Reform der NotaufnahmeWenn Psychiater mit Rücktritt drohen

Reform der Notaufnahme / Wenn Psychiater mit Rücktritt drohen
Die für die Notaufnahmen des „Centre hospitalier“ (CHL) und der „Hôpitaux Robert Schuman“ (HRS) vorgesehene Reform stehe nicht für Verbesserung, so die neun Psychiater der HRS. Wenn keine andere Lösung gefunden wird, erwägen sie einen Rücktritt aus dem Notfalldienst. Foto: Editpress/Isabella Finzi

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Doppelte Notdienste, so wie jetzt im Zentrum vorgesehen, seien keine Verbesserung für Psychiater. Dr. Jean-Marc Cloos, medizinischer Chef der psychiatrischen Abteilung der „Hôpitaux Robert Schuman“, plädiert für ein psychiatrisches Kriseninterventionsteam. Ein solches könne viel flexibler agieren und sowohl für Notfälle, Betreuung der Angehörigen als auch für interne wie ambulante Patienten zur Verfügung stehen. Mit der Gesundheitsministerin soll demnächst darüber gesprochen werden.

Das Problem ist bekannt und benannt. Spätestens seit dem Audit des Gesundheitsministeriums im Jahr 2017: Die Notfallstationen der Krankenhäuser sind überlastet. Die Reform der Notaufnahme im Zentrum des Landes verspricht nun Linderung.

Die Psychiater der HRS sehen das jedoch anders: Wenn ab dem 1. Juni 2020 im CHL und in den HRS die Notaufnahmen nicht mehr abwechselnd, sondern gleichzeitig funktionieren, würde das eher eine Verschlechterung denn eine Verbesserung der psychiatrischen Versorgung mit sich bringen.

Dr. Jean-Marc Cloos erklärt, worum es geht: „Ab dem 1. Juni müssten die Psychiater beider Häuser, reformbedingt, nämlich jeden Tag in der jeweiligen Notfallabteilung intervenieren. Um das zu gewährleisten, hätten sie weniger Zeit für die Behandlung ihrer ambulanten Patienten, die sie nach Termin sehen; die Praxen müssten öfters geschlossen bleiben. Für einen diensthabenden Psychiater ist es nämlich nicht möglich, sowohl zeitnah in der Notaufnahme zu intervenieren als auch eine nach Termin geplante Aktivität in der Praxis zu haben.“

Psychiatrische Notfälle kosten Zeit

Dr. Cloos weist darauf hin, dass auf verschiedene psychiatrische Notfälle schnell reagiert werden müsse, der Arzt also bei einigen klinischen Situationen, beispielsweise einer akuten Psychose oder einer suizidalen Krise, innerhalb von einer Viertelstunde abrufbereit sein sollte.

Ob im Nachhinein gerechtfertigt oder nicht, ein psychiatrisches Gespräch nähme immer viel Zeit in Anspruch, im Durchschnitt zwischen 30 und 60 Minuten. „Man muss sich zunächst mal ein Bild machen, präzise Vorgehensweisen respektieren, viele Fragen stellen, um auszuloten, was den Patienten überhaupt bewegt hat, zu einem bestimmten Moment ins Krankenhaus zu kommen, um dann eine Entscheidung treffen zu können.“ Dieser Zeitaufwand bedingt, dass der diensthabende Psychiater dazu tendiert, während seines Dienstes seine ambulante Praxis vollständig zu schließen oder zumindest an dem Tag nicht so viele Patiententermine zu vereinbaren wie an anderen Tagen.

Diese aufgezwungene Verfügbarkeit in der Notaufnahme bedeutet also für Psychiater weniger Präsenz in ihren Praxen und weniger Zeit für ambulante Terminpatienten. Hier scheinen die Ärzte nicht mehr mitspielen zu wollen, weil es um die Grundversorgung ihrer ambulanten Patienten, aber auch um Zeitmanagement und den Verdienstausfall geht: „Die Behandlung eines Patienten in der Notaufnahme wird über die CNS vergütet, nicht aber der eigentliche Bereitschaftsdienst.“

Über Rücktritt nachdenken

Laut Dr. Cloos besteht die Gefahr, dass sich Psychiater aufgrund dieser drohenden Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen aus den Krankenhäusern verabschieden und in ihre Praxen „zurückziehen“. Da sie für die Ausübung ihres Berufes nicht auf ein Krankenhaus angewiesen sind, wäre eine planbare Aktivität in ihrer privaten Praxis sowohl finanziell als auch in Bezug auf ihre Lebensqualität attraktiver.

Bis zum 1. Juni 2020 sollte es also zu einer Lösung kommen, sonst denken die neun Psychiater der HRS an Rücktritt. Unterstützung erhalten sie dabei von ihren Kollegen im CHL. Auch sie seien der Meinung, dass eine Verdoppelung des Notfalldienstes, wie er jetzt im Zentrum vorgesehen ist, zu einer höheren Belastung der Ärzte und einer schlechteren Betreuung der Patienten führen könnte.

Dr. Cloos fasst zusammen: „In der Notaufnahme, so wie sie heute funktioniert, werden wir einerseits nicht genug in Anspruch genommen, um ausgelastet zu sein und für unsere geleistete Dienstzeit auch nicht angemessen entschädigt. Andererseits sind wir aber zu sehr eingebunden, um uns konzentriert anderen Bereichen widmen zu können.“ Und dennoch bleibe das Krankenhaus attraktiv als Arbeitsplatz, man sollte den Bogen nur nicht überspannen: Dr. Cloos hat eine Umfrage unter „seinen“ Klinikpsychiatern gemacht. „Dabei hat sich gezeigt, dass die meisten eigentlich gerne weiterhin in einem Krankenhaus arbeiten wollen, beispielsweise weil sie gerne im multidisziplinären Teams arbeiten, statt den ganzen Tag in ihrer Praxis zu sitzen.“

Psychiatrisches „Kriseninterventionsteam“

Was könnte eine Lösung sein? Verhältnisse wie in Deutschland möchte Dr. Cloos nicht. Dort seien die Notdienste, vor allem die über Nacht, dermaßen unattraktiv, dass die Krankenhäuser sporadisch auf klinikexterne Ärzte zurückgreifen müssen. „Das kann problematisch sein, wenn diese Ärzte das Krankenhaus und seine Gepflogenheiten nicht kennen, und könnte dann mitunter auch gefährlich für die Patienten werden.“

Jean-Marc Cloos denkt da eher an eine „équipe mobile de santé mentale“ im Rahmen einer psychiatrischen Poliklinik. Die könnte aus einem oder mehreren Psychiatern bestehen, aus Psychologen und psychiatrischem Pflegepersonal. Der Vorteil einer solchen Gruppe wäre, dass sie stets präsent und eigentlich immer ausgelastet sei, weil sie je nach Anforderungen arbeiten könnte. Das Team kann bei akuten Krisen, zum Beispiel Selbstmordgefahr, intervenieren, in der psychiatrischen „urgence“ oder, bei weniger dringenden Fällen, in der psychiatrischen Poliklinik tätig sein.

Dort könnten auch Patienten, die in die Notaufnahme kamen, eine Zeit lang weiter begleitet werden, bis sie einen ambulanten Termin bei einem Psychiater oder psychologischem Psychotherapeuten bekommen. Auch Angehörige eines Patienten könnten betreut werden, zum Beispiel nach einem schweren Unfall oder Herzinfarkt. Ebenso könnte man Konzile im Krankenhaus ausführen oder in der Abhängigkeitsvorbeugung tätig werden.

Gesundheitskasse, nicht Sparkasse

„Auf jeden Fall könnte das Team die Lücke füllen, die heute zwischen dem eigentlichen Notdienst und der ambulanten Arbeit in der Praxis klafft“, erklärt Dr. Cloos. Mit diesem System wäre sowohl die psychiatrische Grundversorgung wie auch die Pflegekontinuität garantiert.

Zu klären bleibe aber unter anderem, wie der leitende Psychiater entlohnt werden soll und wie die Arbeit nachts organisiert wird. Das reiht sich ein in die große Frage, was Gesundheit kosten muss, soll – oder darf. Ihre Vorschläge wollen die Psychiater jedenfalls schnellstmöglich der LSAP-Gesundheitsministerin Paulette Lenert unterbreiten. Die ist gleichzeitig delegierte Ministerin für soziale Sicherheit und somit neben Romain Schneider (LSAP) für die Finanzierung der medizinischen Leistungen zuständig.

Klar ist, dass die Zahl der Patienten mit wachsender Bevölkerung zunimmt. Dieser Umstand und der Anspruch, ihnen mehr bieten zu können und zu wollen, sei jedenfalls ohne Aufstockung der Mittel, also durch mehr Personal und einer besseren Finanzierung, nicht möglich, sagt Dr. Cloos: „Es bleibt zu hoffen, dass die Krankenkasse wirklich zu einer Gesundheitskasse mutiert ist, und nicht zu einer Sparkasse.“

EU schützt Ärzte

Einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) von 2018 zufolge hat Bereitschaftsdienst als Arbeitszeit zu gelten. Wer innerhalb kürzester Zeit einsatzbereit zu sein hat, müsse entlohnt werden. Gefällt wurde das Urteil aufgrund der Klage eines Feuerwehrmannes. Es gelte aber auch für Ärzte.
Die EU-Arbeitszeit-Richtlinie könnte in Luxemburg ein anderes Problem aufwerfen. Nämlich, dass einem langen oder nächtlichen Bereitschaftsdienst eine angemessene Ruhepause zu folgen hat. Bei diensthabenden Ärzten könnte das bedeuten, dass ihre Praxen in Zukunft noch öfters geschlossen sein werden.

Dr. Jean-Marc Cloos, medizinischer Chef der psychiatrischen Abteilung der „Hôpitaux Robert Schuman“: „Ein psychiatrisches ‚Kriseninterventionsteam‘ könnte Frust verhindern und viele Probleme im Interesse der Patienten lösen“
Dr. Jean-Marc Cloos, medizinischer Chef der psychiatrischen Abteilung der „Hôpitaux Robert Schuman“: „Ein psychiatrisches ‚Kriseninterventionsteam‘ könnte Frust verhindern und viele Probleme im Interesse der Patienten lösen“ Foto: Editpress/Didier Sylvestre

Paolo Prosperi
10. Mai 2020 - 3.00

Der grausame Quacksalber Jean-Marc CLOOS hat keine Krankenhauserfahrung ausser dem ABRIGADO. Er muss sich in Kliniken im Ausland informieren, dort funktioniert es.