau (Larisa Faber), die reglos vor dem Publikum steht. Zuvor habe der Arzt sie gefragt, ob sie Kinder wolle und ob sie in einer festen Beziehung sei. Beides habe sie mit „Ja“ beantwortet.
Auf die erste Frage reagierte sie mit besonderer Emphase: Natürlich wolle sie Kinder, ja. Das habe sie in der Vergangenheit nie infrage gestellt, erzählt sie den Zuschauern. Es habe für sie immer dazu gehört, als etwas, das man irgendwann sicher machen könne oder würde. Hochgezogene Schultern und ein kurz aufblitzender zerknirschter Gesichtsausdruck. Man versteht: Der bis dato für selbstverständlich gehaltene Lebensentwurf wird jetzt, da er sich konkretisiert, erstmals genau analysiert. Ist es wirklich das, was ich möchte? Und wenn nicht: Was bedeutet das für mich als Frau, die in einer Gesellschaft lebt, in der Frausein und Mutterschaft noch immer so sehr zusammen gedacht werden?
Sind kinderlose Frauen egoistisch?
Der Monolog von „stark bollock naked“, den Larisa Faber mit Lebendigkeit und sprachlicher Musikalität vorträgt, stammt aus ihrer eigenen Feder. Die geäußerten Gedanken und Empfindungen erscheinen eng mit einem individuellen Leben verbunden, schließlich steht auf der Bühne eine einzelne Frau, die eine sehr persönliche, sehr tiefgreifende Entscheidung treffen muss: Bekomme ich ein Kind, oder nicht? Das, was gesagt wird, dürfte wohl aber einer ganzen Generation von Frauen vertraut oder zumindest sehr verständlich vorkommen.
Ihre Abstammungslinie würde mit ihr aussterben, auf ihrem Grabstein würde „selfish bitch“ stehen, wenn sie nicht Mutter werde, sagt sie, und das Publikum reagiert mit einem Lachen. Die Witze, die „stark bollock naked“ durchsetzen, pointieren die Assoziationen, Einstellungen und Normen, die nach wie vor das Leben von Frauen bestimmen und besonders jene belasten, die in ihren späten Zwanzigern und frühen Dreißigern sind. Denn sie hören die biologische Uhr am lautesten ticken – oder zumindest wird das von ihnen erwartet. Inwiefern das Konzept der „biologischen Uhr“ denn überhaupt biologisch ist, ist eine Frage, die „stark bollock naked“ implizit stellt. Das oben beschriebene Gespräch mit dem Gynäkologen führt die Rednerin dementsprechend auch nicht nur einmal, sondern jedes Jahr – bis sie mit 32 schließlich erfährt, dass sie schwanger ist.
Feminismus ist das Gelbe vom Ei
An diesen scheinbaren Wendepunkt anknüpfend führt einem „stark bollock naked“ wunderbar vor Augen, dass der gesellschaftliche Druck auf Frauen nie aufhört, auch nicht, wenn sie mit einer Schwangerschaft ihr gesellschaftliches Soll schließlich erfüllt haben. Denn vom Umfeld wird erwartet, dass die Betroffene nun, wie zum Beispiel Frauenzeitschriften postulieren, „im Babyhimmel schwebt“ – bleibt die Begeisterung der Schwangeren aber aus, muss mit der Frau etwas nicht stimmen. Eben so absonderlich fühlt sich die Rednerin in „stark bollock naked“. Sie gibt zu, gedacht zu haben, dass sie nun ein „Alien“ in sich trage, das ihren Körper und ihr Leben für sich vereinnahme. Sie entscheidet sich schließlich für eine Abtreibung, stößt aber auch hier auf Widerstand. So verschreibt ihr der Arzt zunächst einen Bluttest, bevor sie die Pillen zum medikamentösen Abbruch erhält, obwohl das nicht nötig gewesen wäre, wie sie später erfährt. Auch klärt sie der Frauenarzt nicht darüber auf, was bei der Prozedur eigentlich genau in ihrem Körper passiert.
Überhaupt ist das das Stichwort des Abends: Körper. Weibliche Körper seien nichts Außergewöhnliches, es würde sie oft – sehr oft – geben, sagt die Rednerin. Und doch würde ihr eigener Körper nicht ihr selbst gehören, also warum ihn überhaupt mit Kleidern bedecken? In der Tat steht sie während der Inszenierung nackt auf der Bühne, was man aber bis auf wenige Ausnahmen nur am Anfang gut erkennen kann. Denn schon nach den ersten Sätzen werden Bilder, Kleider und Kostüme auf den blank dastehenden Frauenkörper projiziert. Sie zeigen, wie Frauen nach wie vor auf absurdeste Art dehumanisiert werden, nicht zuletzt mittels Verkleidungen wie „sexy Hot Dog“, „sexy Geburtstagskuchen“ oder sogar „sexy Handdesinfektionsmittel“, die nacheinander eingeblendet werden. Das psychologische Phänomen der Projektion, von der Frauen auf besonders perfide Art betroffen sind, weil sie dabei oft sexualisiert werden, wird so ins Buchstäbliche überführt. Diese Idee ist ebenso bestechend wie diejenige, gynäkologische Instrumente während der Vorstellung zur Klangerzeugung zu benutzen. Denn diese repräsentieren den wissenschaftlichen und daher auch männlich dominierten Umgang mit dem weiblichen Körper als Objekt. Durch ihre Zweckentfremdung eignen sich die Frauen Spekulum, Hakenzange und Präparierschere als Gebrauchsgegenstände, die eine symbolische Bedeutung tragen, neu an.
Einen wirklichen Wendepunkt gibt es überdies auch tatsächlich später im Stück. In einem ausgelassenen Song dekonstruieren die beiden Darstellerinnen vorherrschende Meinungen wie die, dass eine Familie nur dann bestehe, wenn auch Kinder geboren würden. Dem geht die Erkenntnis voran, dass es niemanden etwas angehe, was die Frau mit ihren Eizellen mache. Als ein Augenzwinkern sind dann auch die vielen Ei-Rezepte zu verstehen, die in das Lied mit einbezogen wurden. So verlässt man die Vorstellung mit einigen praktischen Hinweisen zur perfekten Zubereitung von Eiern – Wussten Sie, dass man vor dem Pochieren ein Schuss Essig ins Wasser kippen sollte? –, aber vor allem auch mit treffend formulierten, feministischen Gedanken.
Das Stück kann man noch am Freitag (11.3.) und am Samstag (12.3.) in der Abtei Neumünster sehen.
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